1 ...7 8 9 11 12 13 ...53 Am Horizont sah er etwas am Himmel, es bewegte sich sehr schnell, wurde immer größer. Erst sah es wie ein großer Vogel aus, aber schon bald erkannte Eric die schwarzblaue, trotzdem leuchtende Farbe und die mandelförmigen, unbeschreiblichen Augen. Der eiskalte Sturm, welcher die Wolken wie Schafe vor sich her hetzte, verschwand augenblicklich. Kein Ton, als hätte man nach einer Woche lauter Musik plötzlich den Strom abgestellt. Die Stille war so erdrückend, als würde er vergessen, wie sich Hören überhaupt anfühlte. Das Tier schwebte einen Moment lang weit über ihm im Kreis, schien sich umzusehen. Dann faltete es die Flügel zusammen und fiel wie ein Fels aus der Luft. Im letzten Moment, kaum zehn Meter über dem Boden, klappten die riesigen Flügel blitzschnell wieder auf und eine erbarmungslose Druckwelle fegte Milliarden von Eiskristallen über den weißblauen Boden, schlug Eric stechend kalt um die Ohren und wehte ihn um.
Der Drache war riesig. Bis zum Kopf mindestens elf Meter hoch und von der Schnauze bis zur Schwanzspitze mussten es mehr als siebzehn Meter sein. Die Maße wehten einfach wie eine Gewissheit durch Erics Geist, er hatte nur Augen für die Schönheit des Drachen, der ihn mit seinem lähmenden Blick misstrauisch anstarrte und jede Bewegung von Eric scharf verfolgte, der sich mit tauben Gliedmaßen und zunehmend bläulichen Lippen wieder aufrappelte. Seine Schuppen glänzten leicht, fingen das magische Blau des Eises und die Farben der Wolken ein und als Eric die Muskeln und Krallen des Tieres sah, machte er instinktiv ein paar Schritte zurück, was der Drache seinerseits ohne Verzögerung mit einem Schritt auf Eric zu beantwortete. Weiter konnte Eric nicht, er war wieder von den Augen eingefangen. Doch der Drache blieb nicht stehen. Eric konnte die Augen nicht deuten, war sich nicht sicher, ob er Tod und reine Bösartigkeit oder nur Vorsicht und Offenheit in ihnen sah. Das gewaltige Wesen wirkte eher so, als wäre Ersteres der Fall, martialisch und brutal. Doch etwas in Eric machte ihm klar, dass es sinnlos war, die Situation menschlich zu bemessen. Er hatte keinen Menschen vor sich. Die Hitze, die der Drache ausstrahlte, war angenehm aber sehr stark und das Eis unter ihm fing an zu schmelzen. Der Drache knurrte leise, senkte leicht den Kopf und kam immer näher. Eric spürte das grollende Geräusch im Bauch, beobachtete, wie der mächtige Ton die Oberfläche des Schmelzwassers kräuselte. Er spürte eine Stimme in seinem Kopf:
»Ich kenne dich. Bleib stehen.«
Er schnüffelte an Eric, der ihm erschrocken ausweichen wollte aber nicht konnte. Der Drache wirkte, als würde er Erics Angst sofort erkennen. Seine Augen verengten sich, blitzschnell und brutal schlug eine seiner Klauen keinen Meter neben Eric ins Eis und die langen, scharfen Krallen gruben sich langsam, unaufhaltsam und unter splitterndem Knacken in das steinharte Eis. Eric erschrak heftig, spürte den Aufprall in den Knien und einige der kleinsten Splitter trafen ihn am Kopf, in welchem sich erneut Worte formten:
»Bleib stehen.«
Der Drache öffnete sein Maul einen Spalt weit, näherte sich bis auf kaum eine Armlänge. Eric erkannte Zähne, in mehreren Reihen und Größen, wie er sie noch nie gesehen hatte und eine Art Greifzunge mit langen, schlangengleichen Gliedern, vermutlich genauso gefährlich wie die unglaublich spitzen Zähne selbst. Der Drache atmete die eisige, sauerstoffreiche Luft ein, was seinen Schlund kurz feurig aufglühen ließ. Wie ein kurzer Windstoß von hinten zog die Luft schnell und heftig an Eric vorbei und er taumelte vorwärts, wäre fast in sein Verderben gestolpert. Ein merkwürdiger Geschmack entstand in seinem Mund und kribbelte in der Nase, kreiste hinter seiner Stirn und wehte durch seinen Kopf, er öffnete das Maul noch weiter, atmete eine unglaublich heiße Luft wieder aus und Eric spürte genau dieselbe Panik wie in seinem Traum, bevor das Monster ihn erreichte und auffraß.
