Meinard Lembel Oder für ein Apfel und Ei – ich verstehe Sie durchaus, junger Mann, ich verstehe sogar sehr gut. Was für eine gewisse Geschäftstüchtigkeit Ihrerseits spricht. Respekt, Respekt.
Radius Lehr Mehr wie acht?
Meinard Lembel Mehr wie acht - was soll denn das jetzt schon wieder bedeuten?
Radius Lehr Acht pro Stück.
Meinard Lembel Also, mein Haus verfügt, wenn Sie vielleicht darauf anspielen wollen, über ein ausgeklügeltes Tantiemensystem, und unsere Autoren haben sich in den seltensten Fällen beklagt.
Radius Lehr Dann vielleicht sogar zehn? Zehn pro Stück?
Meinard Lembel Sie werden mehr wie zufrieden sein, dies kann ich Ihnen mit Sicherheit zusichern. Und mit absoluter Gewissheit, aber warten Sie es doch einfach ab. Bis es soweit ist.
Radius Lehr Was - noch mehr? Wie zehn?
Meinard Lembel Warum gehen Sie jetzt nicht einfach nach Hause, und fangen endlich an zu schreiben? Alles andere ergibt sich von ganz allein, das können Sie mir ruhig glauben.
Radius Lehr Das stimmt, da haben Sie allerdings recht. Schließlich hat sich ja Bücherschreiben auch noch nie alleine erledigt.
RLG Radius Lehr stand auf und reichte Herr Lembel die Hand. Obwohl das im Anbetracht der Ausmaße seines Schreibtisches eigentlich witzlos war. Beziehungsweise aussichtslos.
Meinard Lembel Nein, warten Sie – noch einen winzigen Moment bitte! Gestatten Sie mir, bevor Sie mich verlassen, auch eine Frage. Eine allerletzte Frage.
Radius Lehr Das Bücherschreiben erledigt sich auch nicht, wenn man unnötig die Zeit gestohlen bekommt.
Meinard Lembel „Sicher, ganz gewiss sogar, Da haben Sie nicht einmal Unrecht. Doch was mich zum Abschluss unseres auch für mich durchaus aufschlussreichen Gesprächs noch interessiert ist die Frage, in welchem Metier sie bisher tätig sind. Wenn ich einmal so frei sein darf.“
Radius Lehr Ich habe keine Ahnung, was Sie jetzt schon wieder meinen.
Meinard Lembel Na, welchen Beruf Sie ausüben.
Radius Lehr Ach so.
Meinard Lembel Sie müssen es natürlich nicht sagen, Diskretion ist eines der obersten Gebote meines Verlages.
Radius Lehr Aber das ist doch nun wirklich ganz einfach.
Meinard Lembel Es ist ja auch nicht so, dass mein Zeitfenster nicht am Voranschreiten ist.
Radius Lehr Ach wissen Sie, einen auf Tapezierer und Streicher habe ich gemacht. Aber das bin ich die längste Zeit gewesen.
Meinard Lembel Oh, mein Gott, das hört sich gar nicht gut an. Nicht, dass man einen wie Sie am Ende auch noch entlassen hat.
Radius Lehr, Nee, ganz bestimmt nicht, aber das haben Sie mir doch auch gerade selber erklärt.
Meinard Lembel Ich fürchte, diesmal bin ich derjenige, der nicht folgen kann.
Radius Lehr Na ja, das mit dem Bücherschreiben. Und dass das mehr einbringt.
Meinard Lembel Dann scheinen Sie es wirklich ernst zu meinen.
Radius Lehr Drum hab ich jetzt auch überhaupt keine Zeit mehr.“
Meinard Lembel Gut, und ich möchte Sie keineswegs länger aufhalten. Viel Glück wünsche ich Ihnen, davon kann man nie gut genug haben. Gerade bei der Führung einer Feder, und so etwas wie einen Tapeten- Epos hat nach meiner Kenntnis auch noch niemand geschrieben.
Radius Lehr Und sobald ich was geschrieben habe, komme ich wieder.
Meinard Lembel Sehr gerne sogar, jemand wie Sie ist jederzeit herzlich willkommen. Auf Wiedersehen, Herr Streicher.
RLG Im penetrant nach geröstetem Bohnenkaffee duftenden Vorzimmer hockte Mio noch immer auf ihrem Schreibtisch, und schien diesmal am anderen Schuh zu knabbern.
Mio Vong Was für ein Netter Sie sind.
RLG Still und stumm blieb allein der graue Liftboy, unten schien Fräulein Holly noch immer nach fehlenden Teilen ihres Kugelschreibers Ausschau zu halten.
Radius Lehr Tschüss, Sie alte Schreckschraube.
