Meinard Lembel Was - Sie schon wieder! Und dass auch noch hier? In meinem Haus!
Radius Lehr Nix für ungut!
Meinard Lembel Dass Sie sich auch noch hier her trauen - unglaublich!
Radius Lehr Nur nicht ärgern, außerdem bin ich eigentlich längst schon wieder am Weggehen!
Meinard Lembel Was ich Ihnen auch geraten haben möchte!
Radius Lehr Na klar, Sie brauchen mich ja bloß vorbeilassen, leid tut‘ s mir aber trotzdem.
Meinard Lembel Ach, leid tut ihnen auch noch was.
Radius Lehr Doch, doch, irgendwie schon, und eigentlich sehen Ihre Nadelstreifen gar nicht so schlimm aus.
Meinard Lembel Das wird ja immer schöner!
Radius Lehr Ja – richtig niedlich sogar!
Meinard Lembel Und um mir so etwas Idiotisches zu sagen, wagen Sie sich her!
Radius Lehr Ja! Nein!
Meinard Lembel Ein Ausbund an Entschlossenheit – das auch noch!
Radius Lehr Nein! Ja, ich hatte sowieso nur eine Frage.
Meinard Lembel So, eine Frage also. Und deshalb glauben Sie, meine Zeit stehlen zu können. Und auch noch, wie ihnen gerade beliebt, im Übrigen steht Ihnen für Fragen aller Art Fräulein Holly zur Verfügung. Und nun lassen Sie mich endlich vorbei!
Radius Lehr Sie werden lachen, das hab ich ja, aber bei der kriegt man ja nicht einmal einen Termin!
RLG Molly Holly war mittlerweile in niederen Hemisphären ihres Empfangs abgesunken, infolge des von Radius Lehr Ausgesprochenen schlug sie mit dem Hinterkopf etwas unsanft an die Unterkante ihrer Theke.
Molly Holly Aber Herr Direktor, das stand doch gar nicht zur Diskussion.
Meinard Lembel Was heißt hier Diskussion? Schließlich gehört auch dies zu Ihren Aufgab2en.
Molly Holly Aber, aber - der Herr hat doch überhaupt nicht nach einem Termin gefragt.
Meinard Lembel „Als ob Dinge wie Service und Rat und Tat heutzutage nicht mehr den guten Ruf eines Hauses ausmachen würden.
RLG Lembel wandte sich Radius Lehr zu.
Meinard Lembel Meine Mitarbeiterin wird sich jetzt um Sie bemühen. Und selbstverständlich erhalten Sie auch einen Termin, meinetwegen, insofern Sie noch darauf bestehen.
Molly Holly Aber Herr Direktor, Sie sind für Wochen ausgebucht. Ach was, für Monate, da brauch ich erst gar nicht nachzuschauen. Ihr Terminkalender ist randvoll, bis über beide Ohren.
Meinard Lembel Oh je, ich fürchte, mit Ihnen ist heute auch kein Staat mehr zu machen. Alles muss man selber machen - aber auch wirklich alles!
RLG Und zu Radius Lehr.
Meinard Lembel Wenn Sie mir bitte folgen würden.
Molly Holly Aber Herr Direktor, das können Sie nicht machen, das geht einfach nicht.
Meinard Lembel Oh, Fräulein Holly, und wie das geht.
Molly Holly Randvoll sind Sie.
Radius Lehr Ich versteh nur Bahnhof.
Molly Holly Und der nächste Termin ist schon in zweiundzwanzig Minuten fällig. Aber eigentlich müssten Sie das selber wissen.
Meinard Lembel Tja, mein liebes Fräulein, das hätte Ihnen eben etwas früher einfallen müssen.
RLG Fünf Minuten kann ich schon dazwischen klemmen. Irgendwie wird‘ s schon gehen, insofern Sie damit einverstanden sind.“
Radius Lehr Ich hatte doch sowieso bloß eine Frage. Und dafür sind selbst fünf Minuten eigentlich fast schon wieder zu viel.
Meinard Lembel Wenn Sie mir dennoch bitte folgen würden.
Molly Holly Das glaub ich jetzt einfach nicht. Ein Betriebshandwerker, nein, einfach nicht zu fassen.
ßilberling Ob Märchen oder Dramen, Prospekte und Romane.
RLG Der allerbeste Leseschmaus.
ßilberling Kommt aus dem Lembelhaus.
RLG Was – du willst doch nicht etwas sagen.
ßilberling Dass ich auch bei dem Kerl war?
RLG Wanderer!
ßilberling Oh, Wanderer.
