In seinem Zuhause angekommen, wurden die Einkäufe verstaut, die Gefangenen geschlachtet und als sie aufhörten herum zu schlängeln, fädelte Rigo sie durch Kopf und Maul stechend auf die Metallteile eines alten Regenschirmes, die er für den kommenden Räuchervorgang zweckentfremdet hatte. Einen halben Sack mit Buchenspänen, welche er im letzten Jahr in der Tischlerei in der Kreisstadt günstig erworben hatte, holte er aus den Analen seiner Behausung hervor und das alte Ölfass wurde angeheizt. Das Fass hatte er schon vor Jahren am Strand gefunden und den Deckel und Boden entfernt. Ein paar alte Mauersteine aus dem zusammengefallenen hinteren Teil seines Domiziles waren zum unterbrochenen Kreis gestapelt und das Ölfass darauf gesetzt worden.
Die Schirmspanten mit den bedauernswerten aber wohlschmeckenden Opfern seiner Freveltat wurden oben eingehängt und, als die Späne den ersten Rauch entwickelten, ein feuchter Jutesack darüber gedeckt damit der Rauch sein volles Aroma entwickeln konnte. Rigo saß versonnen, immer mal eine Handvoll Späne nachlegend, davor und genoss den Sommerabend.
Ein fetter Aal frisch aus dem Rauch mit einem Stück Graubrot dazu waren zwei Stunden später sein wohlverdientes Abendmahl. Rigo wusste genau, was er sich mit diesem leckeren Vergnügen antat. Und prompt kamen seine Leber und seine Galle des Nachts überein, ihn mit allerlei Krämpfen zu beglücken. Morgens nach einem starken Kaffee und reichlich Stoffwechsel war dieser Alptraum aber schnell vergessen und das Wohlbefinden seines meist sonnigen Gemütes wiederhergestellt. Also, auf zur Arbeit zum Sternhof.
Dort angekommen waren bereits „alle Hände an Deck“. Mehrere Urlauberinnen und Urlauber welche, auf dem zur Pension umgearbeiteten Sternhof Quartier genommen hatten, standen als Helfer bereit. Henning, der alte Mohl und sogar der junge Mohl, der zu Besuch gekommen war, waren bereit, den Fischzug zu beginnen. Das Schleppnetz und diverse Jutesäcke geschultert, ging es im Gänsemarsch los. Erst am Schuppen mit dem Hühnerstall vorbei, das unvermeidliche Räucherölfass, welches selbstverständlich auch auf dem Sternhof zu finden war, rechts liegen lassend, ging es schnurstracks hinein in ein Weizenfeld.
Durch dieses Weizenfeld führte ein Trampelpfad zu den beiden in Angriff genommenen Wehlen. Die Weizengerten stachen allen Leichtbekleideten in Arme und Beine, aber diese konnten froh sein, dass dieses Jahr Weizen und nicht Raps ausgesät war. Dieser hätte ärgere Verletzungen hinterlassen. Der größere, langgestreckte Wehl gehörte nur zur Hälfte zum Grundbesitz des alten Mohl und musste, um die Schleppleine des Netzes auf die andere Seite zu befördern, durchschwommen werden. Um die Leine, ohne nass zu werden, dorthin zu befördern, hätte man mit dieser um das gesamte untere Ende des Wehles gehen müssen und der dichte Schilfgürtel hätte irgendwann die Leine fest im Griff gehabt, also musste jemand hinüber schwimmen.
Eine Urlauberin, deren „psychische Andersartigkeit“ sie sowieso begeistert in jeden Tümpel springen ließ, war gern bereit, diese ehrenvolle Aufgabe zu übernehmen. Und so gelangte die Schleppleine unbeschadet ans andere Ufer, wo bereits die „Schlepper“ warteten. Das Netz wurde in der Mitte des Wehles platziert und, überspannte nun den Grund in voller Breite, um kaum Platz zum Entweichen der Beute zu lassen. Dann zogen alle Damen und Herren es bis zum Ende des Wehles und holten es ein, bis das trichterförmige Ende, welches mit reichlich Aalen gefüllt war, in Sicht kam.
Mehrere Männer hielten den Jutesack auf und das darüber gehaltene Netzende wurde geöffnet. Die Aale verschwanden im Sack und – gleich wieder im Wehl. Verdutzt und etwas konsterniert kommentierte der alte Mohl diesen Missgriff mit den Worten: „Oh, in düssen Büddel is ja gor keen Moors in.“ (Oh, in diesem Beutel ist ja gar kein Popo drinnen.)
