Für Windik war es wirklich schlimm.
Der Magen bis zu den Knien hing.
Aber er schaute noch genauer hin.
Die Bäuerin am Herd, am Backen.
Das ist die Geschichte von Pfarrer Windik
Und der alten Witwe Lahmen,
Wie sie leibten, wie sie lebten;
Eine Geschichte wie sie es heute
Wird nicht mehr geben.
Sie buk und buk in einem fort.
Immerzu am Bauernofen dort.
Der Stapel höher und noch höher,
Äpfel, Äpfel, Eier, Eier.
Nur ein einziges Mal blieb der Finger von der Nase.
Das Tropfen ein einziges Mal ausgefallen.
Bei einem einzigen Pfannkuchen.
Auf dem Kohleofen mit dem heißen Feuer.
Ja, sehr genau beobachtete der Pfarrer Windik dies.
Mit dem in der Pfanne würde es gehen,
Was die Witwe nicht verstehen wollte.
Der in der Pfanne noch viel zu heiß;
Einen vom Stapel, dampfend und warm.
Doch der Pfarrer Windik bestand,
Auf dem in der Pfanne oder keinen.
Witwe Lahmen stöhnte ganz leis.
Dann reichte sie ihn ihm, frisch aus der Pfanne,
Und im geistlichen Munde lief es zusammen.
In Kürze die Zunge verbrannt,
So bekömmlich das Mahl auch war.
Die vielen Äpfel, Äpfel, Eier, Eier,
Zufrieden lehnte er sich zurück,
Hat es doch gar sehr den Magen beglückt.
Nein, es war einfach wunderbar.
Nur die Zunge am Ende, die tat weh.
Ja, die Backkunst beherrschte sie,
Das war zu bezweifeln nicht,
Nur das mit dem Grabe ihres Bauern,
Auf dem Kirchhof wäre ein Dorn im Auge.
Ach, seufzte die Bäuerin Lahmen,
Niemand bräuchte sie tadeln,
Und gäbe es auch nichts zu bedauern,
Auch mangelte es ihr nicht an Glauben.
Das ist die Geschichte von Pfarrer Windik
Und der alten Witwe Lahmen,
Wie sie leibten, wie sie lebten,
Eine Geschichte wie sie es heute
Wird nicht mehr geben.
Nur zu weit wäre der Weg zum Grab,
Seit den Tagen, als er starb,
Einsam unterm Traktor.
Wäre sie nicht selbst schon längst
Dem Tode nahe?
Das Gedenken für ihren Verstorbenen
Trug sie aber im Verborgenen.
Ja, im Herzen sie ihn trug,
Ganz verschwiegen, ganz im Innern.
Zufrieden nickte zu der Pfarrer Windik,
Das was sie sagte, war ihm wichtig.
Denn war sie am Ende nicht doch ein rechtschaffenes Weib,
Mit dem Herzen am rechten Fleck?
Wo sie das Andenken an Ihrem Mann trug
War dies eigentlich nicht mehr wie genug?
Zurück blieb lediglich ein ungepflegtes Grab,
Und nochmal war es der Magen, der ihn plagte.
Ausgelöst vom guten Pfannkuchen
War nämlich ein Völlegefühl zu vernehmen.
Eier, Äpfel, Eier, Äpfel, Eier,
Er fragte an bei der freundlichen Gastgeberin,
Die ihm sogleich den Weg wies.
Ja, Windik fühlte sich jetzt schon irgendwie mies,
Und draußen wäre es, im Freien.
Im Hof werden Sie‘ s schon finden.
Sprach‘ s, Windik ließ die Alte hinter sich,
Die kühle Landluft im Hof erfrischte merklich.
Dort wo ein Holzhäuschen,
Mit Herzchen in der Mitte,
So wie es die Bäuerin beschrieb.
Und das was ihm nun blieb.
Sich dem Örtchen zu nähern,
Schnurstracks und mit festem Schritt.
Das ist die Geschichte von Pfarrer Windik
Und der alten Witwe Lahmen,
Wie sie leibten, wie sie lebten;
Eine Geschichte wie sie es heute
Wird nicht mehr geben.
Doch als er öffnete die Tür,
Erschreckte er sich gar sehr.
Gerüche in die Nase,
Das Herz blieb fast stehen.
Ein Brett mit Loch – mehr war das nicht.
Kein Deckel, kein Nichts, es war einfach nur ärgerlich.
Die Gerüche im Übermaße,
Und überall nur Fliegen, Fliegen, Fliegen.
In seiner Not kaum eine Wahl
War das Überwinden eine Qual.
Doch noch während seinem Aufenthalt
Nahm sich vor der Pfarrer Windik,
Dies der guten Witwe vorzuhalten,
So kann man doch keinen Abort verwalten.
Es lief ihm runter durchaus kalt,
Zu sehr war‘ s für ihn - das Überwinden.
