Der Käfig war klein und mit einem Schlafhaus und einem gelben Laufrad eingerichtet. Herr Schmeckts öffnete ihn und Jan setzte uns hinein.
„Lasst es uns schnell hinter uns bringen“, sagte Lee. „Hier drin ist es ungemütlich. Es gibt nicht mal ein Sitzpolster. So eine Bruchbude. Wie habe ich es hier während der endlosen Wochen meiner Kindheit nur ausgehalten?“
Auch Chan meckerte. „Seht euch diesen winzigen Fressnapf an. Da passt nicht mal eine vollständige Mahlzeit hinein.“
Ich trippelte ins Laufrad. War es so ruckelig und quietschig, wie ich es in Erinnerung hatte? Ich lief ein bisschen. Das Laufrad ruckelte und quietschte. „Du hast recht“, sagte ich zu Lee. „Das hier ist eine Bruchbude. Absolut nicht artgerecht.“
Jan holte sein Handy aus der Hosentasche, ging vor dem Käfig in die Hocke und sagte zu Herrn Schmeckts: „Es wäre prima, wenn die drei sich genau so verhalten würden wie damals, als Kira sie gekauft hat.“
Lee dachte nach und meinte dann: „Ich glaube, ich habe mich immer gerne tot gestellt, weil ich hoffte, dass Herr Schmeckts dann einen Tierarzt holt.“ Er legte sich auf den Rücken, streckte die Pfoten von sich und wurde stocksteif.
„Und ich habe immer den Napf geleert, damit Herr Schmeckts ihn auffüllt“, sagte Chan und begann, sich die Backen vollzuschlagen. „Ja, genau scho war dasch“, nuschelte er zufrieden.
„Und ich habe mich damals beschwert, dass ich zu wenig Abwechslung hatte“, sagte ich. „Immer nur fressen, schlafen, putzen, das ist doch kein Hamsterleben! “
Lee hob den Kopf: „Du sollst nicht quatschen, sondern posen. Das ist ein Fotoshooting, kein Hörspiel.“ Er schloss die Augen und hielt wieder still.
Sportliche Posen waren meine leichteste Übung. Ich hatte damals versucht, oben auf dem Laufrad zu laufen, war aber in hohem Bogen in den Fressnapf geflogen. Diesmal würde es sicher gelingen, schließlich hatte ich fast ein Jahr lang trainiert. Ich kletterte die Gitterstäbe hoch, schwang mich von oben aufs Laufrad und wetzte los. Es lief wie geschmiert. Ein tolles Gefühl. Damit Jan außer dem fressenden Chan und dem herumliegenden Lee noch ein bisschen Action für sein Foto hatte, beschloss ich, einen Sprung zu wagen. Ich stieß mich mitten im Lauf ab, flog über den Fressnapf und den Wassernapf hinweg, prallte am Käfiggitter ab und landete auf Lee.
„Aaaaaah“, kreischte Lee.
Jan lachte. „Super“, sagte er und steckte das Handy weg. „Ich habe eine Serienaufnahme gemacht, da ist bestimmt etwas Geeignetes dabei.“
Er holte uns aus dem Käfig, bedankte sich bei Herrn Schmeckts, kaufte eine Packung Nagisan und machte sich auf den Heimweg.
„Grässlich“, sagte Lee unterwegs. „Absolut grauenvoll. Ich weiß nicht, wie ich mich jemals wieder davon erholen soll.“
„War es so schlimm, als ich auf dir gelandet bin?“, erkundigte ich mich besorgt.
„Nein, aber es war schlimm, sich daran zu erinnern, was für eine schwere Kindheit wir hatten. Es grenzt an ein Wunder, dass aus uns trotzdem normale, gesunde Hamster geworden sind.“
MEIN TIEFER STURZ IST ALLEN SCHNURZ!
Wieder bei Kira angekommen, setzte Jan Lee und Chan in den Käfig und mich auf seine Schulter.
Lee hockte sich auf sein Polster. „Noch nie hat mein Hintern es so sehr zu schätzen gewusst wie jetzt.“
Chan schmiegte sich an den Fressnapf. „So ein schöner, großer Napf“, schwärmte er.
