Wir kannten einander so gut und sie wusste, ich meinte es ernst. Sie lächelte gezwungen: „Ich ahnte, es kommt der Tag. Ich habe schon lange darauf gewartet. Ich kenne dich Hendrik. Ich kenne eure Familie und am besten kenne ich deinen Vater. Ich habe eine Antenne für deine Gefühle und Sorgen.“ Sie kam näher auf mich zu und die kleine Frau sah zu mir hoch und flüsterte: „Sei vorsichtig, er wird das nicht einfach so hinnehmen. Ich habe dich sehr gern Hendrik. Es darf dir nichts passieren, nur weil du nicht so willst wie dein Vater es von dir erwartet.“
Ich legte meine rechte Hand auf ihre Schulter. Am liebsten hätte ich ihr mehr gesagt, aber ich machte es kurz: „Danke. Ich spreche jetzt erst einmal mit ihm. Mal sehen. Die Tür zu seinem Büro ist zu, also ist er drin?“
So war ich jetzt in diesem Büro und mein Vater frage mich, was denn die Alternative sei und ich ließ ihn einfach reden: „Schon solange du wieder hier bist, gibt es Debatten darüber, wann ich gehe. Ich habe mir das lange genug gefallen lassen. Es gibt viele Leute, die dich für fähig halten. Aber du bist nicht fähiger als ich.“ Es klang wie eine Drohung.
„Darf ich denn fähiger sein als du?“ Ich war wütend.
„Ich habe entschieden solange an der Spitze zu stehen wie ich es für richtig halte. Man sieht doch auch, was ich in der jüngsten Vergangenheit alles in die Wege geleitet habe. Die größten Deals habe ich an Land gezogen, das werde ich weiter tun. Aus den neuen Beteiligungen werde ich erfolgreiche Geschäfte machen.“
Seine sogenannten erfolgreichen Geschäfte sahen so aus, dass mein Vater eine Gruppe von Marketmakern für seine Geschäfte missbraucht hatte, anstatt den Investoren zu den versprochen Kursgewinnen zu verhelfen.
An dieser Stelle stoppte er kurz sein Eigenlob als hätte er etwas falsches gesagt, denn er kannte meine Gedanken. „Na egal, in jedem Fall gibt es Leute, die mir dazu raten, hier in der Firma zu bleiben solange es geht. Außerdem, mein lieber Junge, landen viele Dinge von denen du denkst sie richtig zu machen, bei mir auf dem Schreibtisch, weil sich Leute über dich beschweren.“
Er guckte mich triumphierend an. „Hendrik, du bist nicht so gut wie du denkst. Und vergiß niemals, wer dich bis hierhin gebracht hat! Wer hat dafür gesorgt, dass du etwas gelernt hast? Was wärst du denn ohne mich geworden?“
Ich sah meinen Vater reden, seine Stimme hörte ich, aber ich nahm nicht mehr wahr, was er sagte. Ich erinnerte mich daran als Holly, einen Tag nach ihrem neunzehnten Geburtstag, zuhause bei unserer Mutter anrief und sagte: „Mama, ich bin weg und komme nicht mehr nach Hause. Ich hasse meinen Vater und verstehe nicht wie du damit umgehst, was er tut. Er tut allen weh, besonders dir und mir. Ich werde ein anderes Leben führen. Ich gehe nach Amsterdam, um zu studieren. Mach dir keine Sorgen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten hatte sie aufgelegt. Ich sehe noch immer das entsetzte und besorgte Gesicht meiner Mutter vor mir. Sie konnte damals kaum mehr als den Inhalt des Gesprächs wiedergeben bevor sie sich leise weinend ins Schlafzimmer zurückgezogen hatte.
Zwei Tage später bekam meine Mutter einen kurzen Brief von Holly mit dem gleichen Wortlaut. Unsere Mutter hatte nach dem Telefonat einen nervlichen Zusammenbruch erlitten und war wochenlang in psychiatrischer Behandlung gewesen. Und wer war an allem Schuld?
Mein Vater riss mich aus meinen Gedanken: „Hörst du mir überhaupt zu?Ich habe schon recht, wenn ich sage, es ist eher für dich zu viel als für mich. Du wirst…“
„Hör auf Vater. Ich will das nicht mehr hören. Du kannst das hier alles allein machen. Holly ist weg und ich gehe jetzt. Nur noch Mama ist bei dir. Willst du es so haben?“ Ich schrie meinem Vater die Worte ins Gesicht. In mir löste sich meine ganze Wut und Hilflosigkeit. „Du willst bestimmen und alle sollen nach deiner Pfeife tanzen. Bitte schön, das kannst du haben, aber ohne mich!
