Wie? Unterbringen? Natürlich in unserem Transportkäfig.
„Du könntest Petra fragen, ob sie einmal am Tag herkommt, um sie zu füttern“, schlug Jan vor.
Kira griff zum Handy.
„Häh?“ Ich verstand überhaupt nichts mehr. „Wie soll Petra uns füttern, wenn wir gar nicht da sind?“
„Neo“, sagte Lee, „du musst dir den Urlaub abschminken. Ganz offensichtlich hat Kira vor, uns hier zu lassen.“
„Hier? Allein? Ohne niemanden? Ohne Abenteuer? Ohne nix?“ Ich konnte mein Entsetzen kaum in Worte fassen.
„Ohne Kofferpacken?“, fragte Chan. „Schade. Aber immerhin – jedes Mal, wenn Petra herkommt, bringt sie bestimmt Mariechen mit.“
Nun gut, einmal am Tag Mariechen zu sehen, war ein Trost. Doch auch der wurde im nächsten Moment zunichtegemacht. Kira hatte das Telefonat beendet und sagte zu Jan: „Klappt nicht. Petra hat in den Ferien schon etwas vor.“
„Dann probieren wir es mit Stiefelschmitts“, sagte Jan. „Das wäre sogar noch besser. Wir könnten die Hamster hinbringen. So haben sie Urlaub bei netten Menschen und können sich mit Vincent vergnügen.“
Mit Vincent WAS? Mit diesem Blödwuschel hatte ich mich noch nie vergnügt ! Im Gegenteil. Niemand auf der ganzen Welt konnte mich schneller auf die Palme bringen als dieser arrogante Fusseldepp. Da war Dauerstress vorprogrammiert. Von Urlaub keine Spur.
Auch Lee und Chan sahen alles andere als vergnügt aus. „Neo, tu etwas!“, rief Lee mir zu. „Bring die Kinder zur Vernunft, bevor sie uns drei ins Unglück stürzen.“
Nun gut, dann musste ich zu drastischen Maßnahmen greifen. Kira stand nah genug am Käfig. Mit etwas Anlauf konnte ich es schaffen, hineinzuspringen. Ich stieß mich von ihrem Ohr ab, machte drei schnelle Schritte und sprang in den Glaskäfig, wo ich knapp neben dem Laufrad landete.
„Was soll das denn?“, fragte Lee.
Ich rappelte mich auf. „Ich habe Kira gezeigt, dass sie mich ins Unglück stürzt.“
Kira sah verwundert auf mich herab. „Gefällt es dir auf meiner Schulter nicht?“
Ich wälzte mich auf dem Boden. „Ich bin unglücklich. Entsetzlich unglücklich!“, jammerte ich. Kapierte sie es jetzt?
„Da stimmt etwas nicht“, sagte Jan und griff nach mir. „Hoffentlich hat er sich beim Sprung nicht verletzt.“
„Das war kein Sprung“, rief Lee. „Sondern ein astreiner Sturz! Direkt ins Unglück.“
Die Kinder verstanden immer noch nichts. Jan untersuchte mich und meinte: „Nichts gebrochen.“
Ich drehte mich auf seiner Hand auf den Rücken und fasste mir an die Brust. „Doch, mein Herz ist gebrochen, weil ihr wegfahrt und mich in den Klauen meines plüschigen Erzfeinds zurücklasst.“
Jan kitzelte mich am Bauch.
„Hör sofort auf mit dem kindischen Getue“, schimpfte ich.
„Heute will er wohl in Ruhe gelassen werden“, sagte Jan und setzte mich in den Käfig zurück.
„Ruhe? Von wegen. Ich will Abenteuerurlaub. Mich hat das große Fernweh gepackt.“
Keine Chance. Kira rief bei Stiefelschmitts an und erklärte kurz darauf strahlend: „Alles klar, sie nehmen die Hamster.“
„Das reicht“, sagte ich. „Ich trete in Streik. Für immer und ewig. Das habt ihr nun davon.“
„Und wie soll das gehen?“, frage Lee.
„Ganz einfach“, sagte ich und trippelte in eine Ecke. „Anstatt Laufrad zu laufen, werde ich hier sitzen und ein mürrisches Gesicht machen.“
„Das ist kein Streik“, sagte Lee, „das ist Schmollen. Damit erreichst du überhaupt nichts, außer dass deine Muskeln erlahmen. Aber es gibt eine andere Art von Streik, die Kira beeindrucken könnte. Hungerstreik. Wir essen einfach nichts mehr.“
„He, das ist kein Streik“, schimpfte Chan. „Das ist glatter Selbstmord!“
ALLE AN BORD – DANN FAHREN WIR FORT!
