Der Tapezierer klebt die Tapete
An die Wand.
Und bleibt sie kleben
Klebt sie ein Leben lang.
Ganz bestimmt, ganz gewiss war dem so, was von Qualität zeugt. Doch, doch, ganz eindeutig war dem so. Und natürlich käme es auch immer auf die Festigkeit des Leimes an, das richtige Umrühren nicht zu vergessen. Radius Lehr sah sich in der Tat auf einem sehr, sehr guten Weg, war er dem angestrebten Tapetenepos nicht entschieden näher gerückt? Im wahrsten aller Sinnsinne, nur was wäre eigentlich, wenn Lembel bei der Stückzahl gar nicht die einzelnen Wörter gemeint hatte? Sondern jeden einzelnen Buchstaben – ach, du meine Güte! Als er von diesen komischen Tantiemen faselte? Zehn pro Stück, wären das nicht nach Adam Riese zehn pro Stück mal achtundsiebzig? Und befand er sich nicht eigentlich nicht noch immer in den sogenannten Startlöchern? Denn war nicht so ein geschriebenes Buch normalerweise schon einigermaßen dick? Mordsmäßig dick, so dass es förmlich vor Buchstaben überquoll, und ob solche Zahlen überhaupt noch mit einem hundsgewöhnlichen Stundenlohn verglichen werden hätte können? Nein, ganz bestimmt nicht, nie und nimmer, was für Aussichten sich vor ihm auftaten – unglaublich. ´Ja, unfassbar, etwas, was für einen wie Radius Lehr bis vor kurzem unvorstellbar gewesen wäre? Und bei einem wie dem Wieschensriether, der sich seinen Hungerlohn endgültig sonst wohin schmieren konnte, erst recht nicht, nie und nimmer. Und dabei waren es wirklich schon siebenhundertachtzig für den Turm seiner Träume, und galt es lediglich nicht, noch ein paar Häufchen dieser Buchstaben dazu zu pinseln? Fein säuberlich wohlgemerkt? Doch in einem der nächsten eigentlich für ihn viel zu knapp bemessenen Momenten klopfte es an der Tür. Frau Fiel war es, natürlich, wer sonst, doch sie erschien diesmal nicht allein. Nein, in ihrem Schlepptau ein jüngerer Mann, etwas klein geraten, leicht untersetzt, rundlich das Gesicht, ein riesengroßer, kunterbunter Karton bis unterm Kinn geklemmt, hinter welcher er beinahe zu verschwinden schien. Kunterbunt auch die Aufschrift auf der Packung: „Die kunterbunte Lorenbahn.“
Federica Fiel Ach, Radius, immerhin bist du ja schon mal aufgestanden. Wenn das nicht ein gutes Zeichen ist, und sicherlich kannst du morgen auch wieder arbeiten gehen.
Radius Lehr Arbeiten - ach so ja, so kann man es natürlich auch nennen.
Federica Fiel Sogar die Schüssel hast du aufgegessen. Ach, wie mich das freut!
RLG Radius Lehr erhoffte sich ein baldiges Verschwinden von Frau Fiel, die ihrerseits die ausgeleckte Schüssel auf der Kommode gegen eine mit Wasser gefüllte austauschte. Zum einen wollte er den begonnenen Tapeten- Epos weiterschreiben, zum anderen war Radius Lehr jener Typ, der an der Tür stehen geblieben war, nicht hundertprozentig geheuer. Irgendwie, von Sympathie ganz zu schweigen.
Federica Fiel Ach, Radius, du glaubst ja gar nicht, was ich heute schon wieder durchgemacht habe. Unten in der Stadt war ich, um ein paar Schachbretter zu kaufen. Und ein paar Schachuhren, und weißt du, was dann war?
Radius Lehr Sie werden es mir mit Sicherheit gleich erzählen.
RLG Der seltsam anmutende Fremde war am Prusten.
Federica Fiel Was glaubst du, was ich in Abrahams Schaufenster gesehen habe – du glaubst es nicht. Als ich aus dem Bus gestiegen bin.
Radius Lehr Keine Ahnung. Ich war heute nicht drüben, ich bin heute einfach nicht dazu gekommen.
Federica Fiel Schachbretter! Schachbretter und Schachuhren – und wir schleppen uns mit voll bepackten Einkaufstüten ab! Bis über beide Ohren!
Fremder an der Tür Dazu noch eine Kuckucksuhr. Die hat er jetzt auch noch.
Radius Lehr Wie - Abraham verkauft jetzt auch noch Kuckucksuhren?
