Georgia gab ihr noch ein paar Tipps und sie fachsimpelten eine Weile miteinander, während Georgia Vivian die Augen machte: schwarzer Eyeliner und ein bisschen Wimperntusche, das war's. Nur das Minimalprogramm. Dann drückte sie Vivian das Bronze-Glitzer-Puder in die Hand.
Als die Plus-Size-Woman soweit fertig war, schlenderte Georgia in den Hauptraum, der mit schweren dunkelroten Samtvorhängen abgedunkelt war. Der Boden war aus knarrenden alten Holzdielen und eine der schmutzig weißen Wände hatte einen Riss, der aussah, als hätte ihn jemand extra da hineingemacht, so als künstlerisches Statement.
Aus den großen Retro-Style-Boxen, die in den Nischen zwischen Kisten, Klappstühlen und Leuten, die auf großen, orientalisch anmutenden Kissen auf dem Boden saßen, standen, wummerte funkiger Soul. Black Music. Die Beats gingen Georgia sofort ins Blut und ihr Gang bekam unwillkürlich etwas Tänzelndes. Aus den Augenwinkeln nahm sie den Typen mit der Kamera wahr, der jetzt an einer Wand lehnte und ein kleines Fläschchen mexikanisches Bier in der Hand hielt. Trotz des Dämmerlichtes hatte er seine verspiegelte Sonnenbrille nicht abgesetzt, sodass Georgia sich fragte, ob er überhaupt etwas sehen konnte. Sie drehte sich um und sah wie Vivian, die ihr hinterhergedackelt war, große Glubschaugen machte. Klar, sie war auch heiß auf den Typen. Gute, alte Vivian.
„Georgie!“ kreischte eine hübsche Blondine, die mit einigen anderen Leuten auf Klappstühlen um eine Plastikwanne herumsaß, in der ein bisschen Wasser war. Sie hatten alle ihre Socken und Schuhe ausgezogen und tunkten ihre Füße abwechselnd in das Wasser. „Georgie, komm mach mit, das ist total abgefahren, eine völlig neue Erfahrung, die wir hier gemeinsam miteinander machen!“ Für Georgia sah es eher nach der Erfahrung, sich Fußpilz zu holen, aus und das konnte man schließlich in jedem Hallenbad tun, aber sie wollte Lulu nicht enttäuschen, also holte sie sich einen Klappstuhl und setzte sich zu den anderen. Lulu arbeitete als Fotografin und Illustratorin für die „dicke Zicke“.
„Kennst du schon Thorbjörn, Georgie?“ Lulu zeigte auf einen Typen mit rotblondem strubbeligen Haar und blassen grünen Augen, der ihr zulächelte. „Ein Freund von Henning“ Henning war Lulus Freund. Er stammte aus Dänemark und arbeitete als Berater für irgendwas. Da sein Vater Diplomat gewesen war, war Henning in ungefähr zwanzig Ländern aufgewachsen und sprach mindestens fünf Sprachen fließend. Zulu gehörte zwar nicht dazu, aber Georgia konnte Henning trotzdem ganz gut leiden. „Thorbjörn und ein paar Leute wollen hier eine Serie Designmöbel für Hartz-IV-Empfänger aufziehen. Alles ganz einfach, aus einfachen Kisten, aus denen man nach dem Steckkastenprinzip immer neue Sachen zusammenstellen kann, ist das nicht großartig?“ quasselte Lulu weiter. Der Rothaarige nickte. „I undestand a little German, but let's stay with English, okay?“ Mit Freuden. Sie plauderten ein wenig.
„Design für Hartz-IV-Empfänger, das klingt ja interessant!“ mischte sich ein Typ mit einem dunkelblonden 0815-Haarschnitt und „Refugees welcome!“-T-Shirt ein. „What did he say?“ erkundigte Thorbjörn sich. Georgia winkte ab. „Oh, komm, nerv nicht! Siehst du nicht, dass wir uns hier unterhalten?! Zu zweit! Wenn du socializen willst, dann tu das woanders, okay?“ Der Typ sah beleidigt aus, aber er machte keine Anstalten, sich zu trollen. „Ich meine, ich bin der neue Mitarbeiter von Uli Kerber. Von der Linken Partei, weißt du? Uli ist verhindert und kann heute nicht kommen, aber ich bin sicher, dass ihn das interessieren würde.“ Georgia überlegte. „Und? Neuer Mitarbeiter von Uli Kerber, hast du auch einen Namen?“ fragte sie. „Klar, Basti. Sebastian Preuß.“
Georgia schaute betont gelangweilt auf ihre Oberschenkel. „Also gut, Basti“ sagte sie dann. „Ich denke, wenn du hier wirklich einen guten Job für Uli Kerber machen willst, dann solltest du dich um die queere Fashion-Show kümmern, die hat nämlich gerade angefangen.“ Sie zeigte auf den roten Teppich, den jemand im Raum ausgerollt hatte. Gerade spazierte eine riesige Frau, die mindestens 1,90 Meter groß sein musste und noch dazu ziemlich stämmig war, darüber. Um ihre Größe noch zu betonen, trug sie einen schwarzen Zylinder auf dem Kopf, dazu einen glänzenden grau gepunkteten Satinanzug und darunter ein feuerrotes Top. Vivian stand startklar in ihrem pinken Badeanzug hinter ihr und warf diesem Basti heiße Blicke zu. Offenbar war er genau ihr Typ.
