Die große Einswerdung ist nicht eine Einswerdung in mir selber, dass mein Diesseits und mein Jenseits verschmilzt – das wäre heidnisch; die Einswerdung ist, dass mein Diesseits und Jenseits mit Gottes Allmacht, Gottes Gewaltigkeit, in eine ganz große Liebe verschmilzt. Das ist der Sinn dieses Eins-Werdens, von der immer gesagt wird: So wie das Sein nie aufhört, hört das Werden nicht auf. Ihr werdet immer neu, die Geliebte wird immer neu – die Einswerdung ist immer neu zu erleben, so wie in der Natur die Jahreszeit immer wiederkehrt, es ist erreicht, kehrt zurück, wird wieder erreicht usw., ohne Ende. Es ist das Gefühl, der Weg geht immer weiter, immer gewaltiger, mächtiger, großartiger, unvorstellbar. Deshalb sind dem gegenüber Vernunft, Konstruktionen, Konzentrationen im Menschen, aus welchen man meint, ich müsste etwas leisten dazu.
Es gab immer Kulturen, die das Gleiche suchten und suchen, es ist keine Erfindung, die nur in der Christenheit oder dem Judentum zentriert ist. Es gibt viele Menschen, die nichts von diesen Dingen gehört haben, doch sind sie Menschen im Bild Gottes, s ie kennen das Geheimnis auf ihre Art, da ihre Sprache auch ihre Art hat. Die vielen Sprachen, die vielen Arten des Erlebens, des Verhaltens, zeigen schon eine Vielheit im Menschen und ich glaube, es wäre menschlich falsch zu sagen: |›Nur wir haben die Wahrheit und haben recht‹| 18– und die Armen müssten dann von uns unterrichtet werden, wie es sei. Das ist ein Hochmut, das kann nie mit dem Menschlichen übereinstimmen. Liebe kann nie so sein, dass ich den, den ich liebe, etwas unterrichten will, gescheiter machen will. Im Gegenteil, ich glaube, Liebe bedeutet, sich selber aufgeben und eben nichts Sein (oder Nichts sein, AdV) und der andere tut das Gleiche. Es ist eben das ganze Gebäude, das Vernunftmäßige, das Zeiträumliche sagen wir, hier aufzugeben, wir gehen beide hinüber und dort erleben wir es. Aber das Rechthaben gibt es dort nicht.
Der Europäer glaubt, wenn er andere Kulturen studiert, dass sie irgendwie das sind, wie der Europäer sehr stark geneigt ist zu sagen: Wenn du nichts leistest, kommst du zu nichts. Die anderen Kulturen kennen das nicht so, die kennen eher den Begriff des Geschenks, der Überraschung, des Seins. Ich will nicht sagen, dass die Europäer schlecht sind und ich sie kritisiere. Auch das ist ein Rätsel, das bedeutet: Unsere Hektik, wo wir glauben, wir müssen etwas leisten, wir fühlen uns sündig und hoffen, dass wir besser werden und Lohn erhalten. Besser werden und Lohn erhalten ist doch ein Geschäft. Wenn ich liebe, wie soll ich Lohn erhalten? Da schenke ich doch gerade, ich schenke den Lohn sogar, gebe ihn zurück, gebe noch etwas dazu oder gebe mich ganz. Es ist nicht ein Wegwerfen des Lohnes, sondern ich schenke mich ganz, mit dem Lohn, den ich bekomme. Also wir spüren hier schon, der Europäer hat etwas Merkwürdiges bekommen, warum? (Keine Frage, die ich heute beantworten möchte.)
Eine wichtigere Frage: Wer sind wir hier, jetzt? Wir haben eine Sprache, eine europäische Art der Sprache, des Denkens, des Leistens, des Eroberns. Andere wollen nicht erobern, wollen nicht diese Art Wohlstand, kennen nicht die Bedeutung und wissen nicht, was sie damit anfangen sollen.
Hier, wenn wir den Punkt erreichen, wo wir dem Göttlichen gegenüberstehen, bedeutet es, alles was ich versuchte zu leisten, dass ich mein Diesseits und Jenseits zusammenschmelzen lasse, ist nichts! Es ist mir wichtig, aber ich kann es nur, wenn ich mich als ganzer Mensch diesseitig und jenseitig nach Gott sehne. Denn Abraham, der Diesseitige und Jenseitige, sehnt sich nach Gott, der erste Vater der Gläubigen. Es ist nicht ein Sich-Sehnen nach einem Sein, das den Menschen dann verborgen ist in einem Jenseits, der Vernunft entzogen – nein, das Sich-Sehnen nach Gott nennt man in der jüdischen Überlieferung (schrecken sie sich nicht): Das Sehnen nach dem Nichts (hebräisch wird `Nichts´ und `Ich´ mit den gleichen Buchstaben geschrieben `ain´ und `ani´). 19Schau mal, dein Ich wurzelt dort im Nichts. Das Nichts ist jenseits deines Lebens, Diesseits und Jenseits, jenseits deiner Existenz. Das Nichts wird im Schwarzen ausgedrückt (nicht die Farbe, die diesseitige Erscheinung), wo das Sein auch nicht mehr ist, denn das Sein ist zu 4 Schöpfungen, die 4 Welten des Seins geformt, aber das Nichts ist noch jenseitig.
