1 ...6 7 8 10 11 12 ...22 „Seit der Rückkehr aus Amsterdam bin ich sein Assistent. Er sagt, was zu tun ist. Alles, was ich auf den Weg bringe, wird geschickt von ihm negiert. Er allein regiert. Und wenn er es nicht allein schafft, mich von etwas abzubringen, dann spannt er sein Gefolge aus den so genannten Freunden der Familie ein, die auch mit Honoraren an seinem Hintern kleben.“ Ich sah Mutter an und fügte leise hinzu: „Und wenn nichts mehr geht, spannt er dich ein. Was sind wir eigentlich alle für ihn, kannst du mir das sagen?“ Mit dieser eher rhetorischen Frage auf die ich keine Antwort erwartete, nahm ich einen tiefen Schluck aus meinem Glas. Der kühle Weißwein rann mir die Kehle hinunter. Ich war aufgestanden, griff das iPad, schalte die Musik aus und trat ans Fenster. Als ich hinaus, über die Dächer hinweg sah, verlor ich mich für einen Moment in meine Gedanken an den Morgen. Mir wurde übel.
Meine Mutter weinte leise. Ich drehte mich zu ihr um. Ihr liefen die Tränen über das Gesicht. Ich trat auf sie zu, kniete vor ihr und nahm ihre beiden Hände in meine: „Mama, es tut mir leid, aber für mich ist definitiv Schluss mit meiner Arbeit und dem Leben zusammen mit Vater. Ich bin mehr als erwachsen, aber er versteht nicht, was das bedeutet. Er hat keinen Respekt. Nicht vor mir, nicht vor dem was ich kann, und vor allem nicht vor dem, was ich ihm rate. Er ist skrupellos und geht mit aller Gewalt seinen Weg. Er schadet unserer Firma. Vieles von dem was er tut, kann ich nicht verantworten. Wir beide haben zulange zugelassen, dass er seine eigenen Geschäfte macht.“
Sie sagt nichts und ich setzte mich wieder in den Sessel neben ihr. Meine Worte klangen nach und ich spürte wie hart sie für Mutter gewesen waren. „Mama, schau mich bitte an.“ Mit dem weißen Spitzentaschentuch, das überhaupt nicht zu der Kleidung und ihrer modernen Ausstrahlung passte, trocknete sie sich die Tränen.
„Wir beide haben schon seit langem Angst um die Firma. Er betreibt Geschäfte, die uns beide und alles was wir besitzen, mit einbeziehen. Wir sind Geschäftsführer der Holding und können nicht ausschließen, dass er dafür gesorgt hat, uns raus zu halten. Mutter, er ist unberechenbar.“ Das klang hart, entsprach aber meiner gefühlten Wahrheit.
Sie wirkte wieder gefasst und fragte : „Hendrik, was weißt du?
„Nicht alles. Er hat die Investmentgesellschaft in den USA damals mit deinem Einverständnis auf seinen Namen gegründet und es damit geschafft, dass die Holding da raus gehalten wird. Eine reine Vorsichtsmaßnahme. In Wahrheit wollte er uns beiden keinen Einblick geben und allein das Sagen haben. Mit diesem Unternehmen hat er sich zusammen mit Weidlich und mindestens zwei Treuhändern an anderen Unternehmen beteiligt. Eines davon hat den Firmensitz auf Malta, das andere in Hongkong. Wenn jemand sich durch einen Treuhänder vertreten lässt, will er nicht persönlich in Erscheinung treten. Ich habe vor einiger Zeit ein persönliches Emailaccount von Vater einsehen können.“
„Du spionierst deinen Vater aus?“ Mutters Entsetzen schien echt.
