Jones’ Miene war verschlossen. Stumm ging er an Chad vorbei.
»Hank!«, rief der Sheriff wieder.
Da blieb Jones mit dem Rücken zu ihm ruckartig stehen. Seine breiten Schultern zogen sich zusammen. Zwei Sekunden verharrte er völlig reglos, dann machte er so blitzartig einen Seitenschritt zum Gewehrständer, dass Chad nicht mehr reagieren konnte. Schon war Jones herumgewirbelt und hielt einen Spencer Karabiner in den schwieligen Fäusten. Er sagte leise und gepresst: »Lass ihn frei, Chad! Lass ihn aus Greenhill verschwinden!«
»Das ist ja Wahnsinn, Hank!« Chad starrte den gedrungenen Rancher ungläubig an. »Was ist in dich gefahren?«
»Ich bin dabei, eine Schuld zu bezahlen, eine uralte Schuld!«
In der Zelle setzte sich Amarillo mühsam auf der Pritsche hoch. Schmerzen und Schwäche zeichneten noch immer sein hageres Gesicht, aber sein Blick war voll lauernder Wachsamkeit. Chad murmelte heiser: »Du weißt nicht, was du da tust. Leg das Gewehr weg.«
»Erst wenn Mike Conroe in Sicherheit ist.«
»Mike Conroe? Er ist Amarillo, einer der gefürchtetsten Banditen in Colorado. Ein Mann, der schon zu viel Unheil angerichtet hat …«
»Ein Mann, dem ich mein Leben verdanke, Chad!«, unterbrach ihn Jones. »Es war vor zehn Jahren. Damals trug er noch seinen richtigen Namen – Mike Conroe. Es war im letzten Jahr des Bürgerkriegs. Wir kämpften beide auf der Seite der Konföderation. Mike war Sergeant, ich Corporal. Wir waren gute Freunde. In der Schlacht bei Shiloh wurde ich verwundet. Die Kanonen der Yankees verwandelten das Gelände ringsum in ein einziges Gewirr von Granattrichtern, Blut und Sterben. Mike setzte sein Leben aufs Spiel, um mich da rauszuschleppen. Mir kam es wie ein Wunder vor, dass er es schaffte. Ich habe es niemals vergessen!«
Das Sprechen fiel dem Sheriff schwer. »Zehn Jahre sind eine lange Zeit, Hank. Ein Mann kann sich verändern. Meinst du wirklich, dass Mike Conroe und Amarillo noch ein und derselbe Mensch sind?«
»Darüber zerbreche ich mir nicht den Kopf. Ich habe ihm damals ein Versprechen gegeben. Jetzt ist es Zeit, es einzulösen! Chad, Lass ihn gehen! Amarillo, komm! Die Tür ist offen! Beiß die Zähne zusammen und versuch es!«
Amarillo stemmte sich von der Pritsche hoch.
Mühsam wankte er durch die Zelle. »Hank!«, keuchte Chad. »Das lasse ich nicht zu! Sei vernünftig, Hank!« Er machte einen Schritt zur Zellentür.
Sofort ruckte Jones Spencer. »Ich werde schießen!«
»Auf einen Freund? Auf den Mann, den deine Tochter liebt?«
»Kein Wort von Mary-Lou!«, flüsterte der Rancher heiser. »Chad, es liegt an dir, ob wir weiter Freunde bleiben! Fällt es dir so schwer, mich zu verstehen?«
»Ich trage den Stern, ich habe meine Pflicht zu tun. Und Amarillo ist ein Verbrecher! Hank, du …«
»Wenn du nicht mehr zu sagen hast, dann vergiss bloß nicht das Gewehr in meinen Händen!«, knurrte Jones grimmig. »Rühr dich nicht vom Fleck, Chad Harbin! Weiter, Amarillo, komm weiter. In dieser Stadt wird dir kein Haar gekrümmt.«
Amarillo war nur noch drei Schritte vom Zellenausgang entfernt. In Chad sträubte sich alles dagegen, diesen gnadenlosen Banditen wieder in Freiheit zu wissen. Mit einem wilden Satz warf er sich vorwärts und schlug vor dem Desperado die Gittertür zu. Im nächsten Moment kreischte schon der Zellenschlüssel im Schloss. Amarillo fluchte krächzend und krampfte erschöpft die knochigen Fäuste um die Eisenstäbe.
