Krendelen ging in seiner Laboratoriumsluft von Nizza, die linke Hand auf dem Rücken, die rechte um den Spitzbart gekrallt, auf und ab, auf und ab, und alles zitterte mit metallischem Klingen. Der Abend dämmerte herein. Und als es ganz dunkel geworden war, stand Krendelen still und hob den Kopf. Er hatte einen Entschluß gefaßt: und zwar G. m. b. H.
Jawohl, dies war der Ausweg. An sein Laboratorium als Zentrale sollten sich Freiwillige mit ihren Privatwohnungen oder Kasernen oder Fabrikräumen oder Ställen usw. usw. anschließen. Und so ließ er sich denn das Patent sichern und verkaufte es einer Gesellschaft Aktionäre, die ihn als wissenschaftlichen Leiter des Unternehmens anstellten und besoldeten. Je nun, mindestens waren seine Skrupel jetzt schwächer geworden; besonders zumal durch die Zuversicht, wie sehr bald die Menschheit mit ihrem robusteren Gewissen rücksichtslos von selber die Folgerungen von der Künstlichkeit auf die Natur ziehen würde! Gewiß, eine solche Verantwortung lastet zu schwer auf der einzelnen Person – hinaus, hinaus damit in alle, alle Menschenseelen!
So wurde es nun ruchbar, daß man, wenn man nur wollte, das Paradies der Lungen etablieren konnte – und Monarchen, Bankiers, Poeten und viele andere Existenzen suchten vorsichtig, indem sie die Ärzte zu Rate zogen, um Anschluß an die Kr.’sche Zentrale nach.
Die Wirkung dieser Hygiene läßt sich gar nicht beschreiben. Tatsächlich sind wir ja «ein Spiel von jedem Druck der Luft». Wer daher die Luft wenigstens ihrer Reinheit nach in willkürliche Gewalt bekam wie v. d. K., der konnte schließlich den Menschen zu einem Freudensprung der Natur machen. Schlechte Luft ist nämlich das ganze Unglück der Menschen; ja es ist am Ende der Mensch selber. Luftverbesserung bedeutet die gewisseste Menschenveredelung, mehr als alle philosophische Moralisterei!
Nun muß man sich aber diese Luftreinigung recht radikal vorstellen! Und hierin lag eben die ganze Gefahr: wer etwas auf dieser kranken Erde ganz und gar gesund macht, der steckt von diesem Punkte aus alles und jedes mit solcher Gesundheit an. Zuletzt konnte sich keiner der künstlich Gesundeten mehr nach außen begeben, ohne tot umzufallen. Es war eine zu tiefe Kluft zwischen der gewohnten und der ungewöhnlichen Gesundheit von der Zentrale aus aufgerissen worden. Selbst Krendelen, der noch das beste Amphibium beider Gesundheiten zu sein schien, drohte zu versagen. Und die obenerwähnten Herrschaften begannen sich durch ein langsames Training auf die alte Gesundheit zurückzuschrauben. Ein paar kränkelnde Monarchen hetzten ihre Polizei auf die G. m. b. H... Kurzum, Krendelen sah den Zeitpunkt heranrücken, an dem seine große Tat wirkungslos zunichte werden sollte. Nochmals hielt er in seinem Laboratorium eine Stunde der tiefsten Einkehr und Versenkung in sich selber. Dann hieb er sich mit der Faust auf den Schädel, daß er ihm dröhnte.
Sogleich ging er an die Arbeit. Er präparierte eine große Menge des von ihm erfundenen luftreinigenden Stoffes Atoxomyolyomulpollambixohoptotachylamolinovolmanombosusilotanbolinoxylpyramidolinoferosambulonolasinolins.
Den brauchte er jetzt nur durch ein elektrisches Verfahren zur Verdampfung zu bringen – und die Erdatmosphäre war nur noch für Kerngesunde atembar geworden. So machte er denn sein Herz stählern gegen alle auflösende Weichmut, und am Donnerstag vollzog er das Schicksal, zu dem er nun einmal ausersehen war – als der große Vakuumreiniger der Lebendigen.
Bereits Freitag Nacht wüteten Seuchen schrecklich dezimierend auf der gesamten Erdoberfläche. Herr v. d. K. hielt sich nur durch die Macht seines Gedankens aufrecht und mußte trotz allem über das große Sterben lächeln. Er wußte, was niemand wußte: daß die Seuche das anzeigende Symptom ihres noch latenten Gegenteils war; und daß dieses jetzt, von ihm heraufbeschworen, sich endlich leuchtend genug offenbaren werde. Außerdem verbrannten die Leichen in der prächtigen Luft – es war Vorfrühling – ohne allen Verwesungsgestank.
