Die ersten Silben hörten sich an, als hätte Vater einen Frosch im Hals. Ullrich Assmann stand auf und verließ den Raum ohne einen von uns beiden noch einmal anzusehen. Er schlug die Tür hinter sich zu.
Vater stand vom Schreibtisch auf und setzte sich in einen der Sessel in der gegenüberliegenden Ecke seines Büros. Ich ging zu ihm und nahm mir einen der vier verchromten Stahlrohrsessel, deren Sitzfläche und Rückenlehne aus dickem schwarzem Leder ohne Polsterung bestanden. In die Rücklehnen war der Name Marcel Breuer eingraviert. Die Sessel, seit Jahrzehnten ein Möbelklassiker, die 1925 von Breuer entworfen wurden, hatte ich ausgesucht. Eigentlich waren sie für mich selber gewesen, aber als mein Vater nach einem Umbau des Gebäudes gesehen hatte, dass meine Räume exklusiver und moderner eingerichtet waren, beschloss er, die Büros zu tauschen. Ich musste damals sein ursprüngliches Büro noch einmal komplett neu gestalten. Wenn ich bei ihm in seinem Büro war, saß ich lieber auf einem der Stahlrohrsessel, etwas weg von seinem Schreibtisch, in jedem Fall nicht direkt auf der anderen Seite gegenüber von ihm. Immer mehr Distanz, seit Jahren schon automatisch. Dieses Mal hatte mein Vater diesen Platz gewählt.
Er war sichtlich wütend. Ich erkannte das leichte Zittern auf seinen Lippen. Die aufsteigende Körperwärme machte sich auf seinen Wangen bemerkbar. Die Anspannung der Muskulatur und des Kiefers und die weit geöffneten Augen waren das Signal bei ihm kurz bevor es zu einem Ausbruch kommt. Ich kannte das zur Genüge, deshalb kam ich ihm zuvor und nahm das Thema wieder auf: „Warum war Assmann bei diesem Gespräch? Du weißt, ich finde ihn zum Kotzen und er kann mich auch nicht leiden.“ Ich machte mit meiner Wortwahl meinem Zorn Raum.
„Mach mal halblang, Hendrik. Er ist mein Anwalt und persönlicher Berater, klar!“
„Er hat hier nichts zu suchen. Ich bin dein Sohn und kein Angestellter, der heute kündigt, Vater. Ich verlasse nicht das Unternehmen, sondern dich und damit auch meine Eltern. Was machst du? Du lädst deinen Rechtsanwalt ein, den ich für ein Riesenarschloch halte, der skrupellos und stillos ist, er stinkt oft nach Schweiß und lügt. Ich habe nie verstanden, warum du mit ihm arbeitest.“ Dann wechselte ich die Stimmlage, wurde ruhiger, leiser und sagte: „Aber das ist jetzt egal. Warum war er heute hier?“
Jetzt kam er in Rage: „So, Hendrik, darf ich dann auch etwas sagen?“ Mein Vater beugte sich in dem Sessel etwas nach vorne, legte seine Hände auf die Armlehne aus schwarzem Leder. Ich wusste, die Exaktheit, die mein Vater versuchte seiner Stimme zu geben, war erzwungen. Er kämpfte um die Beherrschung seiner Wut.
Er sah mich abschätzend an, seine Miene spiegelte etwas Unsicheres
wider, als er sagte: „Hendrik, du bist mein Sohn, ich habe alles für dich getan und…“.
Ich unterbrach ihn, bevor er den Satz beenden konnte: „Vater, jetzt keine blöden Sprüche. Bevor wir über uns sprechen, beantworte meine Frage, warum war Assmann hier?“ Ich hatte so laut gesprochen, dass er erschrocken sein Kreuz aufrichtete und eine gerade Haltung einnahm. Er wirkte unsicher und überlegte wohl, was er sagen sollte.
Kurz kam mir in der Gedanke, was die beiden Mitarbeiterinnen im Vorzimmer meines Vaters wohl mitbekommen von unserem lauten Streit. Aber das war mir gerade egal.
Schließlich versuchte er es zu erklären: „Als du geschrieben hast, dass es sehr wichtig sei zu sprechen, habe ich gedacht, es handelt sich um etwas firmeninternes. Auch wenn du Assmann nicht magst, kennt er viele Dinge und und hat uns oft geholfen.“
„Vater, selbst wenn es um sich Firmeninterna handelt, ich bat dich um ein Gespräch unter vier Augen! Assmann nicht mögen, ist stark untertrieben und seine Art zu helfen, schätze ich nicht, dass weißt du genau. Ich finde ihn unerträglich. Aber ich habe eine ganz andere Vermutung!“ Ich wartete kurz, um meinem Vater die Möglichkeit zu geben, etwas zu erwidern.