Neuer Kontostand: ein ßilberling, ein Ende
Blatt 25: Auf dem Heimweg beeilte er sich
Das Lindenbankhaus – Ihre Andere Bank
Auszug 35 159 23 5, Blatt 25
Aktueller Kontostand: ein ßilberling, ein Ende
RLG Auf dem Heimweg beeilte er sich! Die Pensionstreppen hinaufgestürzt. Bis ins Zimmer freilich, kramte Radius Lehr so dann, was das Zeug hielt, in eine Schublade der Kommode, hastig war kein Ausdruck, bis er auf den Grund stieß. Ein alter Schreibblock wurde ebenso vorgefunden, ein paar Stifte, ein Spitzer sowie ein halber Radiergummi. Am Tisch zitterte Radius Lehrs Hand anfangs noch zu sehr über dem – eigentlich - viel zu unschuldigen Papier, was dem Unglück nicht davon abhielt, einen weiteren Lauf zu nehmen. Beziehungsweise Verlauf.
Beileibe nicht, draußen war bald schon wieder die Dämmerung angebrochen, zwischen der Lücke, die sich neben dem freien Gelände des Schulhofs auftat, war am weiten Horizont die Silhouette eines Turms zu erkennen, auf der anderen Seite der Stadt, unbewohnt und zu kaufen. Ja, und es waren schon viele, viele Jahre vergangen, seit er klammheimlich davon träumte, den in Besitz nehmen zu können, und umso mehr der volle Mond am Aufgehen war, so sehr fühlte er ihn zum Greifen nah. So nah wie noch nie, immerhin erschien ihm es mit den von Herr Lembel in Aussicht gestellten Verdiensten nicht mehr wie ein Klacks zu sein. Und was interessierte jetzt schon noch irgendeine am Arsch der Welt zu renovierenden Bank, einzig was ihm auf dem Weg zur Finanzierung des Turmes noch fehlte, war etwas Vorzuweisendes, so dass Radius sich ans Werk machte. Beziehungsweise stürzte. Und nachdem er in die Hände gespuckt, brachte er Folgendes zu Papier:
Tapeziert der Tapezierer mit der Hand,
Hängt die Tapete an der tapezierten Wand.
Na, gar nicht mal so schlecht für den Anfang - oder etwa doch? Der damit gemacht worden war; klar, am Detail sollte vielleicht noch etwas gefeilt werden, deutete es aber nicht im Wesentlichen schon auf dem von Herr Lembel in die Waagschale geworfenen Tapetenepos, die Zehn pro Stück nicht zu vergessen? Und immerhin waren es bereits nach ein paar Sekunden dreizehn – dreizehn Stück. Beziehungsweise Wörter, nicht auszumalen, wie laut die Kasse noch rasseln wird, lauter und schriller wie je zuvor, die Eroberung des Turms schien sich in der Tat jetzt nur noch als ein Kinderspiel zu entpuppen. Versehentlich war der Radiergummi unter dem zerfledderten Grammatikbuch gerutscht, so dass Radius Lehr unwillkürlich Annes Gedicht entdeckte. Welches inzwischen ja seines, doch was war eigentlich Besonderes daran, so dass sogar einer wie der Lembel Interesse bekundet hatte:
Elf Elfchen
Farbenfröhlich
Blütenzarte Bande
Ein verträumter Zaun
Lila ist die Sonnenwelt
Achtsamkeit
Elf Elfchen? Von Anne? Farbenfröhlich? Blütenzart? Ja, nett irgendwie, doch, doch, schön irgendwie, aber wo waren all die kindlichen Talente? Von welchen sogar der Lembel schwärmte? Verborgen? Versteckt? Und wo die Phantasie, die kindliche, nein, konnte man dem Gedicht überhaupt was abgewinnen? Außer nichts, aber auch rein gar nichts, und war die Anne nicht jetzt umso besser zu verstehen, warum die es nicht rausrücken wollte? Denn war das literarische Eis, auf welches sie sich gewagt hatte, sowieso nicht viel zu dünn? Für sie? Schlichtweg, bei allen Kindertalenten, die Radius Lehr ihr in keiner Weise in Abrede stellen wollte, keineswegs, keineswegs, doch die Gefahr sich auf dem literarischen Niveau eines kleinen Mädchens herab zu lassen, um sich am Ende auch noch in der Öffentlichkeit zu blamieren, sah er in der Tat zu sehr als eine gegebene an.
Radius Lehr schob das zerfledderte Buch mit dem Gedicht beiseite, nach wie vor war er zu allem bereit. Zumal das Bücherschreiben nach seinem Ermessen nicht komplett neu erfunden werden hätte müssen, nur wollte er eigene Pfade beschreiten, und auch hierbei wäre Annes Gedicht mehr wie ein zu schlechter Berater gewesen, beziehungsweise eine echte, wirksame Hilfestellung, ganz im Gegenteil, und war er eigentlich nicht völlig umsonst ein erfahrener Tapezierer gewesen? Ex – Tapezierer natürlich, von einem Ex - Streicher und Ex - Lackierer ganz zu schweigen? Radius Lehr radierte und radierte, bis die Bühne des weißen Papiers wieder frei war:
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