Oho! Nichts mehr von etwelchem faulen Rest. Sondern sieghaft wurde alles bald vertrieben und überduftet von der jungen Reinheit, welche jetzt förmlich eklatierte! Und merkwürdig, während die sog. Normalen, der «gesunde Durchschnitt» aller Orten rasch krepierte, korrigierten sich die Extreme, die Überstumpfen, die Überzarten, die Blöden und die Hypersensiblen zu einem ganz anderen Durchschnitt von ungemeiner Strenge und Präzision, wie wenn in ihre Leiber Mathematik und Musik gefahren wäre: sie paßten und stimmten plötzlich zur Natur; wogegen die Früheren sich wie zufällig in ihr ausgenommen hatten. Die allerersten, die buchstäblich aufatmeten, waren Frauen und Kinder, die Jugend überhaupt. Ferner trat bereits am Sonnabend eine sichtliche Verjüngung aller Greise ein. Was in der Vollkraft der mittleren Jahre gewesen war, ging aber dahin. Und es formte sich aus Kindheit und Greisentum eine ganz neue wie überirdische Jugend. Von Krendelens Familie florierte nur noch seine Schwester Margrith; Eltern und Amme waren unter den ersten Toten – juhu! Beim besten Willen, die Toten zu beklagen, mußte man doch lachen und frohlocken, weil die ganze Natur ein Feiergewand anzuziehen begonnen hatte; und weil die Menschen das feierlichste und festlichste geworden waren: weil sie viel festlicher und lieblicher wirkten als früher die Blüten. Und sonderbar, durch die strahlende Reinheit der Luft sah auch alles ätherischer aus: irdischer! Das Licht schien lichter. Man sah wohl, wie sehr die Erde an ihrer schlechten Luft gelitten hatte. Alles tat seine tieferen Atemzüge, und das Antlitz der Natur geriet in ein immer innigeres Lächeln – bis daß es am 27. März 1932 lachte: da nämlich tat die Natur ihren Freudensprung! Und Krendelens Operation war gelungen. Als das letzte peinliche Erdenrestchen aus der Atmosphäre getilgt war – dank Krendelens Kathartikon –, geschah es, daß die ganze Erde einen goldenen Klang tat wie ein gedrückter Ball, der sich, frei gegeben, rundet: jetzt erst schien alles zu stehen und zu dauern. Krendelen wußte in diesem Augenblick, der auch sein eigenes Herz richtig einstellte, daß das ganze vormalige Erdbebengeknurr und -gebrumm nur den schwer ächzenden Willen ausgedrückt hatte, richtig zu werden.
Am 28. cr. blieb die Sonne stehen – und alle Leute spürten das Erdgewicht als etwas frei Beherrschbares in den eigenen Gliedern, so daß sie mit der Erde um die Sonne spielten wie sie wollten; und in ihrem Willen war von selbst ein Unisono. So setzten sich, als der Frühling sich vom Winter getrennt hatte, und die Jahreszeit ebenfalls selbständig geworden war, auch Sterben und Werden wie Schlafen und Wachen sauber auseinander und verunreinigten nicht mehr ihren Mittelstand, so daß in jeder Beziehung das Aus und Ein exakt funktionierte, und alles und alle jetzt wußten, wo aus und wo ein.
Aber das allerbeste: an Stelle des Todes war das aus- und einatmende, zusammenhängende, nicht mehr unterbrochene Leben getreten; das Sterben hatte sich mit dem Werden jetzt lebendig und leibhaftig verständigt. Und nun vergaß alle Welt das vorige – und Krendelen vergaß es auch, so daß er nicht einmal berühmt wurde! In dieser einen Hinsicht war es vormals herrlicher.
Von der Wolke, welche so gern geregnet hätte
Ach! Wie zufrieden war die Welt. Gelber Sonnenschein lag wie Eiersauce überall ausgegossen. Die Kühe grasten, der Himmel war ein einziges breites Lachen. Eine Menge Rosenlauben plauderten mit der leichten Luft ins Gelage hinein. Greise wandelten mit sanften grauen Köpfen. Alte Frauen falteten die Hände überm Schoß und saßen da, wie aus Lebkuchenteig gebacken. Und ein ganz kleines, unschuldiges Kind nieste in einer so allerliebsten Weise, daß ein Huhn in die Höhe flog und nervös zu gackern begann, alles war im Einklang, selbst ein Trunkener, der hin und her torkelte, wirkte so verzeihlich, so glücklich, so idyllisch, daß ohne ihn an allem noch das Beste gefehlt hätte.
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