Nach drei Tagen Laufradstreik war ich nur noch ein Schatten meiner selbst. Entkräftet taumelte ich durch den Käfig. „Meine Muskeln“, jammerte ich mit schwacher Stimme. „Sie sind alle weg. Ich komme kaum noch gegen die Schwerkraft an. Bald werde ich platt auf dem Boden liegen und meinen letzten Japser machen.“
„Sei nicht albern“, sagte Lee. „Sieh mich an. Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie freiwillig Laufrad gelaufen und habe dennoch Muskeln für ein ganz normales Hamsterleben.“
„Es geht nicht nur um Muskeln, es geht auch um Ausdauer“, sagte ich. „Und um Gelenkigkeit. Und Drahtigkeit. Und Fitness. Jawohl! Das ist jetzt alles futsch. Ich bekomme vermutlich nicht einmal mehr die Karategrundstellung hin.“ Ich versuchte, mich auf die Hinterpfoten aufzurichten, und kippte sofort um.
„Reiß dich zusammen“, schimpfte Lee. „Das bildest du dir alles nur ein.“
„Du undankbarer Wicht.“ Ich ging mit gezückten Fäusten auf ihn los. „Ich streike, damit wir alle in den Urlaub fahren dürfen. Und was tust du? Nichts. Dabei bist du von uns dreien derjenige, der sich am meisten vor Vincent gruseln sollte. Denk nur daran, wie er versucht hat, dir unter Hypnose falsche Erinnerungen einzureden.“
„Keine Sorge“, sagte Lee. „Ich lasse mich von ihm bestimmt nie wieder hypnotisieren. Übrigens stehst du gerade recht drahtig da.“
Tatsächlich! Ich stand auf den Hinterpfoten und ließ die Fäuste spielen. Dann bestand Hoffnung, dass ich bald wieder in meine alte Form zurückfinden würde. Ich stieg ins Laufrad und lief los. Ein herrliches Gefühl. „Wie habe ich es nur ohne dich ausgehalten, mein geliebtes Turbo Hamsti!“ Nach einigen Runden fühlte ich, wie mich die Kräfte verließen. „Schnell, Lee, ärgere mich. Wenn ich wütend bin, habe ich mehr Power.“
„Ärgere dich doch selbst“, sagte Lee patzig, worüber ich mich tierisch ärgerte. Schon lief ich schneller.
Chan sagte: „Dein Streik hat sowieso nichts genützt, weil Kira nichts davon mitbekommen hat. Schließlich schläft sie nachts, wenn wir am aktivsten sind.“
„So ist es“, sagte Lee. „Bald werden wir zu Vincent verfrachtet. Da beißt die Maus keinen Faden ab.“
„Welche Maus?“, keuchte ich, während ich weiter beschleunigte, ins Stolpern kam, mich mehrfach überschlug und schließlich erschöpft aus dem Laufrad purzelte. Ich wankte zufrieden zum Fressnapf, um mich zu stärken. Endlich fühlte ich mich wieder wie ich selbst.
„Das ist nur eine Redensart“, klärte Lee mich auf.
Kurz darauf kam Kira in ihr Zimmer, wuchtete einen Koffer aufs Bett und begann zu packen. Es war kein schöner Anblick, weil Kira vom Packen keine Ahnung hatte. Wahllos warf sie T-Shirts, Pullover und Unterwäsche in den Koffer, stopfte ein paar Jeans dazu, rief dann: „Oh, Mist, jetzt passt die Kosmetik nicht mehr hinein“, rannte ins Bad, drückte hektisch eine Zahnbürste und eine Shampooflasche in irgendwelche Lücken und setzte sich dann seufzend aufs Bett.
Es klopfte und Jan kam herein. „Schlechte Neuigkeiten“, sagte er. „Mechthild Stiefelschmitt war gerade mit Vincent bei meinem Vater in der Praxis. Stell dir vor, sie, ihr Mann und Vincent sind krank. Alles schnieft und schneuzt und schnupft und schnoddert.“
Kira runzelte die Stirn. „Ich wusste nicht, dass auch Hamster eine Erkältung bekommen können.“
„Hamster können alles bekommen“, behauptete Lee. „Sogar Krankheiten, von denen Menschen verschont bleiben, wie beispielsweise Backentaschenverstopfung.“
„Nein, das ist es nicht“, sagte Jan. „Mechthild war es, die geniest und gehustet hat, aber Vincent war rein organisch völlig in Ordnung. Mein Vater hat ihn gründlich untersucht und keine Ursache dafür gefunden, wieso er seit Tagen nur noch ein Schatten seiner selbst ist.“
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