Schlichtweg eine Katastrophe das stille Örtchen,
Ja, wirklich nötig mehr wie ein ernstes Wörtchen.
Auch so könnte man einsam werden.
So betrat er erneut den Küchenraum;
Und dann sprach er: gute Witwe Lahmen,
Ihre Backkunst, was für eine feine Gabe,
Nur das Holzhäuschen im Hintergarten,
Wäre alles andere wie ein Traum.
Man könnte nicht die Türe öffnen
Ohne das Gerüche entgegen strömten,
Und man muss sich überwinden,
Und nichts weiter wie
Fliegen, Fliegen, überall nur Fliegen,
Es stänke wie in einem Schweinestall,
Ein Brett mit Loch dort lediglich zu finden.
Nicht mal ein Deckel, nein, so etwas widerfuhr ihm noch nie.
Das ist die Geschichte von Pfarrer Windik
Und der alten Witwe Lahmen,
Wie sie leibten, wie sie lebten.
Eine Geschichte wie sie heute es
Wird nicht mehr geben.
Und so endete sie auch.
Die Geschichte zwischen den Beiden,
Und ein letztes Mal wendete sie
Einen runden Pfannkuchen,
Mit dem Deckel in der Hand.
Neuer Kontostand: ein ßilberling, ein Ende
Blatt 12: Ja, ja, die guten, alten Witze
Das Lindenbankhaus – Ihre Andere Bank
Auszug 35 159 23 5, Blatt 12
Aktueller Kontostand: ein ßilberling, ein Ende
ßilberling Ja, ja, die guten, alten Witze!
RLG Schon gut.
ßilberling Von Pfarrer Kühnert!
RLG Schon gut!
ßilberling Was hast du?
RLG Weiter im Kontext.
ßilberling Meinetwegen.
RLG Ja.
ßilberling Na gut. Von mir aus.
RLG Ach, ßilberling -du erahnst es ja auch nicht. Denn inzwischen war es noch lichtärmer geworden am Ecktisch, die Kerze verkümmert, und gemeinsam mit Schafbauer Fried schleppte Schankwirt Viereck den alten Lehr ins Taxi, welches bereits vor der Tür des Ratskellers bereitgehalten war. Daheim an der Mutter vorbei getorkelt, die blieb stumm, lediglich in den Finger sie sich stach.
Bei allen Zügellosigkeiten im Ratskeller, beziehungsweise Übertreibungen, sollte Vater Lehr nicht einmal völlig Unrecht behalten, was die Zukunftsaussichten des Sohnes betraf. Vorläufig zumindest, vorläufig, denn spielend leicht konnte Radius die glänzende Notenbilanz von der Grundschule bis ins Gymnasium rüber schaukeln, was den väterlichen Überstolz nicht abspenstiger machte. Ganz im Gegenteil, ganz im Gegenteil, inzwischen nahezu allabendlich im Ratskeller wurde das Prahlerische keineswegs gestoppt: zum Beispiel wäre ein Name wie Alexander von Humboldt bald nur noch Schall und Rauch gewesen. Tagein, tagaus, der Protagonist der väterlichen Vorschusslorbeeren zitterte in der Regel unter seiner eiskalten Bettdecke, wenn der zur vorgerückter Abendzeit in die Wohnung stolperte. Vorbei an die Mutter, das ewige Nadelkissen in der Hand, der volle Mond belichtete das Glitzern des Firmaments, nur die Vögel, sie flogen nicht mehr. In der Tat, was war mit ihnen, oder hatte man sie am Ende gar abgeschossen? Und wo waren die Betrunkenen, hatte man ihnen etwa ein Bein gestellt?
Bei allen Vorzügen des Gymnasiums konnte dies dann doch nicht restlos alles bieten. Zum einen war es der sterile Neubaustil, ein nahezu hundertprozentiger Kontrast zur Romantik des alten Schulhauses unserer Vorstadt. Zweifelsohne, auch war der Freundeskreis jetzt ein anderer, denn wohnte man zu Zeiten der Grundschule nicht mit denen aus der Klasse praktisch Tür an Tür? Überall, in den Straßen und Gassen unseres Viertels, überall, und hatte man dort nicht so viel Spielkameraden gehabt, so viel man nur haben wollte? Nicht einer von den anderen jedoch schafften den Sprung ins Gymnasium, so dass Radius morgens ohne einen der alten Kumpels an der Bushaltestelle stand. Übrigens direkt vor Abrahams Laden, das Alleinsein setzte sich zunächst nahtlos bis in die große Pause fort; bewaffnet mit einer von der Mutter liebevoll bepackten Bratheringsdose hielt er sich in irgendeiner Ecke auf. Ohne einen jeglichen Kontakt zu anderen, bis es Jecki war, der sich ihm einmal an einem Vormittag näherte. Völlig unverhofft freilich, beinahe schon wieder wie aus heiterem Himmel, bekleidet mit Lederjacke und modisch geschnittenen Blue Jeans.
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