1 ...7 8 9 11 12 13 ...32 Rastlos war sie durch die große, fremde Stadt gestreift. Sie hatte lange Spaziergänge an der Seine unternommen und sich auf eine Liebelei mit einem jungen französischen Künstler eingelassen. Alles war leicht und unbeschwert gewesen, bunt schillernd wie Seifenblasen, die an einem sonnigen Nachmittag in der Luft herumflogen. Weder an die Zukunft noch an die Vergangenheit hatte Meta damals einen Gedanken verschwendet.
Untergekommen war sie bei Freunden ihrer Eltern, französischen Geschäftsleuten. Auch wenn Meta um Paris hatte betteln müssen, so hatte sie doch gewusst, dass ihrer Familie das Arrangement insgeheim mehr als recht gewesen war.
Schiefergrau, Blutrot, giftig Gelb – der Krieg & die Rückkehr nach Leschnitz - 1914 – 1920:
Als der Krieg ausgebrochen war, hatte Meta allerdings umgehend nach Ostpreußen zurückkehren müssen. Darauf hatte der Vater bestanden. Schon wenige Wochen später war die Front mitten durch den Birkenwald hinter ihrem Haus verlaufen. Der Vater und ihr älterer Bruder Moritz hatten den Hof verteidigt. Meta war mit ihrer Mutter und ihrer jüngeren Schwester Elli zu ihrer Tante Gerda nach Danzig geflohen.
Als sie im darauffolgenden Frühling heimgekehrt waren, waren die Birken nur noch verkohlte Stümpfe gewesen. Moritz war in den Krieg gezogen. Es war kein Zuckerlecken gewesen damals, auch für Meta und die anderen nicht.
Sie hatten Steckrübeneintopf gegessen und mit Gerstenmehl gestrecktes Brot. Meta hatte aushilfsweise im Lazarett gearbeitet. Sie hatte Laken gewaschen, die vom Blut und Eiter verwundeter Soldaten gestunken hatten. Der Gestank hatte sich bis in ihre unruhigen Träume gefressen. Manchmal war sie nachts aus dem Schlaf hochgeschreckt. Sie hatte an die unbekannten Soldaten gedacht, die sich in den fremden Feldbetten fernab von der Heimat gewunden und vor Schmerzen gestöhnt hatten. Sie hatte dagelegen, bis die Müdigkeit ihre Grübeleien zu einem wirren Gedankenbrei hatte verschwimmen lassen. Dann hatte sie die Augen geschlossen und war wieder eingeschlafen.
Als Metas älterer Bruder aus dem Krieg zurückgekehrt war, war er mürrisch und wortkarg gewesen. An den Gründen, aus denen sie vor dem Krieg nach Paris gegangen war, hatte sich nichts geändert. So sehr die Menschen in Ostpreußen auch unter dem Krieg gelitten hatten, so waren sie doch geneigt gewesen, alles so schnell wie möglich wieder seinen gewohnten Gang gehen zu lassen. Meta hatte die Tage auf ihrem Zimmer verbracht und überlegt, was sie tun könnte, um wieder aus Leschnitz fortzukommen.
Sonnengelb, Orangerot, Grasgrün – Metas Anfangszeit in Berlin – 1920:
Lucie war ihr eingefallen, die sie in Paris an der Kunstakademie kennengelernt hatte. Sie hatte an die Heimatadresse ihrer Freundin geschrieben, irgendwo in Südwestdeutschland. Eines Tages, als Meta schon gar nicht mehr damit gerechnet hatte, war ein Brief aus Berlin gekommen. Lucie hatte kurz vor Kriegsende ihre Jugendliebe Herbert, einen jungen Violinisten, geheiratet. Da Lucies Vater eine gut gehende Glasmanufaktur besaß und Herbert einer Dynastie von Kapellmeistern am württembergischen Hofe entstammte, hatten sie mit der Unterstützung ihrer Eltern eine großzügig geschnittene Wohnung nahe des Berliner Stadtzentrums anmieten können.
„Natürlich bist du uns herzlich willkommen! Wir haben Platz!“ hatte Lucie geschrieben. Herbert hatte sich damals mit Geigenstunden und gelegentlichen Engagements bei Hochzeitsfeiern und anderen Familienfesten durchgeschlagen. Lucie hatte Tischdecken und Kissen bestickt. Möbel hatten sie sich noch keine leisten können. Die Wohnung war wunderbar groß und leer gewesen. Manchmal hatte Meta dem Impuls nicht widerstehen können, die Arme weit von sich zu strecken und sich um die eigene Achse zu drehen, so wie sie es als Kind gern auf einer blühenden Sommerwiese getan hatte.
