Na gut, nun ist da jetzt Chris, aber daran glaubt sie selbst nicht wirklich.
Da steht er nun und blickt sie mit seinen hinreißend blauen Augen an. Nach einigen Wochen treffen sie das erste Mal wieder aufeinander. Kurzzeitig zieht sich alles in ihr zusammen, als er sie anlächelt. Noch immer findet sie ihn so unglaublich attraktiv, denn er war nicht umsonst einmal ihr Geliebter. Doch sie weiß, dass lediglich Faszination für ihn vorhanden ist, er ist immerhin ein schöner und intelligenter Mann. Außerdem ist er vergeben, was für sie ein absolutes Tabu ist. Schließlich eilt sie auf ihn zu, woraufhin er sie sofort in seine Arme schließt.
»Hallo meine Süße.« Sanft küsst er sie auf die Stirn. Vor einigen Monaten hätte sie dies niemals zugelassen, heute macht es ihr nichts mehr aus.
Dylan grinst sie an und umarmt sie innig. Sobald dieser die Tür öffnet, dröhnt ihnen auch schon der Bass entgegen. Mit beiden Männern im Arm betritt sie den Club. Sie genießt die Blicke der Gäste, immerhin begleiten sie zwei sehr sexy Typen. Augenblicklich ist sie nicht mehr Lilith die Schüchterne, sondern Lil die Aufgedrehte.
An ihrem Stammplatz in der hintersten Ecke der großen Tanzfläche sitzen bereits Chloe, Holly und Sarah auf der schwarzen Ledercouch. Davor stehen Ed und Grace knutschend an dem Tisch. Die beiden Punks lassen sich überhaupt nicht von den Neuankömmlingen ablenken. Das Pärchen ist seit Jahren zusammen und noch immer wirken sie auf andere wie frisch verliebt. Mia und Neil sind seit zehn Lenzen ein Paar, doch so wild vor anderen herumzuknutschen würde den beiden nicht im Traum einfallen.
Sogleich erhebt sich die liebreizende Sarah und umarmt Lilith. Der blonde Pagenschnitt lässt sie viel jünger aussehen, als sie tatsächlich ist, und ihre grauen Augen funkeln stets keck. Ihre stille und zurückhaltende Art gefiel ihr von Anfang an. Dafür ist ihre beste Freundin Holly das genaue Gegenteil. Mit ihren knallrotgefärbten Haaren wirkt sie zudem manchmal extrem schrill, was aber nicht nur an der Haarfarbe liegt. Und Gegensätze ziehen sich bekanntlich an.
Schlussendlich ist da noch Chloe. Diese ist eine Freundin von Dylan und das Küken in der Gruppe. Kurzzeitig hatten die beiden etwas miteinander, aber das verlief sich bald im Sand. Schmunzelnd erinnert sie sich, dass er ihr einmal sagte, dass Chloe ihm zu jung wäre. Er ist selbst erst 26 und findet ältere Frauen viel reizvoller. Plötzlich erinnert sie sich an die Affäre zwischen ihm und Sonja.
»Süße?«, unterbricht Mia sie in ihren Erinnerungen. »Wollen wir an die Bar und uns was zu Trinken besorgen?«
»Ja, gern«, erwidert sie und zusammen mit Dylan gehen sie an die Bar.
Lilith tanzt beinahe die ganze Nacht hindurch, ob nun auf der Tanzfläche oder an ihrem Stammplatz vor der Couch, was ihr wie immer gleich ist - Hauptsache sie kann sich im Rhythmus der Musik bewegen. Bei langsamen Liedern schäkert sie sogar mit Ethan herum, so sehr amüsiert sie sich. Solchermaßen hat sie ihn vermisst.
Als der Club schließt, werden sie regelrecht hinausgekehrt. Laura hat sie tatsächlich nur ganz kurz gesehen. Da sie mit ihrem eigenen und vor allem sehr jungen Freundeskreis unterwegs war, haben die beiden heute gar nicht miteinander gesprochen, sich bloß aus der Entfernung zugewunken.
Auf dem Parkplatz verabschiedet sie sich von den Freunden. Bei Ethan verweilt sie länger, als sie sollte. Als er sie mit seinen stahlblauen Augen auf diese umwerfende Art anblickt, kann sie auf einmal nicht anders und drückt ihm einen Kuss auf die Wange. Daraufhin eilt sie lachend zu ihrem Auto. Bloß nicht zu viele Emotionen aufkommen lassen oder gar zeigen!
»Du wirst doch keine Dummheiten machen und in alte Gewohnheiten zurückfallen?«, neckt Sonja sie auf dem Heimweg.
