»Sag ja«, flüsterte sie flehend an seinem Ohr. »Du musst nicht sterben.«
»Deagh-bheusan tha mo onair«, antwortete Cailean tonlos, aber Danu hatte es von seinen Lippen gelesen. Tugend ist meine Ehre, das Motto der MacLeans.
Schnell ritzte Danu sich mit ihrem Sgian Dubh, dem Strumpfmesser, ihr Handgelenk auf und drückte die blutende Wunde auf Caileans Mund. »Trink mein Sohn. Die Magie der heiligen Quelle in meinem Blut wird dich genesen lassen.«
Cailean schlug die Augen auf. Erst hatte Danu entsetzen in seinem Blick befürchtet, doch da war keine Spur. Nein, sein Gesicht drückte Entschlossenheit aus. Er war noch nicht bereit zu sterben. Und das würde er auch nicht. Dieser Mann war auserkoren, Danus Armee aus unsterblichen Highlandern gegen die Firbolg zu führen.
Cailean hing kraftlos in den Ketten, mit denen man ihn an die feuchte, schimmlige Wand des Kerkers gefesselt hatte. Er konnte nicht sehen, wen man in seine Zelle gebracht hatte, weil er zu schwach war, den Kopf zu heben. Getrocknetes Blut versiegelte seine Augenlider. Seine aufgeplatzte Unterlippe pochte im Rhythmus seines Herzschlags. Er atmete nur flach, damit der Schmerz an seinen geschundenen Rippen nicht zu stark war. Jeder Atemzug versetzte ihn zurück in die schlimmsten Stunden seines Lebens – seines unsterblichen Lebens, denn als Sterblicher hatte er weit Entsetzlicheres erlebt.
Er war mit weit gespreizten Armen und Beinen an Decke und Boden seines Gefängnisses fixiert. Unzählige Male hatten Airmeds Folterer das Leder ihrer Peitschen auf sein Fleisch niedersausen lassen, tiefe brennende Wunden in seine Haut geschnitten. Verschorfte Narben zierten seine Brust, seine Oberarme, Beine und seinen Rücken. Cailean hatte das Gefühl, dass nicht ein Zentimeter seines Körpers unbeschadet geblieben war. Sie hatten ihn getreten, ihm die Rippen gebrochen, ihm die Haut in dünnen Streifen vom Körper geschnitten. Dann hatten sie zugesehen, wie er wieder heilte, um von vorne zu beginnen. Doch nichts, was sie taten, war so grauenvoll gewesen wie das, was Lord Lancaster mit ihm getan hatte.
Cailean hatte jedes Zeitgefühl verloren. Er hatte keine Ahnung, wie lange er jetzt schon hier unten gefangen war. Zeit hatte in Anwynn sowieso keine Bedeutung. Er wusste nur, dass er nicht eine Sekunde aufgehört hatte, darüber nachzudenken, wie er sich an seinen Peinigern rächen würde. Und seine Qualen, die er sich für Airmed ausgedacht hatte, die würden eine Ewigkeit dauern. Wie lang war die Ewigkeit in einem Reich, in dem die Zeit nicht verging?
Jemand legte kalte Finger unter sein Kinn, eine kleine zarte Hand. Cailean erschauerte. Die Berührung durch Airmed war ihm zuwider. Sie war Danus Schwester. Wenn Danu all das Gute, das man sich nur vorstellen konnte, in sich trug, war in Airmed das Böse dieser Welt. Sie war Herrin über die Seelenlosen. Wesen, die weder Mitleid noch Liebe kannten. Ihr Leben wurde von Gewalt und Hass geprägt. Wenn sie Seelen besaßen, dann waren diese durch und durch schwarz.
Airmed liebte es, Leid zu verursachen. Und sie war eine machtgierige Hexe, die solange Cailean schon in Anwynn lebte, versuchte ihre Schwester zu beseitigen. Bei der Vorstellung, dass diese Hände über seinen Körper geglitten waren, er seinen Schwanz in diesem Weib versenkt hatte, wurde ihm übel. Wie hatte er nur auf ihre Maskerade hereinfallen können? Sie hatte seine Liebe zum weiblichen Geschlecht ausgenutzt, und den Fluch, der auf ihm lastete. Der ihm seinen eigenen Willen nahm.
In der Gestalt einer anderen Frau hatte sie sich ihm genähert. Er war neben ihr eingeschlafen, betäubt von Drogen, die sie ihm in seinen Met gegeben hatte, und hier von Schlägen geweckt worden, und das Erste, was er beim Aufwachen gesehen hatte, war ihr falsches Grinsen.
