Salomo Friedländer
Rosa, die schöne Schutzmannsfrau
Und Andere Grotesken
Herausgegeben von Ellen Otten
Saga
Es war einmal ein Riese, der war so zart, so zart! Und nun ging er durch die Menschen. Wie sanft nur setzte er seine Schritte, wie sanft. Und noch mit seinem allersanftesten zertrat er so viele nette freundliche Menschen: Frau Direktor Buller ganz platt, ganz platt; Herrn Geheimrat Wersch; Herrn Omnibuskutscher Koppke; so nette Menschen zertrat vorsichtig der zarte Riese. Da weinte er. Wie Wolkenbrüche, aber salzig, stürzten seine Tränen auf gute, liebe Menschennaturen. Die Kinderschule, ja die Kinderschule kam ins Schwimmen, brach ein, sank. Der Riese weinte, Mütter schrieen, Versicherungsgesellschaften starben. Der schmerzlich bewegte Riese warf sich zu Boden, aber die Erde bebte: London, Madrid, Zehlendorf und Nowawes fielen zusammen wie Kartenhäuschen. Gut, gut meine ich es, beteuerte der zarte, so zarte Riese, und seine reuige Stimme erzeugte einen solchen Luftdruck, daß achtzig junge und alte Kellner des Luna-Parkes weggeweht wurden wie Papierschnitzel. Der Riese stieß einen tiefen Seufzer aus seiner grameswunden Brust, es explodierte davon ein Krematorium nebst vier Friedhöfen, ein Hagel von Asche und Gebeinen wirbelte durch die Lebendigen. Und es graute dem Riesen vor sich selber, als er, von Witwen und Waisen umgraupelt, auf flachem Felde hingestreckt lag; unter ihm ein Gutshof mit einer Meierei, alles voll verröchelnder Tiere und Menschen. Tötet, o tötet ihr kleinen, feinen Leute mich, den sanften Mörder eures Glücks, bat der Riese. Da hatte er gut bitten, sein Wimmern zerpuffte ein Wöchnerinnenheim, eine Grenadierkaserne, die natürlich in der Nähe lag, einen regierenden Herrn, der mit herrlichem Auto daherbrauste, und ein paar alternde Mädchen, die zum Postamt eilten. Aber, lächelte der Riese, und überirdische Wehmut brach aus seinem Blick – aber kann ich Sanfter, der ich nur zu groß bin, viel zu groß bin um der guten, dieser lieben, so kleinen, so niedlichen, munteren Leute willen, mich nicht selber töten? Hallelujah, lallte er ganz leise aus Furcht, jemanden zu verletzen; Heureka, lächelte er bei sich, wohlan! Er nahm einen tollen Anlauf, sprang himmelhoch, vollführte in den Wolken einen Salto mortale und fuhr kopfüber so blitzlings mit dem Schädel auf die nächste Kirchturmspitze, daß seine Seele gar nicht ohne Salbung von hinnen ging. Der Turm schlug mit dem prachtvollen Gigantenleib zwei Stadtteile in Trümmer: der Dichter Promethke starb bei dieser Gelegenheit. Und nun begann – nasus teneatis! – das Zeitalter der Verwesung, das noch bis auf die heutige Nacht fortdauert. – So kann wahre Sanftmut wirken wie höllischste Teufelei – sollte sie von einem Riesen herrühren.
Die betrunkenen Blumen und der geflügelte Ottokar
Ja, sagte Ottokar, der arme flügellahme Ottokar, das da sind meine verdorrenden Blumen; das da ist mein bezaubernder Schnaps: und hier – und hier – hier ist mein nahrhaftes Evolutionsgift. Wie sollte ich das Leben hassen, dessen Unmöglichkeiten so anspornend sind? Es ist Sommer! Es ist eine Nacht mit Sternenjubel, mein Herz strahlt von der Dunkelheit aller Wünsche, der Mond ist sonnig und hüllt die Erde in goldene Schleier; und Ottokar – Ottokar ist – ist chrysalidisch. Nein, nein, dieser Sommer ist der Winter viel hehrerer Jahreszeiten, dieses blühende Leben ist die Knospe herrlicherer Blüten, die Erde ist das Grab einer himmlischeren Auferstehung. Nehmt, sagte Ottokar, ihr, welke Blumen, Tropfen für euren Durst!
