Salomo Friedländer
Das widerspenstige Brautbett
Und andere grotesken
Saga
Tobias und die Backpflaume.
(„O meine Brüder, es ist viel Weisheit darin, daß viel Kot in der Welt ist!”)
Also sprach Zarathustra. —
Bin Mistkehrer, liebes Fräulein, gnädige Dame. Ich heiße Tobias.
Was kann Sie denn da?
Eine Backpflaume, liebe Dame.
Ach was lieb von Ihrem Fraueben! Es gibt Ihnen Backpflaumchen mit auf Ihren mühseligen Weg?
Was?
(Die Dame wiederholt es ihm.)
Nein, meine gute Dame, ich habe gar kein Frauchen, ich —. Es ist auch nur eine Backpflaume.
Ih, wirklich? Aber Sie kaun doch so lange!
Ja, ich spucke den Dreck weg, es klebt noch’ne Menge dran.
Ja, was denn?
Na, ich brauche doch den Mist nicht mitzuessen?
Aber Sie werden doch nicht etwa! Herrjeses!
Was? Mir eine rauslangen aus’m Mist — wo werde ich denn nicht? Will doch auch mal naschen. Ach Gott, gute Frau, Sie erbrechen sich ja, machen mir Arbeit; ich hatte den Posten schon intus gehoben. Sich haben Sie auch beschmiert? Warum?
Ja, aber lieber Mann, das geht doch nicht. Wie kann Ihnen das denn schmecken?
Es mundet mir recht gut. Besser als Kautoback.
Sind Sie denn so hungrig? Kommen Sie mit mir dinieren, ich meine Mittag essen.
Sind Sie freundlich, meine Dame. Muß aber jetzt noch Mist fahren. Ich bin gar nicht hungrig.
Also nicht einmal der Hunger entschuldigt Sie? Ohne Bedürfnis essen Sie aus dem Kehricht!
Ich sage Ihnen doch, daß ich naschen will. Ich mache mir Kontiterie. Ich letze mir den Jaum. Das liebe ich.
Na pfui auch, aus dem Mist, wohl gar Kot!
Ja, Madamchen, es ist allens Sonne. Glauben Sie vielleicht, mein Magen ist so umdreherisch wie Ihrer?
Was meinen Sie mit Sonne?
Mir hat einer vom Direktorium mal gesagt, es ist Allens Sonne. Is’n Perfesser, grünes Halsetuch, goldene Brille und so’n Buchstahiergesichte. Alles is Sonne. Wovor wolln Sie sich ekeln?
Sind Sie denn gar nicht ekel? Es gibt doch gewiß Dinge, vor denen auch Sie sich sehr ekeln würden.
Ich ekle mir nie, besonders wenn es zum Naschen ist.
Ich ekle mir provinziell nicht.
Sie meinen prinzipiell. Sie naschen also öfter so?
Tagtäglich; mit Vorliebe Backpflaumen; die befördern ...
... Schon gut, mein Lieber. Bekommt es Ihnen denn?
Wenn ich dran denke, daß Alles Sonne is, mächtig, liebe gnädige Dame. Kriege ich’n kleinen Aufstoßer, wie eben jetzt, tschuljen Sie man, brauch’ ich nur zu denken, es is ja Sonne, dann schlägt der Majen keine Welle mehr. Neilich hatt’ ich Fruchteis gefunden, schade, schon halb zermatscht, aber es war doch was. Jeden Tag’ne Backpflaume, ist das Beste.
Man sollte Ihnen das verbieten, Sie schädigen Ihre Gesundheit, es ist auch ekelhaft, skandalös. Der Herr von Ihrem Direktorium hat das sicherlich nicht so gemeint.
Madamchen, der hat mir essen sehen, und da hat er gelacht, und ich sagte ihm, was er mir gelehrt hatte: es is Allens Sonne. Da lachte er noch mehr. Sehn Se, de Sonne hat das Pfläumchen gemacht und den Mist. Die janze Erde ist ein Sonnenmisthaufen. Glauben Sie mir, es schmeckt. Was nutzt mich die Vornehmheit, wenn ich mir ekle? Je vornehmiger, desto ekliger. Zuletzt kannste nichts mehr in’n Schnabel stecken. Des bischen Jestank! Da is wieder eine mang. (Er kaut.)
(Die Dame erbricht sich.)
Na, da gehn Se doch lieber aus de Promenade! Vor Ihrem Ekel ekle ich mir, da bin ich der Vornehmige.
(Die Dame entfernt sich.)