Lachen und Fluchen aller Orten, aber Aale sind auch mit keiner größeren Intelligenz gesegnet und so wurde der Fischzug noch mehrere Male wiederholt und penibel darauf geachtet, dass nicht wieder ein Schlauch statt eines Beutels zum Einsatz käme. Viele Aale hatten wohl zweimal das zweifelhafte Vergnügen, ins Netz zu gehen.
Nachdem auch der kleinere der Wehle seine fettesten Fische preisgegeben hatte und alle Beteiligten abgearbeitet, zufrieden und voll gespickt mit Bremsenstichen durch das Getreide heimwärts trotteten, war für dieses Jahr Ruhe in den Fischgründen eingekehrt. Nur ein paar einsame Angler, die sich von Pferdebremsen nicht entmutigen ließen, versuchten weiterhin ihr Glück.
Aber die Arbeit war noch nicht vollbracht. Während die Urlauber platt wie die Flundern auf und in ihren Betten lagen, gingen Henning und Rigo daran, die Aale zu schlachten und zum Räuchern vorzubereiten. Der alte Mohl und seine Frau Käthe, welche neben der Pension auch eine Dackelzucht betrieb, betrachteten das Werk, als dann rund achtzig Aale auf Stangen gespießt an dem großen Lattenregal auf dem Hof hingen. Auch ein Wurf Dackel, der Schäferhund Rex sowie einige wiedererwachte Urlauber lungerten um die fette Beute herum.
Aber das Gelage um die Räuchertonne herum sollte erst am Abend beginnen. Bis dahin wurden von allen weiterhin die „schönsten Tage des Jahres“ genossen. Rigo wollte mit der abends angesetzten Räucherparty nichts zu tun haben. Die unweigerlich folgende Verbrüderung der dann stark alkoholisierten, schaurigen Gang war ihm zutiefst zuwider und er verabschiedete sich höflich mit der Bitte, ihm einige Aale zu reservieren, die er in den nächsten Tagen abholen wolle.
Der Räucherabend verlief wie von Rigo befürchtet. Neben diversen Aalen, welche frisch aus dem Rauch und fetttriefend am besten mundeten, ging die eine oder andere Kornflasche herum um, das Fett an der Leber vorbei zu schmuggeln. Je Aal eine Daumenbreite aus der Kornflasche waren angesagt und alle hielten sich daran. „Alte Kate“ hieß der destillierte Weizen und irgendein Witzbold hatte mit Kugelschreiber daraus „Alte Käthe“ gemacht und die alte Käthe hielt kräftig mit.
Auf dem Sternhof sahen viele nur noch Sterne und einige, deren Mägen den fetten Aal und den Korn nicht zu würdigen wussten, hatten sich springbrunnenmäßig in Sauer gelegt. Rigo hörte vom lachenden Henning die Aalgeschichte und ließ lieber noch einen Tag ins Land gehen, bevor er sich von Käthe Mohl seinen Arbeitsobolus abholte, zumal er noch seine Fischwilderei zum Verspeisen kühl gelagert hatte.
Die Tage gingen ins Land und bevor die Gutwetterperiode zum Ende kam, hatte Rigo noch etwas Besonderes vor. Die Tide lag günstig, sodass er bereits am frühen Morgen mit dem ablaufenden Wasser ins Watt gehen konnte. Dies war wichtig, da Rigo vorhatte, der Sandbank Blausand weit draußen im Wattenmeer einen Besuch abzustatten. Ein nicht ungefährliches Vorhaben, weil das Erreichen dieser Sandbank über zehn Kilometer Fußmarsch beanspruchte, was in einer Tide nicht zu schaffen war. Die Flut würde ihn auf dem Rückweg unweigerlich einholen und er würde ertrinken, wie es bereits vielen Unwissenden vorher vergönnt war. Rigo würde die Nacht in der dortigen Rettungsbarke verbringen müssen, die einen Schutzraum vorweisen konnte.
Rigo Walder kannte in dieser Gegend jeden Priel. Er kannte tatsächlich jeden dieser mal flachen und mal tiefen Wasserläufe in den Sänden, die die Ebbe zurückließ, und die bei auflaufendem Wasser schon manchem unkundigen Wattwanderer den Rückweg abgeschnitten hatten. Rigo wusste sogar, wenn die Priele sich im Laufe eines Jahres verlagert und ihre Verläufe geändert hatten. Gleichwohl bedurfte das Vorhaben einer umfangreichen Vorbereitung. Denn es war selbstverständlich verboten, eine solche Gefahr auf sich zu nehmen. In früheren Zeiten waren ortsansässige und ortskundige Bauern häufig zur Sandbank gewandert. Der blaue Schlick, dem die Sandbank ihren Namen verdankte, enthielt reichlich Bernstein, nach dem man nicht allzu tief zu graben hatte. Aber der aufkommende Naturschutzgedanke machte allem ein Ende.
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