1 ...8 9 10 12 13 14 ...32 Anton Malinka hatte zwar immer zustimmend genickt, wenn sein Freund Karl die politische Lage erörtert hatte, aber er war der Ansicht gewesen, dass er die Mühsal des Revolutionärdaseins allenfalls als Maler auf sich nehmen wollte. Auch sonst war Anton in gewisser Weise ein Gegenpart zu dem umtriebigen Karl gewesen. Er war groß und schlaksig gewesen und hatte zu der Zeit, als Meta sie alle kennengelernt hatte, eine runde Brille getragen und raspelkurze blonde Haare gehabt. Vor dem Krieg hatte er die Preußische Akademie der Künste besucht und war ein hochgelobter Meisterschüler gewesen, dem man eine große Zukunft als Maler des konventionellen großbürgerlichen Geschmacks prophezeit hatte, wohingegen Karl, der eigentlich gelernter Tischler gewesen war, sich seine künstlerischen Fertigkeiten mehr oder weniger autodidaktisch angeeignet hatte.
Gleich nach dem Studium hatte Anton allerdings einen radikalen Neuanfang gewagt und den etablierten Salons und Kunstausstellungen den Rücken zugekehrt, um fortan groteske, schrille Bilder zu malen, die zwar an technischer Versiertheit keine Wünsche offen gelassen hatten, dafür aber das Sittlichkeitsempfinden und die ästhetischen Werte der meisten arrivierten Kunstsammler so sehr herausgefordert hatten, dass an eine Laufbahn als akademischer Maler für ihn nicht mehr zu denken gewesen war.
Alle Farben des Regenbogens – Konrad:
Der Kunstkritiker Konrad hatte sich in Metas Leben geschlichen, ohne dass sie es so recht bemerkt hatte. Er war des Öfteren zu Gast bei den Soiréen in der Kunsthandlung Kettelheim gewesen, hatte sich aber stets etwas am Rande gehalten, sodass er ihr zunächst gar nicht aufgefallen war.
Meta hatte Anton für ein Bild Modell gesessen, eher aus Jux, weil sie es einmal hatten ausprobieren wollen. Die Krüger-Zwillinge waren auch da gewesen – Henny und Jette Krüger – zwei große, schlanke Frauen mit glänzenden, perfekt ondulierten Haaren. Die Augen geheimnisvoll umrandet und die Münder zu kleinen Kussmündchen geschminkt, hatten sie im Halbdunkel des Kellerraumes anmutig, ja geradezu ätherisch gewirkt. Bei Tageslicht, auf der Straße - das hatte Meta bereits bemerkt -, waren sie allerdings bloß grobknochig und hager gewesen und etwas zu lang aufgeschossen. Damals hatten sie sich als Sängerinnen in Nachtclubs verdingt und Zigarette mit Spitze geraucht. Dabei hatten sie ein Selbstbewusstsein ausgestrahlt, das Meta fast schon frech gefunden hatte. Doch sie hatte festgestellt, dass die Krüger-Schwestern hinter ihrer zur Schau getragenen Fassade - einer bizarren Mischung aus Arroganz und Rotzlöffeligkeit -, eigentlich ganz nett waren.
An besagtem Abend hatten sie Meta zu einem lebenden Bild gemacht. Sie hatten sie mit einem schäbigen Laken umwickelt, was sie wie eine antike Statue hatte aussehen lassen, wenn auch eine, deren klassische Anmut und Grazie ihr wie auch ihr Geld irgendwann im Laufe der Kriegsjahre abhanden gekommen sein mussten. Konrad war erschienen und hatte sie von ihrem Schicksal erlöst – ein merkwürdiger Kerl, hatte Meta gedacht, elegant gekleidet und mit guten Manieren, jedenfalls nicht so wüst wie seine Künstlerfreunde, die auf solche Dinge keinen Wert zu legen schienen, das schon, aber trotzdem merkwürdig.
„Ich war gerade noch bei einer Wahrsagerin und habe mir aus der Hand lesen lassen“ hatte er gesagt und ihr eine Kette aus bunten Glasperlen überreicht. „Draußen vor dem Zelt hat mir ein Junge diese Kette aufgeschwatzt. Er war barfuß und trug zerrissene Kleidung und das bei diesem Schmuddelwetter! Da habe ich es nicht übers Herz gebracht, ihm die Kette nicht abzukaufen. Zumal die Wahrsagerin mir prophezeite, ich würde heute noch einen sehr angenehmen Abend bei interessanten Gesprächen und einem guten Glas Wein verleben. Ich könnte natürlich Selbstgespräche führen oder Karl bitten, mir Gesellschaft zu leisten. Anton wird sicher verhindert sein ...“
Es war ein offenes Geheimnis gewesen, dass Anton Malinka, der, was die Damenwelt betraf, zu der Zeit nichts hatte anbrennen lassen, gewisse zarte Gefühle für Jette Krüger gehegt hatte.
