«Schau ich nicht Aug in Auge dir?
«Und drängt nicht alles nach Herz und Busen dir?
«Und webt, in ewigem Geheimnis, unsichtbar, sichtbar neben dir?»
Da gab das Herz der Pietsch die zurückgetretenen Blutwellen langsam zurück, das brennende Rot weiblicher Empörung drang in ihre Kreidewangen:
«Ich bin das Opfer eines Elenden geworden», zeterte sie halbohnmächtig. In leichtestem Kostüm begab sie sich zu ihrer Mama. Schweigsam ging sie ihren Pflichten nach. Selbst Mama erhielt auf tausend leicht begreifliche Fragen keine Antwort, und von Terr wären alle Unannehmlichkeiten erspart geblieben – wenn nicht... wenn die Pietsch nicht nach knapp dreiviertel Jahren einem kleinen Tode das Leben gegeben hätte, der vom Vater ganz gewiß mindestens die Statur hatte! Ja, da brach sie ihr rätselhaftes Schweigen, und von Terr, auf Alimentierung verklagt, zuckte reuig seine anspruchslosen Achseln; es floß auch ein bißchen Rhetorik über seine dürren Kiefern.
«So rächt sich jede Ehrlichkeit in der Liebe und im Leben; jede Minute, wo man sich kein Fleisch auf die Knochen lügt, jede Nacktheit wird sofort mit dem Tode gebüßt, und gerade das unverstellteste Leben ist ein totgeborenes Kind.»
Der Spaß bestand in nichts Geringerem, als daß endlich eine freundliche alte Witwe auf den Einfall gekommen war, sich wieder zu verheiraten. Wie es die Art alter Frauen nun einmal ist, so griff sie nachdenklich in die Dose und begann zu schnupfen. Da sie nachgerade ins Niesen geriet, wurde ihr der Kopf hell und sie sprach zu sich selber: «Anna!» und als wenn sie nicht zugehört hätte, betonte sie lauter: «Anna, Anna!» Jeder wird ihr gewiß recht geben. Sich selber laut beim Namen zu nennen, wenn man einen Gedanken hat, der unser Leben höllisch revolutioniert, ist gar ein deutliches Zeichen von Tiefsinn.
Die Witwe – Handschuhnummer 8!! – zog ihr Taschentuch, schneuzte sich, daß es klang wie eine morsche Turmglocke, schluchzte auf und weinte sich wieder jung. In diesem zivilisierten Zustande holperte sie auf die Straße und ging zu einem mäßigen Junggesellen, der ihr Nachbar war und dem sie gern zu verstehen geben wollte, was eine Harke ist. Es war nicht allzu leicht, indem dieser Nachbar besonders prophylaktisch veranlagt war. Aber wenn erst ’ne olle Wittib –
«Guten Abend!»
«Guten Abend!»
Hierauf verfuhr die infame Witwe resolut. Sie setzte sich hageldicht an den Nachbarn heran und begann einen Plausch, daß diesem die Weste zu eng wurde. Sie sprach von Theater, Gurkensalat, Maßliebchen, Schnürleibchen, Moses, Spitzhunden, Bettlaken, Ölsardinen, Kanonen und Flöhen. Als sie sah, daß der Augenblick gekommen war – nämlich der Nachbar, ein Herr in mittleren Jahren mit ungeheurer Vorliebe für Filzschuhe und Einsamkeit – war fast unter den Tisch geredet, alsdann heulte und jammerte sie unter Tränengüssen, rang die Hände, warf sich plötzlich über ihn, verbarg ihre Flügelhaube an seiner Hemdbrust und stöhnte:
«Wir tun uns eben zusammen!»
Selbst ein sehr strenger Logiker hätte über diese Manier, zu schlußfolgern, keineswegs überraschter sein können als Herr Wenndudoch (so hieß er leider). Wenndudoch besann sich etwa so lange wie ein Hahn braucht, um energisch zu krähen – dann aber krähte er mit einer förmlich unirdischen Stimme in die obige Witwe hinein: «Frau Trockendock (so hieß sie glücklicherweise), ich bedaure mit geneigter Miene, daß ich auf Ihre jeden von uns so sehr ehrende wie auch beglückende Offerte nicht eingehen kann.» Darauf tuschelte er ihr etwas ins Ohr, worauf sie ihm aber laut antwortete: «So? Na das macht doch nichts!» In diesem Augenblicke beschloß Wenndudoch, da eben nichts weiter half, irrsinnig zu werden. Siehe da, die Trockendock fand ihn jetzt erst interessant. «Wissen Sie», sagte sie zärtlich, «Sie glauben gar nicht, wie langweilig der normale Mann ist. Bleiben Sie man so!» Wenndudoch wurde blaß wie weiße Stubendekkentünche. Fünf Minuten später war er ††† Leiche. Dieser Mann war den Stürmen der Leidenschaft nicht gewachsen.
