Ein zum Himmel schreiendes, schweres Verbrechen, so bemerkte der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor Kluth, bei der hierauf folgenden Rechtsbelehrung, ist Ihrer Beurteilung unterbreitet. Das Gesetz verbietet mir, in eine Würdigung der Beweismittel einzutreten. Ich glaube auch, die Verhandlung in einer Weise geleitet zu haben, daß niemand erraten kann, ob ich für Freisprechung oder für Verurteilung des Angeklagten bin. Ich will jedoch bemerken, daß das Gericht bei dieser Verhandlung ein von allen anderen Verhandlungen abweichendes Verfahren beobachtet hat. Während sonst, sobald die öffentliche Verhandlung begonnen, neue Beweise nicht mehr zugelassen werden, sind wir, mit Rücksicht auf die große Tragweite und die Wichtigkeit des Falles, auf alle uns im Laufe der Verhandlung angebotenen Beweise eingegangen. Alle diese Beweise haben sich als eitel Dunst erwiesen. Die anonymen Briefschreiber werden vielleicht ihre Freude daran haben, daß es ihnen gelungen ist, den Gerichtshof derartig hinters Licht zu führen. Ich gönne ihnen diese Freude. Wir haben die Genugtuung, daß wir in dem Prozeß, der in der ganzen Welt das größte Aufsehen erregt, nichts versäumt haben, daß wir weder Mühe noch Zeit gescheut haben, um Aufklärung zu schaffen. Ich freue mich, daß auch die Herren Geschworenen mit der größten Aufmerksamkeit dem Gange der Verhandlung gefolgt sind. Dies gibt mir die Gewähr, daß Sie, meine Herren Geschworenen, meine bei Eröffnung der Verhandlung an Sie gerichtete Ermahnung: nur auf der Grundlage der Verhandlung nach bestem Wissen und Gewissen Ihren Wahrspruch abzugeben, befolgen werden. Sie wissen, daß die politischen und sozialen Gegensätze sich immer mehr verschärfen, daß die Bevölkerung Deutschlands zum Teil aus Judenfreunden, zum Teil aus Judengegnern besteht. Den Ausdruck »Antisemiten« will ich nicht gebrauchen. Allein die Wogen des Parteigetriebes dürfen nicht bis an den Richtertisch heranreichen. »Der Richter steht auf einer höheren Warte als auf der Zinne der Partei«. Dieses Dichterwort muß in seiner Variation auch Ihnen als Richtschnur dienen. Vor dem Richterstuhle sind alle Menschen gleich. Der Richter hat nicht danach zu fragen, ob der Angeklagte ein Jude oder ein Christ ist, er soll ohne Ansehen der Person urteilen und sich von dem Parteigetriebe der Außenwelt nicht beeinflussen lassen. Sie haben eine Reihe von Zuschriften erhalten, ich bin aber überzeugt, Sie werden keinerlei fremden Einfluß auf sich einwirken lassen. Sie haben die Pflicht, sowohl der Anklage als auch dem Angeklagten gerecht zu werden, und zwar lediglich auf Grund der Ihnen vorgeführten Verhandlung. Ich hielt es für nötig, dies hervorzuheben, um damit gleichzeitig den Standpunkt des Gerichtshofes kundzugeben.
Der Vorsitzende gab im weiteren den Geschworenen die vorgeschriebene Rechtsbelehrung und bemerkte ihnen, daß der Antrag des Staatsanwalts auf Nichtschuldig sie nicht verpflichte, dem Antrage zuzustimmen. Der Vorsitzende schloß die Rechtsbelehrung mit den Worten: Nun lege ich das Schicksal der Anklage und des Angeklagten vertrauensvoll in Ihre Hände.
Die Beratung der Geschworenen dauerte kaum eine halbe Stunde.
Als der Obmann Graf v. Loë den Wahrspruch verkündete: Die Geschworenen haben die Schuldfrage verneint, brach das Publikum in stürmische Bravorufe aus. Der Vorsitzende verkündete alsdann: Im Namen Seiner Majestät des Königs hat der Gerichtshof für Recht erkannt, daß, nachdem die Herren Geschworenen die Schuldfrage verneint haben, der Angeklagte Buschhoff von der Anklage des Mordes freizusprechen und die Kosten des Verfahrens der Staatskasse aufzuerlegen seien. Außerdem hat der Gerichtshof beschlossen, den Angeklagten sofort aus der Haft zu entlassen.
Das Publikum begleitete das freisprechende Urteil mit einem stürmischen Bravo. Buschhoff weinte heftig.
Buschhoff konnte selbstverständlich nicht mehr nach Xanten zurückkehren. Sein zerstörtes Besitztum verkaufte er. Er lebte noch einige Jahre in Ehrenfeld bei Köln. Durch mildtätige Sammlungen war es ihm möglich, sich einen neuen Erwerbszweig zu gründen. Die große Aufregung und lange Haft hatten aber seine Gesundheit untergraben. Er ist vor einigen Jahren gestorben.
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