„No, no, it's okay!“ Thorbjörn fuchtelte mit seiner linken Hand herum, um Basti zu signalisieren, dass er ihm etwas zu sagen hatte. In der rechten Hand hielt er eine Flasche Bier, die er neben seinem Stuhl abstellte, um hektisch in seinem Jutebeutel herumzukramen. Dann reichte er Basti eine Visitenkarte. „Very pleased to meet you. Come to our makerspace! There we can talk!“ Okay, das war die Lösung. Basti konnte in den nächsten Tagen mal bei Thorbjörn und seinen Freunden vorbeischauen und dann konnten sie ja alles besprechen, was es zu besprechen gab.
„Wenn du schon hier rumstehst – könntest du mir vielleicht ein Bier holen? Ich komme hier gerade einfach nicht vom Stuhl hoch.“ Georgia setzte ihren allersüßesten Blick auf, den, der normalerweise jeden zum Schmelzen brachte. Und es funktionierte auch bei die Linke-Partei-Basti. Er nickte brav und zog eilfertig ab, froh, sich nützlich machen und ihr diesen kleinen Dienst erweisen zu können. Na bitte, ging doch!
Basti: bei einem queeren Kunstevent in einem Hinterhof in Kreuzberg, November 2019, Freitag, ca. 22 Uhr
Basti nahm eine Flasche Bier aus einem Kasten, der auf dem Boden stand. Diese kleine Schwarze war irgendwie ganz schön zickig. Aber na ja. Was war schon so schlimm daran, wenn er ihr ein Bier brachte? War es nicht jahrhundertelang umgekehrt gewesen? Irgendwie hatte sie ja recht. Er hatte sich einfach so in ihr Gespräch gedrängt. Also, komm runter, Meister, sagte er sich. Mach alles so, wie Uli Kerber es jetzt gut finden würde, das ist schließlich dein Job! Uli und er hatten heute Nachmittag noch einmal ein längeres Gespräch miteinander geführt. Basti fand es cool, dass Uli sich richtig Zeit für ihn nahm und ihm alles persönlich erklärte und nicht Anja, seine Sekretärin schickte.
Die Lage war durchaus ernst: Die Bombendrohungen in Tegel und Schönefeld, die vor gut einer Woche die Nation in Atem gehalten hatten, wurden vom BKA als missglückter islamistischer Terroranschlag eingestuft. Sprengstoff hatte man allerdings nur in dem Döner-Schnellimbiss in der Nähe der Eingangshalle des Flughafens Tegel gefunden. Der junge Mann, der an dem Abend dort gearbeitet hatte, ein junger Tschetschene namens Aslan Khizirov, saß mittlerweile aufgrund dringenden Tatverdachtes, wie es im steifen Beamtendeutsch hieß, in Untersuchungshaft. Allerdings hatte Khizirov im Laufe der Vernehmungen immer wieder seine Unschuld beteuert.
Die Drohung, ein Flugzeug kurz vor der Landung explodieren zu lassen, war eine leere gewesen. Viel schlimmer - und das war Uli wichtig gewesen - war, dass die Rechten sofort die Gelegenheit genutzt hatten, um die Ängste der Bevölkerung für sich auszuschlachten. In Liebenau, in dem kleinen Kaff nördlich von Oranienburg, wo Uli mit seiner Familie wohnte, hatte es noch am gleichen Abend einen Fackelmarsch durchs Dorf gegeben. Angeblich spontan. Sie waren auch an Ulis Haus vorbeigezogen und als seine Frau Hanna morgens die Kinder mit dem Auto zur Schule hatte bringen wollen, hatte sie gesehen, dass jemand mit schwarzer Farbe neben die Haustür: „Hier wohnt die rote Sau, die unser Volk vernichten will!“ gesprüht hatte. Uli hatte zwar sofort Anzeige gegen Unbekannt erstattet, aber bei der Polizei hatte man erst einmal gefragt, ob er denn beweisen könne, dass jemand von der Demonstration - Demonstration, so hatten sie es ausgedrückt! - die Tat begangen habe. Alles in allem handele es sich ja nur um Sachbeschädigung. Vermutlich würden sie die Ermittlungen aufgrund von Geringfügigkeit einstellen.
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