Ich glaubte genau zu wissen wie es abgelaufen war und dies präsentierte ich ihm nun im ruhigen Ton. „Nachdem ich am Samstag gefahren war, habt ihr beide gerätselt, was mit mir los ist. Obwohl ich Assmann nicht leiden kann, muss ich zugeben, dass er intelligent ist. Mit seiner Hilfe bist du darauf gekommen, dass mir hier alles nicht mehr gefällt oder schlimmer, ich von dir erwarte, dass du dich zurückziehen sollst und ich die Firma nach meinen Vorstellungen führe. Das wiederum würde für den fetten Mops bedeuten, eine seiner besten Einkommensquellen für sich und seine Kanzlei der Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und Berater zu verlieren. Er hat mit den Aufträgen hier in manchen Jahren mit den Provisionen bei den Unternehmensbeteiligungen mehr als zehn Millionen gemacht. Wenn ich hier das alleinige Sagen hätte, wäre er weg vom Fenster. Genauso ist es. Davor hat er Angst und hat dich vor mir gewarnt. Stimmt doch, so ist das? Außerdem seid ihr in eurer eigenen Gesellschaft miteinander verbunden und wisst zu viel über den anderen. Er hat Angst dich nicht mehr komplett unter Kontrolle zu haben, falls du dich hier zurückziehst.“
Vater antwortete nicht, deshalb fuhr ich fort. „Er war hier, um mir Angst einzujagen. Hat er dir eingeredet, dass es besser ist, wenn er bei dem Gespräch anwesend ist? Ach, du musst das nicht bestätigen. Es ist so. Aber warum hast du ihm überhaupt von meinem Wunsch nach einem Gespräch mit dir erzählt?“
Ich war zufrieden damit wie deutlich ich diese Dinge durchschaut hatte. Das war aber leider nicht alles. Es musste noch mehr geben, da war ich mir sicher. Mutter hatte das erwähnt und Assmann hatte Holly in Amsterdam aufsuchen wollen. Jetzt wollte ich mehr erfahren.
Mein Vater lehnte sich im Sessel zurück, gewann an Sicherheit und nahm erkennbar seine Rolle als Patriarch wieder ein. „Gut, Hendrik, ich habe geahnt, warum du mich sprechen wolltest. Ich kenne dich und habe mir meine Gedanken gemacht und mit Ullrich darüber gesprochen. Er war hier, weil ich das so entschieden habe und nicht, weil er die Dinge so für sich lanciert hatte. Du hast mir schon früher deutlich gemacht und hinter meinem Rücken mit anderen darüber gesprochen, dass ich mich zurück ziehen sollte.“
„Was du mir einmal zugesagt hattest Vater und…“
„Lass mich jetzt ausreden Hendrik, sonst beende ich das Gespräch. Verstanden.“
„Ja, bitte sprich weiter!“
„Ich entscheide, wann ich mich zurückziehe. Nicht du. Es gibt noch eine Menge Dinge, die ich machen möchte, bevor ich das Unternehmen in andere Hände gebe. An dieser Stelle möchte ich dir auch mitteilen, dass ich seit längerem Zweifel daran habe, dass du der Nachfolger bist, den das Unternehmen braucht. Du solltest weniger überheblich sein und Respekt vor deinem…..“
Ich fing an, die harte Ledersitzfläche zu spüren. Mein Vater war dabei sich wieder zu positionieren. Er wollte aus diesem Gespräch als Gewinner hervor gehen.
Ich unterbrach ihn mitten im Satz: „Was ist Vater? Willst du mich jetzt erniedrigen? Fällt dir nichts Besseres mehr ein? Ich hatte nie den Anspruch dein Nachfolger zu werden. Mir ging es immer darum, genau das nicht zu sein. Ich wollte nach meinen Vorstellungen eine Firma gestalten. Alles was ich in die Firma gebracht habe, waren die neuen Geschäftsfelder, das neue Management, ein anderer Umgang mit den Menschen und vor allem eine neue Strategie. Aber lassen wir das. Außerdem entscheidest nicht du wer die Unternehmensleitung übernimmt. Das ist immer noch die Entscheidung von Mutter, Holly und mir.“
„Darüber werden wir gemeinsam mit deiner Mutter sprechen.“
„Ja, das dachte ich mir. Mit Holly wurde schon gesprochen, wie ich gestern erfahren habe.“ Ich wurde sarkastisch.
Mein Vater war überrascht, dass ich von dem Telefonat zwischen Assmann und meiner Schwester wusste: „So, so, du hast mit deiner Schwester gesprochen.“
Читать дальше