Konrad hatte die Kette durch seine Hand gleiten lassen. Die Glasperlen hatten in dem fahlen Licht, das durch die Ladenfenster bis ins Hinterzimmer gefallen war, verführerisch bunt aufgeleuchtet. „Vielleicht hätten Sie aber auch Lust, mit mir noch in eine der Bars auf dem Kurfürstendamm zu gehen, Meta?“
Natürlich hatte Meta das Berliner Nachtleben kennenlernen wollen. Also hatte sie nicht lange gezögert und zugesagt. Auf der Toilette, die sich im Halbgeschoss des Treppenhauses befunden hatte, hatte sie in dem zersprungenen Spiegel über der Waschschüssel gesehen, dass die Glasperlen, so billig sie auch sein mochten, in allen Farben des Regenbogens auf ihrer Haut geschillert hatten. Die verwaschene graue Russenbluse, die sie getragen hatte, hatte dadurch verwegen und mit etwas Phantasie sogar ein kleines bisschen mondän aussehen.
Konrad und Meta waren in eins der verräucherten Nachtlokale auf dem Kurfürstendamm gegangen und hatten sich angeregt miteinander unterhalten. Meta hatte nicht erwartet, dass der Abend so entspannt verlaufen würde. Die Kette hatte sie irgendwann wieder abgelegt, eher beiläufig, vielleicht, weil es so heiß und stickig gewesen war. Außerdem war sie nicht daran gewöhnt gewesen, Schmuck zu tragen. Sie hatte sie achtlos in ihre Handtasche gestopft, die sie über die Lehne ihres Stuhls gehängt hatte. Irgendwo da musste sie ihr dann wohl abhanden gekommen sein. Als sie am nächsten Morgen in ihrer Handtasche danach gekramt hatte, war sie jedenfalls nicht mehr da gewesen.
Hotel Lindemann, Berlin, Oktober 1920, eine Szene aus der Nähe betrachtet
„Ich weiß nicht, was das soll! Was sitzen wir hier an dieser piekfeinen Bar herum und süffeln Bier, das nach warmer Pisse schmeckt, bloß weil irgend so 'ne dicke Tunte uns kennenlernen will?!“ Der junge Mann mit dem blonden, kurzgeschorenen Haar sah wütend aus. Allerdings schien der wütende Gesichtsausdruck in seinem Fall eher ein genereller Charakterzug zu sein als eine momentane Gefühlsregung, sodass man nicht wusste, ob er ernsthaft verärgert war oder ob er nur den Drang verspürte, irgendetwas von sich zu geben, weil er sich langweilte und keine Ahnung hatte, was er sonst hätte tun sollen.
Man merkte ihm an, dass er sich in dem eleganten Ambiente der Hotelbar unwohl fühlte. Doch drängte sich der Eindruck auf, das auch das nicht nur mit seiner niedrigen sozialen Herkunft, sondern auch mit ihm selbst als Person zu tun haben musste. Seine Kleidung war zwar einfach, aber sauber. Das hatte seine Mutter ihm beigebracht. Richtiggehend eingeprügelt hatte sie es ihm, dass er Ordnung halten musste. Er mochte aus einfachen Verhältnissen stammen, aber er war kein Lump, keiner, der sich gehen ließ. Darauf war er stolz.
Genau deshalb hatte er auch die Zähne zusammengebissen, als sie ihm den linken Unterarm am Ellenbogen amputiert hatten, damals, an der Front. Manchmal, bei schlechtem Wetter, spürte er ihn noch, seinen Unterarm, als ob er noch dran wäre, aber jetzt hob er seinen Bierhumpen mit rechts, so, wie er es schon vor dem Krieg getan hatte, er war ja Rechtshänder, zum Glück, und wer flüchtig vorbeiging, musste denken, dass er sich mit der Linken am Tresen abstützte. Den leeren, linken Ärmel hatte er sorgsam zusammengefaltet, so gründlich, wie er nun mal von seiner Wesensart her war.
„Er ist keine Tunte! Sag so was nicht!“ sagte der andere, der schräg vor ihm saß. „Na ja, gut. Aber nicht ganz astrein. Rotlichtmilieu. Haste ja selba jesacht!“ Der Einarmige sah sein Gegenüber aus kalten, tiefliegenden Augen an. „Hat'n Bordell in Kiel gehabt, soweit ich weiß. Aber Eisernes Kreuz Erster Klasse, Ypern 1914, Kavallerie, dann nochmal Baltikum. Hat sich nich bloß zu Hause den Arsch plattgesessen!“ Der Einarmige presste seine Lippen zu einem verkniffenen Grinsen zusammen. „Kavallerie? Na, arme Pferde, wa? Schwer auf jeden Fall!“
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