»Ich sehe, du hast dich kaum erholt. Wie schade, dass deine Heilkräfte schon nachlassen. Das nimmt dem Ganzen den Charme, findest du nicht auch, Ian?«
Ian? Cailean zuckte zusammen. Hatte sie wirklich Ian gesagt? Er versuchte seine Augen zu öffnen, scheiterte aber an dem getrockneten Blut. Er hörte den Knall einer Peitsche, wartete auf den Schmerz, aber er folgte nicht. Jemand anderer stöhnte und schien zu Boden zu gehen. Airmed lachte. Hatte sie seinen jüngeren Bruder wirklich gefangengenommen? Caileans Herz wummerte gegen seine Brust. Er stieß ein drohendes Knurren zwischen seinen geschwollenen Lippen hervor.
»Wer wird denn gleich so wütend werden? Ich verspreche, deinem Bruder wird es gut bei mir gehen.« Kühle Finger strichen über seine Brust, seinen Bauch hinunter, legten sich um seinen Schwanz und drückten schmerzhaft zu. Cailean bemühte sich, keine Miene zu verziehen und keinen Ton von sich zu geben. Diese Genugtuung würde er ihr nicht schenken. »Er ist ein besserer Liebhaber als du.«
Sie ließ ihn los. Schritte entfernten sich, kamen wieder näher. Noch immer versuchte Cailean seine Augen zu öffnen, einen winzigen Spalt hatten sie nachgegeben. Durch das rechte Auge konnte er das flackernde Licht der Fackeln wahrnehmen, durch das linke verschwommene Schemen sehen. Nicht weit von ihm wallte das weiße Kleid von Airmed durch den Raum und ein Körper lag zusammengekauert auf dem Boden. Mehr konnte er noch nicht erkennen.
»Ihr Highland Warrior habt allesamt ein Problem, ihr verfallt viel zu schnell den Reizen einer Frau. Frau muss nur ihre Röcke für euch heben und ihr seid verloren. Daran sollte meine Schwester mit euch arbeiten. Und gerade du, Cailean, solltest aus den Fehlern deiner Vergangenheit gelernt haben.«
Cailean tat einen zitternden Atemzug. Als er zu sprechen begann, war seine Stimme heiser, fast tonlos und jedes Wort kratzte in seiner Kehle. »Was willst du von ihm? Du hast mich zu deinem Vergnügen, genügt dir das nicht?«
Wieder wurde eine Hand unter sein Kinn gelegt, sein Kopf hin und her gedreht. Airmed stieß ein verächtliches »Hmpf« aus. »Soll ich helfen?« Ihre Finger legten sich an seine Lider, Blitze schossen hinter seine Augen, brennender Schmerz flammte auf und stach ihm direkt ins Hirn, als sie seine Augen mit Gewalt öffnete. Cailean blinzelte. »Schon besser«, stellte sie zufrieden fest.
»Gar nicht besser«, murmelte Cailean. »Jetzt kann ich deine hässliche Fresse sehen.« Airmed holte aus und schlug ihm mitten in sein geschwollenes Gesicht. Cailean lächelte nur. Das war es wert gewesen. Er blinzelte abermals, um den Schleim vor seinen Augen loszuwerden und mehr erkennen zu können. Airmed stand neben ihm, gekleidet in ein langes, fast durchsichtiges, weißes Kleid. Ein eng geschnürtes Mieder hob ihren Busen und ließ ihn aus dem weiten Ausschnitt quellen. Ihre schneeweißen Haare trug sie wie immer offen, ein wallender Schleier, der ihr bis über ihren Hintern reichte. Sie sah ihn aus ihren azurblauen Augen missmutig an und wies mit dem Kopf in eine der Ecken des Kerkers. Ihm stockte der Atem. Das blutige Stück Fleisch auf dem Kerkerboden war tatsächlich sein Bruder.
Er war nackt, Striemen zierten seinen verdreckten Rücken, aus tiefen Stichwunden quoll Blut hervor. An Händen und Beinen war er gefesselt.
Cailean kniff die Augen zusammen und konnte das Entsetzen nicht vor Airmed verbergen, das über ihm hereingebrochen war. Sein Körper bebte vor Wut und brachte die Ketten um seine Handgelenke zum Klirren.
»Meine Männer sind manchmal unkontrollierbar, besonders wenn sie schon lange keine Frau mehr hatten. Da kann es schon mal vorkommen, dass sie bei so einem hübschen Krieger nicht widerstehen können.« Airmed zuckte mit den Schultern. Selbst eine brutale Vergewaltigung konnte ihr keine Emotionen entlocken. In Cailean stieg bittere Galle auf. Wütend biss er die Kiefer aufeinander und zerrte an seinen Fesseln.
»Warum?«, knurrte er.
Airmed lächelte unschuldig. »Ich habe da ein Problem. Und ich weiß, nur du kannst mir helfen.« Sie zwirbelte verlegen an ihren langen weißen Haaren. Ihre blauen Augen leuchteten auf. Keine Frau durfte so unschuldig aussehen und gleichzeitig so böse sein. Caileans Wut zerriss ihn fast. Ob sie wusste, dass dieses mädchenhafte Getue ihn nur noch wütender machte?
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