Neuer Kontostand: ein ßilberling, ein Ende
Blatt 23: Ich weiß ja auch gar nicht mehr
Das Lindenbankhaus – Ihre Andere Bank
Auszug 35 159 23 5, Blatt 23
Aktueller Kontostand: ein ßilberling, ein Ende
ßilberling Ich weiß ja auch gar nicht mehr. Wie lange es zurückliegt! Jedenfalls wurde ich eines Tages auf einen Apfel – und Orangenmarkt weitergereicht, frei nach dem Motto „Wanderschaft hin – Wanderschaft her“. Tja, so wie es für uns Münzen nun mal üblich ist, und so landete ich ausgerechnet in die Handtasche von Babette Lembel.
RLG Nanu?
ßilberling Die Gattin.
RLG Nanu?
ßilberling Ja, ja, und das, was für mich folgte, waren ruhige Zeiten, um nicht zu sagen, sehr ruhige Zeiten, still und stumm allein der Liftboy Charlie in der grauen Liftuniform mit den ewigwährenden Knöpfen.
Eleganz war überhaupt kein Ausdruck, beileibe, besonders die mustergültig ausgestattete Chefetage im vierten Stock des Glaspalasts, zum Beispiel waren die orientalischen Auslegewaren mit glatt gestriegelten Goldfäden durchsetzt, auch die bordeauxroten Wandtapeten, eine im Silberrahmen gefasster, gezeichneter Zitronenfalter nicht zu vergessen, unmittelbar vor dem Vorzimmer hing dieses Bild. Das Vorzimmer selbst war mehr oder minder spartanisch eingerichtet, so dass es sich von einem hundsgewöhnlichen Allerweltbüro kaum unterschied: ein paar Aktenschränke beziehungsweise –regale, ein schlichter Schreibtisch, an welchem Frau Lembel Dinge des tagtäglichen Bedarfs wie ständiges Telefonieren genauso erledigte wie das Bestücken des Terminkalenders Ihres Mannes, Ablagen und Korrespondenzen, seit Jahrzehnten wohlgemerkt, den stets gut gerösteten Bohnenkaffee nicht zu vergessen.
Lembel residierte indes im Zimmer nebenan an einem überdimensionalen Riesenschreibtisch, aus purem Eichenholz, frei nach dem Motto „wenn schon, denn schon.“ Oder war er aus Linde, ich weiß es nicht mehr so haargenau, ehrlich gesagt, ebenso zierten neben großen und weiten Regalen in einer Ecke eine exquisite Sitzgruppe aus waschechtem Weißleder den Raum, natürlich fehlte auch eine kleine Geschäftsbar nicht. Für den Empfang seiner Gäste, den weitaus größeren Teil seiner Zeit hielt sich Lembel jedoch am Schreibtisch auf und brütete über Manuskripte, um sie für das Herausgeben zu bestimmen. Gegebenenfalls, sein wahrer Stolz ruhte jedoch in drei Glasvitrinen, ganz besondere Exemplare nämlich, glitzernd verhüllt und mit goldenen Lesezeichen versehen, handelte es sich hierbei doch ausschließlich um prämierte Werke seines Verlages.
RLG Buchpreise?
ßilberling Haargenau, und die Regale waren sogar mit einigen Literaturpokalen bestückt – glänzend und funkelnd.“
RLG Ob Märchen oder Dramen.
ßilberling Prospekte und Romane, der größte Leseschmaus.
RLG Frisch aus dem Lembelhaus.
ßilberling Auf einem kaminroten, herzförmigen Samtkissen in einem Regal gleich hinter dem Schreibtisch wurde ich aufbewahrt. Hach, wie weich, wie flauschig, wie kuschelig, und wie viele Wochen waren es tatsächlich, die ich darauf verweilte? Oder waren es gar Monate, auf die Dauer war es allerdings doch ein wenig zu öde. Bei allen Bequemlichkeiten, die langweiligen Gespräche mit irgendwelchen Geschäftsheinis in der Lederecke bei Rollmopsschnitten und Eierlikör oder Ähnlichem, stets von Frau Lembel liebevoll serviert. Unter dem Strich war es für mich eine persönliche Erleichterung, als ich endlich wieder auf Reisen geschickt worden war.
RLG Aha – und wie?
ßilberling Eines Tages eilte die Frau Gemahlin in das Chefbüro, wo die Morgenzeitung noch ausgiebig gelesen wurde. Unmittelbar nach dem völlig ungewohnten Hineinplatzen wurde brühheißen Bohnenkaffees verschüttet – wie aus heiterem Himmel. Auf die Untertasse, auf den im edlen Zwirn verhüllten Schoß, von der Krawatte gänzlich zu schweigen. Sie indes schien nicht einmal für das Ablegen ihres Leopardenpelzes Zeit gehabt zu haben.
Babette Lembel Einen Apfel will er.
Meinard Lembel Einen Apfel?
Babette Lembel Nur einen Apfel.
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