Unbefangen zuckt Lilith die Schultern. »Wer weiß. Aber du musst zugeben, dass Ethan ein Typ ist, der einfach nicht älter wird, sondern immer besser aussieht.«
Von der Rücksitzbank ertönt lautes Gelächter. Daraufhin blickt sie in den Rückspiegel und sieht Mia prustend mit erhobenem Zeigefinger. »Lilith!«
»Ach Leute, was soll ich denn machen? Ethan ist vergeben und Chris … Wahrscheinlich werde ich ihn eh nie wiedersehen. Irgendwas mache ich grundlegend verkehrt, oder?« Wenn sie wüssten, dass sie gar nichts falsch macht, sondern die ersten Steine aus dem Weg geräumt sind. Falls sie sich jemals darauf einlassen sollte und wenn er weiterhin Interesse zeigt. Ethan trauert sie nicht mehr hinterher, sie hat schlichtweg Spaß und er weiß das.
»Ich habe dir doch gesagt, du hättest dich ranhalten sollen, er hätte bestimmt nicht Nein gesagt«, lässt Neil erneut verlauten, er kann es einfach nicht lassen.
»Dein Ratschlag kam aber leider etwas zu spät«, kontert sie und schmunzelt in sich hinein. Und wieder denkt sie: ›Wenn sie wüssten!‹ Damit drückt sie aufs Gas.

G
erade erwacht, richtet er sich auch schon auf. Ihn treibt schlichtweg die Neugier aus dem Bett. Schmunzelnd liest er ihre gestrige Nachricht, noch bevor er irgendetwas anderes macht und antwortet ihr postwendend.
›Hallo Lilith,
mir geht es wirklich sehr gut. Danke der Nachfrage. Wie geht es dir denn? Hat dich der Alltag wieder?
Natürlich darfst du mich fragen. Ich befinde mich derzeit an der Ostküste bei Norman. Der Ort wird dir sicher nichts sagen. Wo bist du denn zu Hause?
Deine überaus umfangreiche Filmauswahl in deinem Profil ist aber auch schwer zu toppen, da ist ja für jeden etwas dabei. Bücher? Die kann ich bei dir leider gar nicht sehen. Aber ja, ich mag eben die Klassiker. Zu gern würde ich mich mit dir darüber einmal persönlich unterhalten. Ich glaube, wir könnten Abende füllen.
Liebe Grüße Chris
PS: Du darfst mich tatsächlich alles fragen.‹
Gut gelaunt macht er sich fertig und geht im Anschluss pfeifend in die Küche hinunter. Heute wird er sich die ersten Vorschläge von seinem Makler ansehen, der ihm gestern Abend per E-Mail einige Angebote geschickt hatte. Für morgen hat er sich die erste Hausbesichtigung vorgenommen. Der Ruhm hat endlich mal seine Vorteile, denkt er belustigt.
Doch der Tag verläuft alles andere als gut. Er ist schlichtweg ereignislos. Die Exposés waren nur teilweise interessant, irgendwie hat ihm keines der Anwesen so recht zugesagt. Bei keinem hatte er annähernd das Gefühl, dass er sich darin zu Hause fühlen könnte. Deshalb hat er alle abgelehnt und die Planung für den morgigen Tag ebenfalls verworfen. Demzufolge hat er weiterhin Zeit, um sich auszuspannen. Schließlich muss der Makler nun neue Vorschläge anbringen, was nicht so einfach werden wird.
Norman meinte im Laufe des Tages, dass er seine Habseligkeiten zur Not auch hier im Haus und in der großen Garage abstellen könne. Dankend nahm er das Angebot an, falls es soweit kommen sollte. Seit gestern ringt er mit sich, ob er seinem Freund von Lilith erzählen sollte, er kam letztendlich zu dem Entschluss, dass er erst einmal die Scheidung abwarten wird, und dann wird er ja weitersehen. Irgendwie beschleicht ihn das Gefühl, dass der Bandkollege bereits eine Ahnung hat. Was aber im Grunde genommen gar nicht sein kann, denn hat er nicht einmal etwas in diese Richtung verlauten lassen und er hat sie auch nie zusammen gesehen.
Den restlichen Tag verbringt er mit ihm in dessen Garten. Für morgen nimmt er sich fest vor, an den Strand zu gehen. Das hat er schon lange nicht mehr getan. Erst am späten Abend ruft er eine weitere Nachricht von ihr ab.
›Hallo Chris,
mir geht es ebenfalls sehr gut, danke. Ja, der Alltag hat mich voll und ganz wieder. Deshalb kann ich dir auch jetzt erst antworten, da ich gerade eben aus dem Geschäft gekommen bin.
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