„Nein. Er ist sehr vorsichtig. Nur einmal hat er sein iPhone im Büro vergessen. Ich wusste, es ist erst fünfzehn Minuten nach der letzten Benutzung gesperrt. Er war zum Golfen gefahren. Ich war in seinem Vorzimmer und sprach mit Gabriele als er sich verabschiedete. Die Tür zu seinem Büro stand offen, auf dem Schreibtisch lag das iPhone. Er hat mindestens zwei Emailsaccounts, die nicht auf Anhieb einzusehen sind. In dem Moment als ich das iPhone in der Hand hielt, gingen zwei Emails eingegangen. Ich nahm es mit in mein Büro und las ein dutzend Nachrichten der vergangenen Tage. Es ging um den Aufbau einer Waffenproduktion und Waffentransporte. Als ich aus dem Fenster sah, kam Vater wieder auf den Parkplatz gefahren. Mehr konnte ich nicht lesen und legte das Gerät wieder auf seinen Schreibtisch.“
„Was bedeutet das alles?“
„Mama, es kann nicht sein, dass du nichts weißt.“
Sie reagierte nicht darauf und fragte stattdessen:
„Was sollen wir tun?“
„Wir können nichts tun, außer wir entmündigen ihn. Sein plötzliches Verschwinden wäre das Beste für uns. Den Gefallen wird er uns nicht tun!“ Meine Worte hingen im Raum. „Mutter, wenn er jetzt einen Unfall hätte und sterben würde? Was wäre dann?“
„Sag das nicht, Hendrik. Das tut mir weh.“
„Sei endlich ehrlich zu dir selbst und mir gegenüber. Liebst du Vater noch?Ja? Ach, du musst nicht antworten. Sei ehrlich, du kannst ihn nicht mehr lieben. Schon lange nicht mehr. Geh endlich weg von ihm, dann fällt es mir nicht so schwer. Mama wir müssen ihn verlassen, um endlich ein anderes Leben zu haben.“
Ich ließ meine Worte wirken und sagte nach einem Moment: „Alles, was er da macht, wird in die Luft fliegen. Für diese Prognose müssen wir keine Propheten sein! Du musst dich auch schützen. Das alles ist der Grund, warum ich heute morgen abgehauen bin. Das kann ich nicht mehr jeden Tag, jede Woche, mittlerweile Jahre ertragen. Verstehst du mich, Mama?“ Ich hoffte so sehr auf ihr Verständnis, das mir den Mut zu meinem weiteren Handeln geben würde.
Meine Mutter antwortete mit fester Stimme: „Hendrik, natürlich ich verstehe das, aber deshalb kannst du deinen Vater und vor allem mich jetzt nicht alleine lassen. Das Unternehmen braucht dich. Wenn du gehst, dann geht ein großer Teil der Belegschaft auch. Und das bedeutet das Ende!“ Sie verstand mich nicht. Oder sie tat es und hatte Angst vor den Konsequenzen. Auch jetzt ging es nicht um mich oder sie, sondern nur um Vater. Und um die vermaledeite Firma. Wie ich das hasste!
„Mama, ich habe ihn vor fast zwei Jahren gefragt, wie lange er noch an der Spitze bleiben will und wann er die Führung auf ein Managementteam übergibt. Ich habe ihm gesagt, dass ich gar nicht alleine an der Spitze sitzen muss. Es kann auch einen starken Beirat geben, das habe ich ihm vorgeschlagen. Du weißt doch, was er geantwortet hat: Ich bleibe bis ich nicht mehr kann und wann das ist, entscheide ich ganz allein. Damals habe ich mich aus Respekt und Angst vor ihm nicht getraut zu sagen, dass er gehen muss, weil er seine Position nicht mehr erfüllen kann. Ich werde es ihm bald sagen und zwar deutlich.“
Ich redete mich in Rage: „Er ist ein Schwein, er betrügt dich. Du bist ihm gleichgültig. Seit Jahren hält er sich andere Frauen, geht in Puffs und was noch alles. Du lässt dir das alles gefallen. Nebenbei richtet er vielleicht das Lebenswerk deiner Eltern zugrunde.“
„Hendrik bitte, hör auf.“
„Ja, ich höre auf“, und holte tief Luft bevor ich weiter sprach: "Wir sprechen nicht das erste Mal darüber. Nur heute ist Schluss. Ich kann dir auch nicht mehr helfen, weil du es nicht willst. Du betest und hoffst. Deine und meine gescheiterten Versuche ihn für unsere Familie zurück zu gewinnen, haben uns nur kaputt gemacht. Er hat dafür gesorgt, dass wir keine Träume mehr haben. Schon lange fällt mir nichts Schönes mehr ein, wenn ich an die Zukunft denke. Von dir haben Holly und ich gelernt am Abend vor dem Schlafen immer an etwas Schönes zu denken, auf das wir uns freuen können.“ Ich lächelte sie an: „Ein bisschen so wie die gute Nachtgeschichten, die du Holly und mir immer vorgelesen hast als wir kleine Kinder waren.“ Zu gerne erinnerte ich mich an diese Vertrautheit zwischen meiner Mutter, Holly und mir zurück.
„Es ist der Horror für mich, aber ich träume nichts Schönes mehr. Im Gegenteil, ich träume von ihm und werde nachts wach, weil in den Träumen das Chaos über mir zusammenbricht und ich der Schuldige bin. Jetzt ist Schluss mit diesem Leben, das mir diese Albträume beschert. Ich wünsche mir nichts mehr als die Zeit zurück als ich ihn nicht um mich hatte. In Amsterdam alleine und später gemeinsam mit Holly war die beste Zeit, die ich hatte. Erinnerst du dich damals, er war viele Wochen krank mit seinem Herzinfarkt und den Operationen. Als ich dann zurück kam, haben wir gedacht, er würde ein anderer Mensch werden. Aber ganz im Gegenteil, er dreht seitdem immer mehr auf, wie ein Besessener und…“
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