Es ist verzeihlich, daß er starb. Nur half es ihm nichts. Die Witwe radelte mit der Leiche zum Standesbeamten. Der blickte sie lange verwundert an. Er begab sich nach vollbrachter Amtshandlung sofort in ein Sanatorium. Das Ungewohnte ist so anstrengend!
Witwe Trockendock fand in ihrer neuen Ehe keine Befriedigung. Leichen sind stets schlechte Ehemänner gewesen – und gar wenn sie, wie in diesem Falle, schließlich gegen ihren Willen geheiratet wurden. Aber immerhin –! Es ging. Man vertrug sich. Man ergänzte sich, so gut es ging. Man wahrte die Dehors. Von Wenndudoch hat sie nie ein böses Wort gehört; überhaupt keins...
Wigwamglanz, der stolze Indianer
Die Berge drohten am dunklen Horizont, wie wenn eine Urweltartillerie aufgefahren wäre. Der Fluß rauschte breit und dämmerig, an seinen Ufern starrten die Gebüsche wie finstre Geister; ein Plätschern ward hörbar, ein Bleiches erschien im Wasser – das war die weiße Squaw.
Wigwamglanz, der stolze Indianer, bestieg weit hinten in der Ferne sein schmales Kanoe und trieb nun dahin, gerade auf die Stelle zu, wo die weiße Squaw badete; sein feines nervöses Lächeln war keinem Auge sichtbar; der Tag erst plaudert die Geheimnisse der Nacht aus. Aber beide, das junge bleiche Weib und der stolze kerngesunde Indianer witterten die gegenseitige Nähe. Dem Weibe war es, als ob das Wasser seine Haut mehr erwärmte, und der Indianer dachte urplötzlich an den Großen Geist seiner Urwälder. Das Weib schwamm lautlos auf dem Rücken: Wigwamglanz und sein Kanoe waren wie Schatten; keines verriet sich dem anderen, doch spürte jedes eine süße Gefahr. Da war es dem Indianer, wie wenn das Wasser ihn lockte, zu sich rief: er entledigte sich seines Federschmucks und seiner Mokassins und glitt ohne Ton in die nächtige Flut. Jetzt schwammen die beiden Leiber dicht im selben Element, ohne sich zu hören, zu berühren, aber mit einer Empfindung und Ahnung ihres Zusammenhangs und zugleich mit der rätselhaften Absicht, ihn zu vergessen, zu vermeiden. Es liegt im Wesen der Natur, die Katastrophe stets in Bereitschaft zu haben, selten zu betätigen. So nun waren auch hier von der Katastrophe des Geschlechts alle Dinge durchtränkt. Wie drohte das Gebirg! Wie schwer und liebend atmete die sehnsüchtige Luft! Wie geisterhaft verlangend standen die Gebüsche; das Wasser aber sang unhörbar ein wahnsinniges Lied, aus dem der Indianer den Reim von Skalp auf Leidenschaft heraushörte, sein Lächeln ward noch feiner, noch nervöser, er reckte seinen Hals, seine ganze Gestalt in einem irren Wunsch nach Blut und Zärtlichkeit. Über allem verschwieg der Nachthimmel ein lächerlich leicht lösbares Geheimnis.
Wigwamglanz der Stolze beherrschte spöttisch seine eigne Aufregung, er sah ihr zu, gleich wie er, gemartert, den Regen der Pfeile und Schmerzen höhnisch erlitten hätte! Dieser Stolz verhinderte ihn, die weiße Squaw anders als bloß mit den schwachen und heißen Fingern der gewissesten Ahnung zu betasten. Denn jetzt hatte die weiße Squaw ihn entdeckt: «es ist Wigwamglanz», murmelte das Weib in sich hinein, die süßeste Angstpein durchdrang sie, sie kannte ihn und seinen Stolz. Ihr Wunsch kämpfte mit ihrer Furcht; aber sie beschloß, den Stolzen zu demütigen. Lautlos schwamm sie zum Ufer, ergriff mit der einen Hand ihren geladenen Revolver, nahm ihre Kleider unter den Arm und trieb still wie ein gelähmter Schwan nach dem Kanoe; in dieses legte sie ihr Kleiderbündel nieder und erreichte wieder das Ufer. Dort schoß sie den Revolver ab und verschwand.
Wigwamglanz sprang wie ein geflügelter Fisch in sein Kanoe und schoß stromabwärts dahin. Er lächelte nicht mehr, der Stolz überzog sein Antlitz mit einer ehernen Maske, sein Herz arbeitete gegen den Aufruhr seiner Gefühle, aber ein wütender Kriegsschrei drang dennoch aus seiner Kehle, seinem Willen zum Trotz; ein silbernes Echo lachte aus der Ferne, und dieser kaum wahrnehmbare Hall stürzte seinen Stolz in eine unbegreifliche tiefe Scham; sein Stolz wurde so fraglich, seine ganze Haltung erschüttert. «Weiße Squaw?» murmelte er sanft und zürnend.
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