»Die andere Seite. Endlich. Wach auf, das hier ist real. Zeige keine Angst. Vertraue niemals blind, sonst vertraue ich dir nicht. Das wäre sehr schlecht für dich.«
Eric glaubte, sich verhört zu haben. Selbst, falls er überhaupt verständliche Worte erwartet hätte, dann hätte er irgendetwas Gebieterisches oder Stolzes und vor allem vornehme Sprache erwartet. Aber dieser Drache kam nicht aus irgendeinem Märchenbuch und vermutlich waren ihm Sprache, Goldschätze und Prinzessinnen ebenfalls völlig egal. Es gab nichts in Erics Leben, was diesen Moment hätte beschreiben oder vorbereiten können. Er zitterte am ganzen Leib, es beunruhigte ihn, dass die erste Mitteilung dieses Riesen nach dessen direkter und derber Warnung, einer offenen Drohung sehr nahe kam. Und nun, wo er das Maul des Tieres keinen halben Meter vor sich hatte, überlegte er schon, wie bequem er darin Platz hätte. Seine Zunge bewegte sich langsam, tief im Inneren der Nüstern erkannte er höllische Glut und ein heißer Lufthauch wehte ihm erneut ins Gesicht, erinnerte ihn fast zynisch daran, dass er bald erfrieren würde. Eigentlich. Gerade jetzt war das unmöglich, bei der Hitze, welche er vor sich hatte. Erst jetzt wurde Eric bewusst, wie unglaublich dunkel der Drache war. Die Schuppen machten irgendwas mit dem Licht, es war beinahe unmöglich, ihre wahre Farbe und Beschaffenheit zu bestimmen. Seine Klauen zuckten kurz, er zog sie aus dem Eis und neben Eric blieb ein beachtliches und dampfendes Loch im Boden zurück, welches sich sofort mit Schmelzwasser füllte.
Eric kämpfte gegen den Drang an, wegzulaufen. Würde sowieso nicht funktionieren. Er vertraute einfach auf die Freundlichkeit des Drachen und hoffte, dass der sein Misstrauen verlieren würde. In einer Geste, welche ihn instinktiv überkam, kniete er sich mühevoll hin und verneigte sich. Unterwerfung. Einen Moment lang, es kam ihm wie ein Leben vor, geschah gar nichts. Der Drache las immer noch seine Gedanken und Gefühle und Eric spürte seine Unentschlossenheit, erkannte gelähmt aus den Augenwinkeln, wie ein kurzer Ruck durch die gigantischen Schwingen ging und die Hitze immer stärker wurde. Doch dann, Eric hatte schon geglaubt, er würde abermals sterben, faltete er seine Flügel ganz zusammen und machte einen Schritt zurück.
Eric bewunderte die Geschmeidigkeit, die er trotz seiner Größe und des vermutlich hohen Gewichts besaß und traute sich kaum, den Kopf zu heben. Aber er überwand sich wieder. Er musste sich dieses Wesen unbedingt von allen Seiten ansehen. Der Drache folgte ihm mit dem Blick, als er ihn umrundete und legte sich schließlich hin. Der lange, starke Schwanz kroch wie eine riesige Schlange über das Eis auf Eric zu und bäumte sich ein Stück vor ihm auf, ermahnte ihn, nicht zu weit zu laufen. Er erkannte eine Art Spitze am Ende, welche glänzende, offensichtlich messerscharfe Kanten hatte und scheinbar eine Art Stachel verbarg.
»Bleib dicht bei mir. Es ist nicht viel Zeit.«
Eric hielt Abstand, als er die Zacken auf dem Schwanz erkannte. Sie waren so lang wie seine Hände, ihre Kanten sahen ebenfalls unglaublich scharf aus. Plötzlich stand der Drache auf und spannte die Flügel zu voller Größe aus, tat einen sanften Schlag und fächerte. Er streckte sich ausgiebig, als hätte er lange geschlafen. Erics Herz sprang ihm fast aus der Brust, er hatte die plötzliche Bewegung nicht erwartet und musste sich zusammenreißen, um normal weiter zu atmen. Offensichtlich war es dem Drachen völlig egal, von allen Seiten bestaunt zu werden. Er überwachte jeden Millimeter und jede Bewegung, beobachtete die Umgebung gezielt und hielt seine Nüstern in den Wind, als wäre etwas in der Nähe. Sein starker Hals war so beweglich, dass er Eric mühelos selbst dann hätte erwischen können, wenn der sich auf die Schwanzspitze gestellt hätte.
Eric stand wie in kleines Lebkuchenmännchen neben den riesigen Hinterbeinen des Drachen, hatte noch nie etwas derartig Kraftvolles gesehen und schauderte, als der Drache die unglaublichen Krallen erneut gegen jeden Widerstand ins Eis bohrte. Er schien die Kälte gern zu spüren. Im Zoo hatte Eric einmal neben einem ausgewachsenen Elefantenbullen gestanden und dessen Beine und Füße hatten ihm schon Angst gemacht. Wieder fühlte er sich klein und unbedeutend, was die lauernde Angst in den Untiefen seines Geistes noch weiter schürte. Seine riesigen, hautbespannten Flügel warfen einen noch blaueren Schatten durch die leicht transparenten Schuppen, von welchen sie dicht und fein bedeckt waren. Die Flügel erinnerten Eric entfernt an jene einer Fledermaus, nur so viel größer, dass der Vergleich lächerlich erschien. Er lief unter den gewaltigen Bauchmuskeln durch und flitzte auf die andere Seite. Es war wie ein Wunder. Der Drache blieb ruhig, ließ sich betrachten. Er schluckte, ihm wurde heiß. Dann fragte er vorsichtig:
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