Die Platte des Tisches war aus rotem Glas. Dieses Glas aber wölbte sich ausgehöhlt, und in der Höhlung lagen wasserlos dürre Blumenleichen, kleine, große, weiße, bunte, zarte, tolle. Lernt fiebern! rief Ottokar und goß aus einer breiten, funkelnden Kanne den saftigen, honiggelben Schnapssaft auf die Blumen in der Höhlung. Er löschte die matte Lampe des offenen Gartenzimmers aus, der Mond glutete dämonisch, die Blumen zitterten und sangen. Sie singen, sagte Ottokar und blieb stehen, den rechten Zeigefinger unter das Kinn gebohrt; sie zittern; es wird. Es war, als ob das Mondlicht über der Blumenhöhlung brütete. Die Flüssigkeit geriet ins Wallen, die Blumen schwankten über ihre Fläche, ihr leises Singen wurde lauter, es waren Töne irrend wie von Äolsharfen. Ottokar goß die Kanne völlig über die Blumen aus – da, nach und nach erhoben sich diese über die Fläche, ihre leisen Stimmen klangen voller und harmonierten wie ein fernes Jauchzen. Jetzt stieg leuchtend auf langem Stiel aufgerichtet eine bunte Blume bis zur Zimmerdecke mit klarem Ton wie von anklingenden Weingläsern. Dieser Ton hallte von allen anderen Blumen höher und tiefer nach, sie erhoben sich, stiegen empor, vereinigten, verschlangen sich, schwebten, ein Chor, um Ottokar kreisend, der einen Antrieb zum Tanzen verspürte; die Flüssigkeit verhauchte einen betäubenden Duft, mit dem erwachenden Dufte der Blumen gemischt. Ottokar griff mit zärtlichen, verliebten Händen in die fliegenden Blumen, aber deren Gesang wurde ein hell und fein klirrendes Gelächter; etwa wie Schmetterlinge lachen würden, wenn sie könnten. Das Gelächter wurde ein Schrei, das Schweben ein fliegender Galopp, ein taumelndes Stürzen, Pendeln und Heben. Die Blumen alle waren total bezecht. Na also, konstatierte der arme Ottokar befriedigt, man kann Blumen schon in élan bringen, eure Natur wirkt auf mich so verschlafen, ich selber komme mir so flügellahm vor, – berauscht müßten wir alle werden, aber recht nachhaltig, ohne Katzenjammer. Rausch ist ein Motor, wenn man mit Flügeln ihm nachkann! Sonst natürlich bleibt man um so kriechender und lahmer hinter ihm zurück. Den Rausch vertragen, genügt nicht – man muß ihm kongenial sein. Offenbar haben diese Blumen es in sich: aber was – was? Und es antworteten die Blumen, indem sie zu phosphoreszieren begannen und sich zu leuchtenden, klingenden Zeichen mit einander verstrickten. Diese gaukelnden Hieroglyphen bildeten einen Sinn. Sie taten sich zu ihm zusammen, wirkten sich in einander, quollen in Gliederformen – wirklich, sie bildeten einen Leib, ersichtlich einen wunderschönen menschlichen Leib, das Lachen, Singen, Klingen verstummte: Vor Ottokar stand ein junges Mädchen: ich bin diese Blumen, sagte es schlicht, unornamentalisch.
Oo, so! erwiderte Ottokar, Sie sind – Sie sind diese Blumen! Er sah sie freundlich an und legte seine Rechte auf ihre linke Schulter: wie kommt das? fragte er ebenso schmucklos. Na, Theorie? lächelte sie. Liebster Ottokar, man hat Verstand oder man ist phlegmatisch. Ein Mädchen hat keinen Ursprung als – den Wunsch des Mannes. Wie wäre das doch naiv, wenn ein Mann viel danach fragte. Ein Mädchen ist immer schon eine Antwort. Und mein lieber Freund, wenn Sie in einer trunkenen Sommernacht Blumen berauschen, Welkheit zu Blut, zum Tanz und Gesang wecken – mein lieber Freund: man macht etwas sehr Liebliches niemals geweckt und trunken, ohne daß ein Mädchen daraus wird – hahaha, es gibt angenehme Tendenzen. Was schlummert nicht alles und wartet, bis man es weckt. Wie – wie – wie sehr, Ottokar, wartete ich auf dich – auf dich in diesen Blumen – ja Blumen! Ottokar nahm seine Hand von ihrer Schulter, trat zurück und fragte: wie nenne ich dich? – Nenne mich: Theo; lasse das -rie eben weg, mein Freund! Und wie, fragte Ottokar, und wie, Theo, verwandle ich dich in meine guten dürren Blumen zurück?
Theo schwieg 3½ Minuten. Dann sagte sie einfach: es ist nichts einfacher! Gieße den Schnaps aus der Tischhöhlung und lege mich hinein. Du mußt in mein Herz stechen, und wenn ich verblutet bin, ist alles getan. Ottokar führte dieses aus. Theos Blut brach wie eine leuchtende Schlange aus der Wunde, füllte purpurn das Becken, sprühte über den Rand und war auf einmal versiegt. Im Becken lagen, als wenn nichts gewesen wäre, vertrocknete Blumen.
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