Jan überreichte Kira die Nagisan-Packung. „Als Dankeschön fürs Ausleihen. Wenn du magst, helfe ich dir jetzt mit dem Gedicht.“
Doch in dem Moment klopfte es an der Tür und Sandra Putz erschien. „Kira, kann ich dich kurz sprechen? Es ist wichtig, denn es geht um ein Last-Minute-Angebot für eine Woche in einem Luxusresort auf Sardinien.“
Kira fragte: „Fliegen wir in den Osterferien in Urlaub?“
Sandra räusperte sich. „Nicht wir alle, nur dein Vater und ich. Wir wollen unsere Hochzeitsreise nachholen, die wir nach unserer Heirat nicht machen konnten.“
„Ach ja“, sagte Kira. „Damals wurde das Dojo gerade renoviert und es ging drunter und drüber.“ Dann runzelte sie die Stirn. „Moment mal, heißt das, ich muss auf Heiko aufpassen, während ihr verreist seid?“
„Nein, Heiko wird so lange bei seinem Vater wohnen“, antwortete Sandra. „Dein Vater findet, dass du alt genug bist, um allein zu bleiben. Was meinst du?“
„Und was ist mit meinem Geburtstag?“, fragte Kira. „Der ist dieses Jahr am Ostersonntag. Soll ich den etwa ohne euch feiern?“
Sandra machte ein schuldbewusstes Gesicht. „Deine Geburtstagsfeier holen wir nach, sobald wir wieder zurück sind.“
„Hm.“ Kira dachte eine Weile nach. „Richtig toll finde ich das nicht, aber was soll’s. Ihr könnt eure Hochzeitsreise gerne nachholen.“
„Super, danke“, rief Sandra. „Dann buche ich jetzt.“ Sie lief aus dem Zimmer.
„Eigentlich gar nicht schlecht“, sagte Kira zu Jan. „Dann haben wir bald eine Woche lang sturmfreie Bude und können jeden Tag alles unternehmen, was wir wollen.“
Sturmfreie Bude? Kapierte ich nicht. In Kiras Zimmer gab es kein Wetter, auch wenn es darin manchmal aussah, als wäre ein Wirbelsturm hindurchgefegt.
„Ich fürchte, daraus wird nichts“, sagte Jan und zuckte bedauernd mit den Schultern. Anscheinend bedauerte er das ganz gewaltig, denn er zuckte so sehr, dass ich fast hinunterpurzelte. Ich konnte mich im letzten Moment an seinem Ohrläppchen festhalten. „Wir verreisen in den Osterferien nämlich auch. Wir fahren an den Walchensee.“
Wie, Jan wollte schon wieder verreisen? Er war doch erst vor einem halben Jahr in den Herbstferien in einem Westernreitkurs gewesen. Diese ewige Reiserei wurde allmählich zur Seuche. Und wieso verreisten alle immer ohne uns? „Ich will mit!“, rief ich und bearbeitete Jans Ohrläppchen mit den Krallen.
„Autsch.“ Jan nahm mich von der Schulter. „Man könnte meinen, es passt Neo nicht, dass ich verreisen will.“
„Mir passt es auch nicht“, sagte Kira.
„Aber wenigstens misshandelst du mich deswegen nicht.“ Jan sah mich vorwurfsvoll an. Ich schmiegte mich in seine Handfläche, als wäre ich mir keiner Schuld bewusst.
Kira lachte und gab Jan einen Kuss aufs Ohrläppchen.
Jan wurde rot. „Wenn ich ehrlich bin, passt es mir auch nicht. Eine Woche ohne dich ist voll doof. Aber vielleicht … Hier, halt mal.“ Er setzte mich auf Kiras Schulter und holte sein Handy heraus. „Ich frag meine Mutter, ob wir dich mitnehmen können.“
Kira wippte begeistert auf und ab. Wieder konnte ich mich nur vor einem Absturz retten, indem ich schnell ihr Ohrläppchen packte. Echt praktisch, dass Menschen die Ohren seitlich am Kopf haben und nicht wie Hunde weiter oben. Dort würden sie mir als Griff überhaupt nichts nützen.
Jan ging zum Telefonieren in den Flur. Kira füllte inzwischen Futter in unsere Näpfe. Ich trippelte auf Kiras Schulter ungeduldig von einer Pfote auf die andere.
Endlich kam Jan zurück. „Es klappt! Du kannst mitkommen.“
„Juchhu!“, rief Kira.
„Juchhu!“, rief auch ich. „Wir fahren in den Urlaub. Lee, Chan, packt schon mal eure Koffer.“
„Äh, was für Koffer?“, fragte Chan.
„Ist nur so eine Redensart der Menschen“, erklärte ich.
Kira umarmte Jan. „Das ist mega cool. Weißt du, was echt spitze wäre? Wenn wir im Urlaub in einem Fall ermitteln könnten.“ Kira löste sich von Jan und runzelte die Stirn. „Es gibt nur ein Problem. Wo bringe ich die Hamster unter?“
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