Kleide dich wie die Sprache, sie ist dein Verhalten – ist auch Sprache. Deine Kultur ist Sprache, deine Zivilisation ist auch Sprache. Sprich diese Sprache und versuche im Diesseitigen das Jenseitige zu spüren, niemals verstandesmäßig, denn das ist wie ein Bild. Im Hebräischen ist das Wort „denken“ und „rechnen“ das gleiche Wort, 21aber wir können das Jenseitige niemals mit Denken erreichen. Paulus wettert auch gegen die Philosophie, er sagt durch Denken kommst du nicht hin, es denkt sich bei dir schon `von dorther´ (z.B. Kol 2:8). Wenn du das Jenseitige hast, kannst du es schon in einer Sprache ausdrücken, dann kannst du sogar über Philosophie `hinüber´ zum Jenseitigen, aber Philosophen kommen niemals hin . 22
Die verschiedenen Kulturen haben ihre eigene Sprache. Die Sprache wird auch dort genährt von einem Jenseits . Auch dort gelten die 4 Evangelien, auf ihre Art wie sie dort erlebt werden. Die ganze Welt ist Gottes und von dorther ist das Gleiche wahr. Diese Kulturen können wir nicht messen nach der Sprache, die wir jetzt sprechen, sondern nach der Sprache, die sie sprechen, dem Verhalten, wie sie sind. Respekt gilt auch dort, wenn schon vor Pflanzen und Tieren, dann gewiss vor anderen Menschen, eine Scheu. Versuche sie in deinem Kontakt mit ihnen zu lieben, zu ehren, zu überraschen und nicht zu analysieren, wie wir es tun, sondern habe eine Begegnung, die kann es dir bringen. Deshalb brechen die Evangelien aus, aus dem Judentum, hinein in die Welt der Völker. `Die Völker´ sind die Vielheit im Diesseitigen und das bedeutet mit den Evangelien: Jetzt kommt bei dir die Mitteilung, wie der Weg aus deinem Jenseits in die Vielheit deines Diesseits stattfindet, in die Vielheit des Alltags. Das ist die Mission 23des Menschen bei sich selber und in der Welt. Er braucht nicht zu sagen, wir haben Recht. Es genügt, wenn er da ist und selber zeigt, dass er ein glücklicher Mensch ist; keiner, der überheblich ist und sich wichtig nimmt, sondern z.B. vor Tieren Scheu hat (im Sinne von Ehrfurcht, AdV). Man sagt in einer alten Geschichte, dass Mose auch vor jedem Tier, das ihm begegnete, sich verbeugte und es grüßte. Man meint nicht so auf der Straße, sondern im Verborgenen sein Geheimnis erkennen. Bei Hiob, Gott widerspricht (oder spricht wieder, AdV) am Ende des ganzen Dramas: Weißt du, wer diese Fische ernährt ganz tief im Meer, die anderen Tiere, die Ungeheuer? Ich muss das machen, weil all das ist, was ich liebe. Wenn du das erkennst, dann erkennst du den Gott deines Lebens, dass er überall ist. Das sind Mitteilungen, die zeigen eine Mission des Menschen auf diese Art.
Der Europäer hat eine `Zwangsart´, dass der Jude den Christ nicht versteht. Warum hat das Judentum für gewisse Dinge kein Verständnis? Im Judentum gibt es eine andere Art des Glaubens über die Tradition und Überlieferung, nicht weil sein Verstand ihm sagt, es muss so sein. Das Christentum hingegen macht es diesseitig und hofft auf das Jenseits. Solange du es durch den Verstand tun musst, ist es nicht gut, es sollte dir eine zweite Natur werden, eben wie das Sprechen. Das ist eine Art des Glaubens. Es gibt noch eine andere Art des Glaubens, von der Einsicht vom Diesseits und Jenseits des Menschen. Ich glaube, dass der Weg sich getrennt hat, weil der Mensch im Exil auch die Trennung hatte von Diesseits und Jenseits. Der eine Mensch lebte das Diesseits, der andere das Jenseits. Man kann sagen, der Jude lebte das Diesseits, indem er den jenseitigen Glauben im Tun ausdrückte, und der Christ lebte das Jenseits, dort wo der Glauben herrscht. 24Und vielleicht ist auch jetzt eine Zeit da, wo man sich verstehen könnte. Nicht wer mehr recht hat, sondern wie zwei Liebende erkennen, dass man den andern einfach nicht gehabt hat, er gefehlt hat; dass man sich erkennt, zusammen sind wir erst vollständig da. Das ist keine Zusammenarbeit, die man organisieren kann, sondern ein Zusammenfließen, wie die Welt es führt. Die Evangelien würden dann für beide Seiten eine Mitteilung sein von den Vieren, die um Gottes Thron sind (4:6 f., deshalb diese Namen: Matthäus – Mensch, Johannes – Adler …) und wenn es erkannt wird als etwas Grundlegendes, so geht der Mensch vom Diesseits ins Jenseits zurück. So ist der Glaube sehr wichtig, wenn man sich begegnet mit dem großen Nichts – die Offenbarung.