Sie sind auch nur Jedärm hinten und Jedärm vorne. Adam war ganz aus Mist. Die Sonne hat Ihnen ausgekotzt. (Er schluckt die Backpflaume hinunter.) Menschen auf Erden wie Dreckspatzen auf’m Pferdeappel. Des is ’ne reljöse Handlung, was ich mache; der Herr, der Direktor und ich, wir nehmen immerfort Sonne auf die Zunge und in’n Bauch. Wir sind Sonnanbeter mit Leib und Seele. Weeß se nich, die olle Zieje. Des wolln jebuldete Leute sin! Ekeln sich. Wenn ick nur so rein wie die Sonne bin. So rein is Alles. Dem Einen seine reine Backpflaume, wenn er’n Unflat is, is dreckger als dem Andern seine dreckge, wenn er wie Tobias und der Herr aus’m Direktorium is. Exkermente, sagen se, Fäkalchen. Die wissen nischt von Sonne, und wie des Allens nach Sonne schmeckt. Dreckfresser jejen Sonnenfresser. Nun jeht se ab. Dinieren, sagt se; det wird wohl dünnieren sind. Ich lasse mir nischt verekeln. Am wenigsten die Backpflaume. Da liegt wieder eine! Geschmack ham solche Leute, pikfeinen. Ham nur nich den Sonnengeschmack. Des is jut! Bleibt Tobias mit der Backpflaume alleine — na, höchstens noch der Herr aus’m Direktorium. —
Die vegetabilische Vaterschaft.
Wie töricht, es für Zufall zu halten, daß Blumen das Gemüt anziehen, fesseln, gleichsam magnesitieren. Man muß gefühllos sein, um den sympathetischen Strom nicht zu spüren, der z. B. von einer schönen, voll erblühten Rose ausgeht. Und dabei wäre die Rose selbst unbeteiligt? Verlasse man sich doch nicht so aberwitzig fest auf die willenlose Unbewußtheit der Pflanzen, da man doch sieht, wie charakteristisch sie uns in jedem einzelnen Falle bestimmt beeinflussen können. Dieser Einfluß hält sich meistens, ich möchte sagen, in den Schranken des Anstandes; zuweilen aber kann er außerordentlich weitgehen. Es ist nur von tollkühnen Hypothesenmachern zu zweifeln, daß Pflanzen (kennt man doch sogar fleischfressende) auf Tiere und Menschen geradezu suggestiv einwirken können. Überhaupt ist diese wie mit der Schere geschnittene Abtrennung der Wesen das Werk gelehrter Pedanten, die nicht wissen, daß sie gegen den Zusammenhang der Natur sündigen, wenn sie trennen, ohne gehörig wieder zu verbinden. —
Eine rosa Rose nickte weit hervor aus dem vollen Gebüsch, an dessen Rande mittags im Garten nur lose gewandet das junge Mädchen schlief. Diese Rose war mit Zauberaugen sehnsüchtig auf das junge Mädchen gerichtet. Wie von geheimer Absicht geleitet, flatterte eines ihrer lichten Blätter auf die linke Brust des Mädchens. Dieses fuhr mit der Hand nach dem Herzen, schlug die Lider auf, und Auge in Auge starrten sich das Pflanzengeschöpf und das junge Weib. Die stumme Faszination, welche von der Rose ausging, brachte das Mädchen tief in deren Bann. Man hört von Schlangen, welche den Vogel durch solche Bezauberung in ihren Rachen locken. Die Rose schien irrsinnige Kräfte anzustrengen. Das Mädchen, vom Anblick der Rose gegen seinen Willen betäubt und zum Halbschlaf gezwungen, sah, noch ehe seine Augen sich wieder schlossen, die Rose auf ihrem Stengel schwanken und sich tief niedersenken. Es träumte einen Liebestraum. Die Rose verwandelte sich in einen schönen Jüngling, und dieser umschlang und genoß das ganz hingegebene Mädchen. Es erwachte nach einer Weile wie berauscht mit der Empfindung eines dunklen Wissens in den Gliedern. Der Mund brannte ihm von seltsamer Glut. Sein Schoß war mit Rosenblättern überschüttet, die Kleidung derangiert. Unwillkürlich sah es nach der Rose hin, aber es wiegte sich nur deren Stengel im Winde; die Rose schien spurlos abgefallen. —
Einige Wochen später fühlte sich das Mädchen von sonderbaren Gefühlen und leiblichen Affektionen befallen. Der Arzt schüttelte den Kopf; er beschloß abzuwarten und verriet seine Diagnose noch nicht: „Sie neigen zu Schwindel und Erbrechen, Gnädigste; Sie empfinden gewisse Spannungen. Vielleicht sagen Sie mir aufrichtig: unterhalten Sie ein Liebesverhältnis?“ Dieser Arzt wurde nicht mehr konsultiert. Indessen mehrten sich die Anzeichen eines abnormen Befindens. Man befragte nach einigen Wochen einen andern Arzt, und dieser erklärte mit Bestimmtheit sogenannte interessante Umstände. Als das Mädchen voller Empörung aufflammte, kalkulierte er: Hysterie. Jedenfalls schien eine wahre Schwangerschaft regelrecht eingeleitet, und nach und nach traten deren Phasen so unverkennbar ein, daß das Mädchen selber sich nicht mehr weigern konnte, dies anzuerkennen. Es half ihr nichts — eines Tages mußte die Wehemutter geholt werden.
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