»Chad!«, knirschte der Rancher. »Du unterschätzt mich!« Geduckt, die Gewehrmündung auf die Brust des Sheriffs gerichtet, kam er langsam quer durchs Office. »Schließ wieder auf, Chad! Sofort! Beim Himmel, zwing mich nicht zum Äußersten!«
»Du wirst es nicht tun, Hank!«
»Es geht um sein Leben! Sie werden ihn hängen, das weißt du so gut wie ich!«
»Hat er es anders verdient? Ein Mann, der gewiss mehr als ein Menschenleben auf dem Gewissen hat? Hank, du machst dich zum Freund eines gesuchten Verbrechers! Denkst du gar nicht an deine Zukunft an deine Ranch … und an Mary-Lou?«
»Du sollst still sein!«, schrie ihn Jones in einer Mischung aus Wut und Verzweiflung an. »Meinst du, ich will dabeistehen und zusehen, wie sie ihm den Strick um den Hals legen? Dem Mann, dem ich mein Leben verdanke? Ein dreckiger Feigling wäre ich, wenn ich das zuließe! Chad, ich habe lange genug geredet! Lass ihn heraus!«
Langsam, fast schwerfällig, wandte sich Chad der Zelle zu.
»Amarillo, willst du das wirklich annehmen? Er setzt seine Ehre und Sicherheit deinetwegen aufs Spiel. Er wird …«
»Verdammter Narr!«, knirschte Amarillo schwitzend. Seine Augen flammten. »Zeig mir den Mann, der eine andere Wahl trifft, wenn ihm der Galgen droht.
Los, du Schwätzer, sperr endlich auf!« Die Knöchel an seinen Fäusten traten weiß hervor.
Jones’ Stiefel pochten dicht an Chad heran. Der Sheriff spürte den kalten Stahl der Gewehrmündung im Rücken. »Mach schon!« Chad ließ den Schlüsselbund auf die Dielen scheppern. Er bückte sich sofort. Seine Muskeln spannten sich dabei. Es ging nicht nur mehr um Amarillo. Er musste Mary-Lous Vater vor einem Fehler bewahren, der ihm und dem Mädchen die Existenz im Greenhill County kosten würde!
Ehe er sich herumschleudern konnte, um Jones die Beine wegzureißen, schrie Amarillo scharf: »Vorsicht, Hank, ein Trick!«
Jones sprang geistesgegenwärtig rückwärts. Chads Fäuste schossen ins Leere. Er verlor das Gleichgewicht und fiel auf die Bretter. Jones schnaufte heftig. Chad wälzte sich herum und griff zum Revolver.
»Hank, nicht …«
Jones’ Karabinerlauf zuckte nieder und streifte Chads Kopf. Der Schmerz drohte dem Sheriff die Besinnung zu rauben. In seinen Händen war plötzlich keine Kraft mehr. Jones sprang über ihn weg zur Zelle und drehte den Schlüssel.
»Raus mit dir!«, schrie er dem Banditen atemlos zu. Die Gittertür quietschte laut in den Angeln.
Mit zusammengebissenen Zähnen schaffte es Chad, auf die Knie zu kommen. Aber sein Holster war leer. Der Revolver lag auf dem Boden. Jones zerrte Amarillo aus dem Jail. Da flog die Officetür auf. Deputy Walt Drover und ein breitschultriger Mann in braunem Kordanzug stürmten herein, jeder einen Revolver in der Faust.
»Jones!«, schrie der junge Hilfssheriff schrill. »Haben Sie den Verstand verloren?«
Hinter ihnen hastete Mary-Lou mit gerafftem Kleidersaum die Verandastufen herauf. Jones ließ Amarillo los. Der verwundete Desperado sank in die Knie. Jones schwang den Spencer-Karabiner herum, zögerte jedoch einen Moment, auf den Deputy abzudrücken. Da hatte sich Chad wieder einigermaßen gefangen und rammte ihm die Schultern gegen die Beine. Jones krachte rücklings gegen das Zellengitter. Der Karabiner entglitt ihm. Als er sich danach bückte, drückte ihm Drovers breitschultriger Begleiter die Revolvermündung ins Genick.
»Du warst dem Tod niemals näher als jetzt!«, knurrte er dabei grimmig.
Jones nahm die Hände vom Gewehr und richtete sich langsam hoch. Sein eckiges Gesicht war dunkel vor Wut und Enttäuschung.
»Den Gefallen tu ich dir nicht, Kellock!«, raunte er dem Breitschultrigen zu. »So billig bekommst du meine Ranch nicht!«
Drover stemmte Amarillo in die Zelle zurück und Schloss ab. Kopfschüttelnd wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Chad hatte sich erhoben und seinen Revolver wieder an sich genommen. Mary-Lou stand blass und verkrampft auf der Schwelle. Ihr Blick wanderte hilflos hin und her. Chad wandte sich an den breitschultrigen Rancher Bruce Kellock.
»Nehmen Sie Ihr Schießeisen weg. Es ist alles vorbei.«
Kellock ließ die Waffe sinken. Unter den buschigen Brauen hervor starrte er den Sheriff finster an. »Ich warte darauf, dass Sie Jones zu diesem Kerl ins Jail sperren.«
»Es ist meine Entscheidung«, sagte Chad kühl. »Hank, du kannst gehen!«
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