Was hier in der Offenbarung beschrieben ist, was der Mensch erlebt, wenn er die Apokalypse liest, sind die Gestalten, Erlebnisse aus dem Nichts. Das ist auch der Schrecken, den der Mensch hat vor seinem Ich. Er wagt nicht, seinem Ich näher zu kommen. Er glaubt, es sei sein Ich, wenn er das Diesseits und das Jenseits in sich selber schon geordnet hat. Es kann sich erst ordnen, wenn man Gott gegenübersteht. Der Mensch wird aus Ägypten befreit, so heißt es in der Überlieferung, aus dem Zeiträumlichen befreit, nicht durch Leistung, durch irgendeine Tat befreit, sondern Gott sagt: Ich komme und befreie dich. Ich kenne dein Leid, dein Seufzen, deine Gefangenschaft im Zeiträumlichen, im Entweder - Oder.
Das bedeutet in meinem Jenseits und Diesseits zusammen erlebe ich die Überraschung des Gewahr-Werdens des Nichts. Es bedeutet: Es lebt, Gott wohnt dort, es gibt kein Nichts. Die Negation ist nichts, |›das Böse ist nicht böse ‹|(das dachte ich hier so). Es ist ein ganz anderes Geheimnis, es ist alles viel tiefer. Ich erfahre dort, wo ich mich befreien kann vom Zeiträumlichen, dass ich kein Knecht bin des Entweder - Oder. Bin nicht nur ein Knecht der Wahrnehmung, sondern ich öffne mich liebend, jeden Menschen, jeder Art die da ist, empfangend, da sein mit all dem. Dann, wenn man das erlebt, dann ist man Gott nah. Dann kommt der Weg der Menschen, der Weg durch die Wüste nach der Erlösung, der Befreiung aus Ägypten, dann kommt dieser Weg und endet auch mit dem Hineintreten in das gelobte Land. Dort wohnt Gott beim Menschen, dort ist die Ehe da, dort ist der Tempel, wo der Priester jenseitig ins Allerheiligste tritt, das bedeutet, dort vermählt sich der Mensch mit Gott, Gott mit der Welt.
Das sind Dinge, welche wir aus unserem Bewusstsein verloren haben, es ist vielleicht sogar gut. Wir würden es gleich umwandeln in eine Theorie, in eine Theologie, in eine Moral, eine Ethik. Es ist umgekehrt, man sehnt sich, das genügt. Man ist unzufrieden, man schimpft, man weiß nicht, was man tun soll, es ist sinnlos – das ist gut, denn man sehnt sich, du wirst schon überrascht werden, wenn du dich sehnst. Was im Menschen wach werden könnte ist nur das. Glaubt doch nicht, es geht alles nur zu Grunde, freu dich auch mal, du wirst sehen, es kommt die Sehnsucht nach Freude. Sei wach in diesem Sinne. Hier wird den Menschen etwas mitgeteilt, hier stehen die Evangelien mit den Briefen als Verbindung, als Beziehung, als Weg zu dem, was man Offenbarung nennt. Wo man sagt, es ist das Andere dir gegenüber – so endet es auch, dann ist die Einswerdung da (Hochzeit, 1000-jähriges Reich, Gericht, neues Jerusalem). Offenbar nicht, dass es mal so sein wird. Es bedeutet vor allem für jeden Menschen, dass es in eurem Geschlecht schon geschehen wird und schon geschah, 20das bedeutet die Offenbarung auch. Dass ihr diesem Nichts gegenüber steht, Angst hattet und dann erfahren habt, was das alles ist, dass das alles in euch lebt und Gott in euch spricht. Aber doch von anderswo, denn Gott ist derjenige, der sagt, die Ehe mit dem Menschen, die mystische Ehe ist das große Glück des Menschen und die große Freude Gottes.
Wenn man so die Dinge sieht in der Welt, Baum, Tiere, das sind dann vielleicht tatsächlich jenseitig auch Begegnungen. Es gibt Geschichten, die erzählen, wie Menschen den Tieren, Pflanzen und Steinen `begegnet´ sind (jenseitig), so wie die Geschichten vom heiligen Franciscus. Wenn du einem Tier begegnest, jenseitig, dann drückt sich das hier aus in einer merkwürdigen Art: Du hast eine Art Scheu vor dem Tier, du schämst dich vor dem Tier. Wenn du eine Fliege aus deinem Zimmer verjagen willst, dann hast du fast etwas wie eine Entschuldigung, dass die Fliege aus deinem Zimmer muss. Wenn du sagst: „Verdammt ich erschlag dich“, so hast du keinen Kontakt zwischen dem Jenseitigen und dem Diesseitigen. Man hat eine Scheu vor Pflanzen, keiner sieht den Engel in der Pflanze, aber wie stehst du ihr gegenüber? Nur zum Kaufen, Verkaufen oder hast du eine Liebe, eine Scheu jedem Blatt gegenüber?
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