Man soll nicht versuchen, das im Diesseitigen so zu finden, es gibt kein Kontinuum vom Jenseits ins Diesseits, ohne dass man sagt ein `Sprung´, eine Zäsur, so auch nicht vom Diesseits ins Jenseits – das gibt es nicht. Man kann das nur auf eine ganz andere Art erleben, im Schweigen, in der Stille. Das sind Geheimnisse im Menschen und die werden uns die Evangelien, die Offenbarung nahebringen.
Die Evangelien sind etwas ganz gewaltiges Jenseitiges im Menschen und bestätigen die Historizität vom Jenseitigen her. Dann ist es auch historisch wahr, aber nicht vom Diesseitigen her – das verführt. Wir sollten unsere Empfindungen erkennen, dass sie nicht in Zeit und Raum, der Knechtschaft in Ägypten gefangen sind, sondern unser Weg ist die die Befreiung vom Gift der Schlange [77B8].
Vorwort zu den Vorträgen zur Offenbarung des Johannes
Friedrich Weinreb hat in der Zeit von 1974 bis 1985 sechs Vortragsreihen zu diesem Thema in Basel, Bern, Frankfurt, Klagenfurt, Stuttgart und Zürich gehalten (zusammen sind es 23 Vortragstage mit jeweils zwei Einheiten zu ca. 45 Minuten). Das Seminar von Klagenfurt ist als Hörbuch erhältlich (Die geheime Offenbarung des Johannes – das Buch mit sieben Siegeln. Eine Deutung aus den Quellen des Judentums) und bildet die Grundlage dieses Buches. Alle Vorträge können über die Weinrebstiftung bestellt werden. Friedrich Weinreb (1910-1988) selbst hat dieses kardinale Thema nie in Buchform gebracht, trotz seiner umfassenden Bibliographie (mehr als 60 Bücher und rund 3000 Tondokumente, weitere Informationen/Links dazu sind im Anhang III-V zu finden).
Es ist wohl nur wenigen Menschen gegeben, so einen weiten Bogen mit tiefen Einsichten in alt jüdisch-chassidische Überlieferung, das Alte und Neue Testament und ebenso zu Lebzeiten durch seine Begegnung mit den anderen Weltreligionen und dem alten Wissen anderer Kulturen (Upanishaden, Zen, I Ging usw.) zu umspannen. Umso mehr habe ich, auf dem Weg, diese Tonbandaufzeichnungen von Friedrich Weinreb zu Papier zu bringen – wie von mir anfangs gedacht – meine Intention, die gesprochenen Sätze stilistisch anzupassen, zumeist verworfen. Letztlich ist diese Niederschrift keine wörtliche Wiedergabe, aber Weinrebs Redefluss und Ausdruck bleiben erhalten. Nicht der gesamte Inhalt der Vorträge wurde in dieses Buch übernommen. Durch das Zusammenführen aller sechs Vortragsreihen in eine Erzählung, welche im Umfang von zwei bis sieben Vorträgen in jeder Vortragsreihe die Offenbarungen des Johannes mit unterschiedlicher Genauigkeit behandelt, kommt es mehrfach zu Wiederholungen aus immer neuer Sicht, thematischen Vorgriffen und Überschneidungen. Ein Teil der zur Auflockerung eingeflochtenen Geschichten aus dem Leben wurden meist gekürzt übernommen, hingegen sind Weinrebs Ausführungen zur Offenbarung weitgehend wortwörtlich eingegangen. Die eingefügten Absätze sind inhaltlich nicht immer passend, sollen jedoch dem Leser als kurze Nachdenkpause helfen, um den oft nicht unterbrochenen Gedankenfluss eines Vortrages in Schritten zu folgen.
In den Erläuterungen im Anschluss zu diesem Buch werden jene Themen als Literaturexzerpt genauer ausgeführt, auf welche Weinreb mit Verweis auf seine Bücher im Rahmen dieser Seminare nicht weiter eingegangen ist. Meine Ergänzungen sind im Text zum Vortrag in der Druckausgabe mit einem eigenen Schriftsatz geschrieben (Font Arial, im e-book mit kleinerer Schriftgröße). Was die Schriftgröße und auch den Font betrifft, arbeitet die Umwandlung in das e-book Format bei Ausreizung der Formatierung, wie in diesem Buch, nicht immer wie gewünscht. Gegebenenfalls sind Einfügungen mit der Abkürzung AdV versehen (Anmerkung des Verfassers). Die Kassettennummern (1-8, Seite A, B) finden sie jeweils am Ende der Textstellen mit vorangestellter zweistelliger Jahreszahl in eckiger Klammer. Zahlreiche Fußnoten und Querverweise sollen dem Leser zur leichteren Orientierung dienen, sodass von jeder Stelle auch nachträglich ein Einstieg in den Text möglich ist.
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