1963 wurde ihre Tochter Gisela geboren, meine ältere Schwester, und Charlotte war nun wirklich voll und ganz beschäftigt mit dieser neuen Aufgabe und damit, den Haushalt in der kleinen Wohnung in Ordnung zu halten. Obwohl sie nun zu dritt waren, lehnte Wolfgang es ab, in eine größere Wohnung zu ziehen, er meinte, das würde schon irgendwie gehen. Wenn Wolfgang zu Hause war, spielte er immer mit Gisela und es war ihm anzumerken, dass er sehr glücklich war, denn er nannte sie immer seinen kleinen Engel.
Jeden Morgen ging er aus dem Haus und kam erst spät abends zurück, das Haushaltsgeld, dass er ihr jede Woche gab, war so üppig, dass Charlotte wirklich froh war, endlich keine finanziellen Sorgen mehr zu haben. Gisela war ein aufgewecktes Mädchen und so kam es Charlotte so vor, als hätte sie endlich das Ziel ihres Lebens erreicht.
Es war ein Donnerstagvormittag, Gisela war inzwischen zwei Jahre alt, als dieser Traum schon wieder zusammenbrach. Charlotte war sehr erschrocken, als sie nach dem Klingeln an der Haustür die Tür öffnete und die Polizei vor der Tür stand. Sofort dachte sie, dass Wolfgang etwas passiert sei, dass er vielleicht einen Unfall gehabt hätte und schwer verletzt sei, in ihrem Schrecken rechnete sie sogar mit einer Todesnachricht. Eine Todesnachricht war es nicht, die ihr die Polizisten überbrachten, doch kam es ihr vor wie ein Todesstoß und plötzlich ergaben die kleinen Merkwürdigkeiten der Vergangenheit, über die sie nie länger nachgedacht hatte, auch einen Sinn.
„Sind Sie Frau Stötzel?“
„Ja.“
„Wissen Sie, wo Ihr Mann ist?“
„Nun, ich nehme an, dass er in seinem Geschäft ist oder auf Besuch bei einem Kunden.“
Einer der beiden Polizisten zeigte Charlotte ein Foto, das sehr unscharf war, es zeigte einen Mann vor einem Bankschalter mit einer Maske und einer Pistole in der Hand. Natürlich konnte man nicht genau erkennen, wer das war, aber von der Körperhaltung und der Kleidung her hätte es Wolfgang sein können.
„Das ist selbstverständlich nicht mein Mann, wir haben einen gut gehenden Möbelhandel. Warum sollte mein Mann eine Bank überfallen, das hat er doch gar nicht nötig, außerdem ist mein Mann ein herzensguter Mann, er würde so etwas niemals tun.“
„Frau Stötzel, ein Bankkunde, der ihren Mann kennt, hat uns glaubhaft versichert, dass es sich um Ihren Mann handelt. Deswegen hat Ihr Mann wahrscheinlich auch auf diesen Kunden geschossen, er liegt jetzt verletzt im Krankenhaus, aber es besteht keine Lebensgefahr. Ihr Mann befindet sich auf der Flucht, aber wir vermuten, dass wir ihn sehr schnell verhaften können, denn er ist mit seinem eigenen Wagen geflohen. Falls Ihr Mann bei Ihnen auftaucht, sollten Sie uns sofort verständigen, er hat einfach keine Chance; er könnte seine Situation jedoch dadurch verbessern, dass er sich selbst der Polizei stellt.“
In ihrem Schock war Charlotte nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Warum hatte er das getan, sie konnte einfach keine Erklärung dafür finden. In dem Prozess gegen Wolfgang Stötzel sah Charlotte ihren Mann zum letzten Mal und hier erfuhr sie auch, dass ihr Mann tatsächlich sehr viele Möbel verkauft hatte, weil sie außerordentlich preiswert waren, allerdings hatte er die Rechnungen der Hersteller seit Monaten nicht mehr bezahlt, sodass sich seine Schulden inzwischen auf über eine halbe Millionen Mark angehäuft hatten und nun hatte er versucht, eine Katastrophe durch eine andere zu beheben.
Charlotte blieb als einzige noch lange im Gerichtssaal sitzen, acht Jahre Gefängnis waren das Resultat einer kurzen glücklichen Beziehung, auch wenn sie Wolfgang nicht geliebt hatte, so hatten sie doch ein normales Familienleben geführt.
Als sie nach Hause kam, holte sie Gisela bei der Nachbarin ab, die in der Zwischenzeit auf sie aufgepasst hatte. Da saß sie nun mit ihrer kleinen Tochter und erst jetzt wurde es ihr zur schrecklichen Gewissheit, dass ihr Mann, der Ernährer der Familie, nicht mehr auftauchen würde, sodass ihr nichts anderes übrig blieb, als sich wieder eine Arbeit zu suchen. Viel schlimmer war der Gedanke, dass sie ihre Tochter in eine Pflegefamilie geben musste, weil sie niemanden hatte, der sich hätte um sie kümmern können, während sie arbeiten ging. Die Tränen liefen ihr über die Wangen, denn sie konnte es einfach nicht fassen, dass sie mit ihrem Kind nun dasselbe machen musste, was ihre Mutter mit ihr gemacht hatte.
Charlotte wollte nicht länger in Schweinfurt bleiben, weil sie hier alles an den Mann erinnerte, der sie so schrecklich hintergangen und belogen hatte, zumindest hatte er ein Leben geführt, das ihr verborgen geblieben war und deshalb wollte sie ihn auch nicht wiedersehen und deswegen zog sie wieder nach Fulda, wo sie sich besser auskannte und wo sie hoffentlich einige Bekannte wieder treffen würde.
Wieder einmal musste Charlotte Kontakt mit dem Jugendamt aufnehmen und wieder war es die korpulente Dame, mit der sie auch beim letzten Mal zu tun hatte und sie war genauso verständnisvoll und freundlich, sodass es in kürzester Zeit gelang, eine nette Pflegefamilie für Gisela zu finden. Trotz allem hatte Charlotte das Gefühl, es würde ihr das Herz brechen. Sie fand auch sehr schnell eine Anstellung als Kellnerin in einem Restaurant, sodass zumindest die äußeren Umstände geregelt waren.
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