Federica Fiel Stimmt alles, was der Bernti sagt, im Schaufenster, ach Radius, den habe ich ja beinahe vergessen. Um Haaresbreite, habe ihn nämlich heute getroffen. Unten in der Stadt, ach, wie lange alles zurückliegt. Ihr ward ja noch Buben, und er hat mir auch geholfen, die Einkaufstüten in den Bus zu zerren.
Radius Lehr Von dem riesigen Karton ganz zu schweigen – nicht wahr?
Federica Fiel Ach, Radius, du kannst dich doch bestimmt noch erinnern. Als ihr Buben ward. der alte Vater von ihm hat doch den Getränkehandel gehabt.
Radius Lehr Getränkehandel – welchen Getränkehandel? Tut mir leid, keine Ahnung.
Federica Fiel Da wo jetzt der Tunkel ist. Kummer hieß er doch, der alte Getränkehändler Kummer, aber sicher kennst du den noch, das war doch der Getränkehändler. Der immer mit Getränken gehandelt hat.
Radius Lehr Ich glaub, ich kann mich jetzt doch noch erinnern. Aber allerhöchstens ein bisschen.
Federica Fiel Samstags hat er den alten Vater Herr Kummer immer geholfen. Auf dem Getränkewagen. Ach, Radius, wie lange das alles zurückliegt.
RLG Dann herrschte absolutes Stillschweigen. Im Zimmer, für eine kurze Zeit freilich nur,
Federica Fiel Und du glaubst ja auch nicht, wie froh ich war, als ich ihn getroffen habe. Unten in der Stadt, nach so langer Zeit, ohne ihn wäre ich mit der Schlepperei ganz schön aufgeschmissen gewesen. Schließlich ist man auch ja nicht mehr die Allerjüngste.
RLG Wiederum Stillschweigen, nur das Prusten des Fremden hielt an, unvermindert wohlgemerkt.
Federica Fiel Ach so, Radius, du kannst ja morgen gar nicht kommen.
Radius Lehr Natürlich nicht, Sie kennen mich doch.
Federica Fiel Wo du doch wieder arbeiten gehst.
Radius Lehr Arbeiten – ach so!
Federica Fiel Wegen unserem Schachturnier.
Radius Lehr Das kommt darauf an, wann ich Feierabend machen kann.
Federica Fiel Was schön wäre.
Radius Lehr Ich denke, das wird schon irgendwie klappen, aber wenn Sie es schon erwähnt haben: wem haben Sie eigentlich sonst noch eingeladen?
Federica Fiel Oh, mehr wie genug, die Anne natürlich, den Erich nicht zu vergessen, dazu noch Leonid und selbstverständlich sind Amalie und Dimitri auch noch dabei.
Radius Lehr Was – und den Alonso nicht?
Federica Fiel Doch, den natürlich auch noch.
Radius Lehr Acht auf einen Streich.
Federica Fiel Sogar neun, aber der Bernti traut sich einfach nicht.
Bernti Kummer Natürlich nicht – für Schach bin ich einfach nicht geeignet.
Radius Lehr Ach, was macht‘ s, wenn einer wie du nicht dabei ist. Wir sind ja auch so genug, nicht wahr, Frau Fiel?
Federica Fiel Wenigstens hat er beim Schleppen geholfen, ach, man ist ja nicht mehr die Allerflotteste.
RLG Radius Lehrs Blicke waren starr auf Frau Fiels Bewegungen fixiert, doch war sie nicht am Verschwinden samt der unsympathischen Begleitung? Eine spürbare Erleichterung, ohne Zweifel, und um nicht noch mehr unnötige Zeit zu verlieren, machte er sich sofort auf die Suche nach dem Radiergummi, der sich wie aus einem heiteren Nichts auf jene noch immer mit dem Kreuzworträtsel aufgeschlagene Fernsehzeitschrift verirrt zu haben schien, an welchem sich zur Mittagszeit die Anne versucht hatte:
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Nun radierte er das bisher Erarbeitete des Tapetenepos wieder aus, und schrieb sämtliche Buchstaben der erratenen Wörter aus, um sie in immer neuen Reihenfolgen zu formieren. Beziehungsweise Zusammensetzungen, es wurde geschrieben und radiert, was das Zeug zu halten imstande war, geschrieben und radiert, eine Stunde nach der anderen, geschrieben, radiert, draußen war bereits die Morgendämmerung heran gebrochen, als er sich endlich zurücklehnte. Sowohl vom Radiergummi wie auch vom Stift war so gut wie gar nichts übriggeblieben, und mit einer gewissen Befriedigung betrachtete er das Hervorgebrachte:
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