Von uns braucht dich niemand. Was du gerade gesagt hast ist übrigens genau mein Problem. Du bestimmst, was ich tun und sein soll. Damit ist jetzt Schluss Vater.“ Ich versuchte mich zu beruhigen und fuhr leiser fort: „Du glaubst das Unternehmen braucht dich, dabei siehst du die Probleme nicht, die du hinter dir herziehst. So wie du regierst, funktioniert das nicht mehr. Du sagst, es sind deine Beziehungen, die uns große Deals verschaffen. Wir wissen aber, es ist oft Betrug und Korruption. Und du weißt es auch!“ Ich ließ meine Worte kurz wirken bevor ich fortfuhr. „Und meine Teams haben schon oftmals das Schlimmste verhindert. Du ziehst eine Spur der Verwüstung hinter dir her!“ Ich fühlte mich leichter und innerlich beschwingt. Ich hatte es gewagt, meinem Vater diese harten und schmerzhaften Worte ins Gesicht zu sagen.
Ich stand auf, ging auf ihn zu, um mich zu verabschieden: „Ich will nicht mehr mit dir zusammenarbeiten. Und ich will erst recht nicht mehr, dass du dich in mein Leben einmischt. Du denkst, es war gut, was du aus mir gemacht hast. Vater, das war es nicht.
Bei mir nicht und bei allen andern in der Familie auch nicht. Du hast nie akzeptiert, dass ich meine eigenen Werte, meine eigenen Vorstellungen vom Leben und von der Unternehmensführung habe. Ich möchte in einer Welt leben, die anders funktioniert.“
„Was weißt du schon von Unternehmensführung? Bist doch stets in meinem Fahrwasser geschwommen.“
„Mehr als du denkst, Vater. Die großen Geschäfte mit denen wir es seit ein paar Jahren zu tun haben, werden nicht mehr auf dem Golfplatz in Hubberrath oder bei der Jagd in der ach so schöne Eifel gemacht. Deine Geschäftskontakte und die Methoden deiner Freunde wie Assmann reichen nicht mehr aus für das, was man heute erwartet. Vater, du verstehst nichts von dem worauf die neuen Geschäftsmodelle basieren. Was machst du? Anstatt gemeinsam mit mir und unseren Geschäftsführern zu arbeiten, baust du deine eigenen Geschäfte auf.
Unsere alten Patente laufen aus, die Technologien sind veraltet, die Werke sind unproduktiv, wir sitzen auf Warenbeständen. Unser Wachstum kommt aus Beteiligungen, deren Strategie du nicht mehr verstehst. Was hast du damit zu tun? Ja, du besorgst Investoren. Und wie lange kannst du das noch machen? Unsere neuen Investoren kommen nicht mehr aus Europa. Du kennst sie nicht mehr und verstehen tust du sie auch nicht. Auch das Geschäftsmodell unserer Holding ist bald obsolet. Ich habe lange versucht dir das zu erklären. Ich will das nicht mehr. Du weißt alles besser. Du bist der Größte . Mach es allein.“
Ich drehte mich um und ging ans Fenster. Unten sah ich die Baustellen der anderen Hochhäuser, die langsam hoch gezogen wurden. Auf der Straße stauten sich Baufahrzeuge, zwei Busse und dutzende andere Fahrzeuge. Von hier oben sah man den Landtag und ein Stück vom Rheinbogen.
Vater blieb lange stumm, dann stand er auf und kam auf mich zu.
„Lassen wir das. Du hast dich entschieden und wirst wissen, was du tust. Denke aber nicht, dass du jetzt einfach aufhören kannst. Du bist Geschäftsführer in mehreren Gesellschaften. Die Entscheidungen, die getroffen wurden, hast du mit mir oder oft allein getroffen. Niemand kann beurteilen, ob das alles richtig war, deshalb ist mit der Niederlegung deiner Ämter nicht alles erledigt ist. Deshalb wollte ich Ullrich bei dem Gespräch dabei haben, damit….“
Ich unterbrach ihn: „Was soll das jetzt Vater, willst du mir drohen. Du kannst doch froh sein, dass ich gehe. Du hast es gesagt: Ich bin nicht der geeignete Nachfolger für dich. Mit dem, was du heute zu mir gesagt hast, bin ich mir noch sicherer: Es ist das Beste für uns beide, wenn ich gehe. Lass unsere Trennung ohne großen Ärger vonstatten gehen. Bitte. Auch um Mamas Willen. Sie hat schon genug gelitten.“ Ich schluckte und schaute meinen Vater an.
„Kannst du das? Ich glaube es eher nicht, Vater. Ich habe dich einmal gefragt, was dir wichtiger ist: die Familie oder die Firma. Du hast geantwortet, natürlich sei es die Familie. Ich sage dir, es ist weder das eine noch das andere. Das wichtigste in deinem Leben bist du selbst.“ Ich ließ meine Worte wirken.
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