Sie hatte Lucie mit den Stickereien geholfen, die sie bei einer Kunsthandlung in der Nähe des Kurfürstendammes zum Verkauf in Kommission gegeben hatten. Der Inhaber, Friedhelm Kettelheim, der damals in den Vierzigern gewesen war, hatte sich vor dem Krieg mit einer Galerie in Stuttgart, in der er expressionistische Werke ausgestellt hatte, einen Namen gemacht. Vermutlich hatten Lucie und Herbert ihn daher gekannt.
In der Kunsthandlung Kettelheim hatten sich regelmäßig ein paar Künstler getroffen. Exzentrische Großstädter – das war Metas erster Eindruck gewesen. Man hatte nicht so recht gewusst, ob sie sich einfach nur selbst nicht sonderlich ernst genommen hatten oder ob nicht vielleicht sogar das Gegenteil der Fall gewesen war.
An großen Plänen hatte es ihnen jedenfalls nicht gemangelt. Mit künstlerischen Mitteln hatten sie die gerade erst in Weimar auf dem Papier skizzierte Republik zum Leben erwecken wollen. Da ihnen nichts Besseres eingefallen war, hatten sie sich zunächst daran gemacht, den Trümmerhaufen, den das großkotzige, militaristische Berlin der Kaiserzeit in kultureller Hinsicht hinterlassen hatte, gehörig durcheinanderzuwerfen. Stechschritt und Kasernenhofton, überhaupt, das Pathos und die Strenge der wilhelminischen Ära, der Leichengeruch der Schlachtfelder, die hochgeschlossenen Krägen der Damen und die Stiernackigkeit schwitziger Altherrenriegen – all das und noch viel mehr war bei Kettelheim auf die Schippe genommen worden.
In einem Kellerraum, der zugleich auch Hinterzimmer der Kunsthandlung gewesen war, waren die jungen Männer zwischen leergetrunkenen Weinflaschen umhergetorkelt. Ein Säbelrasseln mit dem Pinsel imitierend hatten sie einander gejagt und einer hatte den anderen mit Farbe bekleckert. Sie hatten zotige Witze gerissen und aus dem Stegreif Theater gespielt oder es zumindest versucht. Mit „Schlagsahne“ und „Tätärätätä“ und allerlei aus Zeitungen herausgerissenen Wortschnipseln hatten sie das politische Geschehen auf der Straße kommentiert und vieles, was gerade erst dazu gesagt worden war, war sogleich wieder verworfen worden.
Die kantige Holzschnitttechnik und die Farbexplosionen des Expressionismus waren noch allgegenwärtig gewesen. Wann immer die jungen Männer der Politik überdrüssig geworden waren, hatten sie nackte Frauen gemalt, in deren welligen Haaren sich Sterne verfangen hatten, als wären die Träume der Nacht darin kleben geblieben. Sie hatten die Hektik und die grellen Lichter der Großstadt auf die Leinwand gebannt. Die Straßenbahnen, die ächzend und bimmelnd um die Häuserecken gekrochen waren, waren zu Pinselstrichen geworden und die Musik, die zwischen den knatternden Gewehrsalven der unruhigen Zeit nach dem Krieg aus den Bars und Nachtcafés ertönt war, war als Farbkomposition in ihren Bildern nachgeklungen. Sie hatten die Prostituierten auf der Friedrichstraße gemalt und das Elend im Schatten der Hauseingänge. Auch das, was andere nicht sehen wollten, war ihren scharfen Blicken nicht entgangen.
Karl Gessler hatte damals gerade mit seinen Collagen angefangen. Um an Geld zu kommen, hatte er bedruckte Postkarten auf der Straße verkauft, für die er die Vorlagen selbst geschnitzt hatte. Seine Physiognomie hatte sein Temperament gespiegelt und umgekehrt: Er war von etwas gedrungener Statur gewesen und hatte einen Wust wilder schwarzer Locken auf dem Kopf gehabt. Sein Gesicht hatte Meta ein wenig an eine Bulldogge erinnert, seine gefühlvollen, dunklen Augen hatten jedoch verraten, dass er sensibler gewesen war, als es auf den ersten Blick den Anschein gehabt hatte. Karl war in der Runde, die sich regelmäßig bei Friedhelm Kettelheim getroffen hatte, außerdem der einzige gewesen, der sich etwas ernsthafter mit Politik befasst hatte. Von der Räterepublik war ja nur noch der Arbeitsrat für Kunst übrig geblieben und der Kapp-
Putsch hatte ihnen allen gezeigt, dass die reaktionären Kräfte immer noch im Hinterhalt lauerten und auf eine Chance warteten, um die junge Republik zu zerstören.
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