Finn sah zu Klotz, und er sah, wie dessen Augen immer runder wurden und sich zusätzlich auch noch mit mehreren Fragezeichen füllten, und er dachte, was soll denn das jetzt, und beide sagten, wie aus einem Munde: «Was sollen wir?»
«Ihr besorgt einen ordentlichen Karton» – «Das mache ich», warf Klotz hastig ein. Man kann ja nicht wissen, was unsere Edel sonst noch alles auf Lager hat, dachte er – «und richtet Anton so her, dass Oma Schmitz nicht sofort in Ohnmacht fällt», erklärte sie weiter. «Waschen, bürsten, Augenlieder …, ihr wisst schon, und den armen Kerl wieder etwas in Form drücken. Na ja, eben das ganze Programm. Was man mit ’ner Leiche so macht, damit sie einigermaßen aussieht.» – Edel kannte sich aus. Ihr Vater hatte beruflich mit Leichen zu tun, als Bestattungsunternehmer. –
Die ist zum Fürchten, dachte Klotz.
«Mit richtig anfassen?» Finn wollte nicht glauben, was er da gerade gehört hatte.
«Ihr könnt Anton auch in die Waschanlage bringen. Aber ohne anfassen?… , very difficult.» – Edel hatte in Englisch eine Eins. –
«Warum nicht gleich ausstopfen und einbalsamieren», zischte Klotz. Die tickt ja nicht richtig, dachte er.
«Wie wär denn Folgendes.» – Jetzt hat Finn wieder seine Grübelfalte und seinen schlitzäugigen Denkblick, dachte Klotz. Hoffentlich hat er auch wieder einen seiner berühmten Geistesblitze – «Also, Edel, dein Vater ist doch Profi in so was.» – Das fängt schon mal gut an, dachte Klotz. – «Wir legen unser Taschengeld zusammen» – und geht beschissen weiter, stellte er fest – «und beauftragen deinen …» Weiter kam er nicht.
«Na klar, wie hättest du es denn gern, Feuer- oder Erdbestattung, Standard oder Luxusausführung. Unter dem tut’s mein Vater nämlich nicht. Von der Kohle ganz zu schweigen.»
«Wieviel?», piepste Finn.
«Too much, verlass dich drauf.»
Too much is ’ne Menge, dachte Klotz. «Ja, und jetzt?» Klotz hoffte noch immer auf eine andere Lösung. Wenn’s sein muss auch ein kleines Wunder, nur ein klitzeklitzekleines, bitte. Ein Wunder für Anfänger sozusagen. Man ist ja bescheiden.
«Wie vereinbart, ich kümmere mich um Oma Schmitz und ihr versorgt Anton, was sonst?»
War wohl nix, dachte Klotz. «Wie wär’s denn», so schnell wollte er nicht aufgeben, «wenn wir sagen, dass wir Anton nicht gefunden haben. Ich meine, Mülltonnen stehen an jeder Ecke, oder?»
Cool , wollte Finn sagen, wurde aber von Edel’s «du tickst wohl nich richtig» überholt.
«Und warum nicht?», fragte er zaghaft nach.
«Weil das Kinderkram ist, und ich das Oma Schmitz nicht antue. Anton in ’ne Mülltonne! Auch wegen Anton nicht, nicht mit mir, never!»
Noch son Vorschlag von mir, und die erschießt mich, so wie die mich anguckt. Besser, ich geh’ in Deckung, dachte Klotz und hob seine Arme als Zeichen seiner bedingungslosen Aufgabe.
Dagegen kann man nicht viel sagen, dachte Finn. Ist eben edel, meine…unsere, unsere Edel natürlich.
«Dann man rann an die Buletten», gab sich Klotz endgültig geschlagen.
«Ich glaube, ich muss kotzen.» Finn’s Gesicht nahm eine bedenklich weiße Farbe an.
«Warum das denn?»
«Wahrscheinlich wegen deiner Buletten », klärte Edel ihn auf, wobei sie unauffällig auf Anton deutete.
«Ich will den doch nicht braten. Mensch Finn, du bist aber auch…»
Und nun kotzt der tatsächlich, knapp neben Anton. Hätte auch schlimmer kommen können, dachte Klotz. Ein paar Zentimeter weiter nach rechts…, prost Mahlzeit.
Männer , dachte Edel. Wenn’s drauf ankommt, Fehlanzeige und, dass den Finn das so den Magen stülpt (den Ausdruck hatte sie von ihrem Vater). Der Ärmste, dachte sie auch.
Dass er sich einen Einkaufsbeutel vom Supermarkt an der Ecke holen sollte, empfahl sie Klotz, wegen dem Abtransport. Sie würde solange bei Anton bleiben. Und bei Finn, fügte sie unhörbar hinzu.
«Alles Weitere bei mir zuhause. Wir haben die Hardware für so was.» Auf eine Leiche mehr oder weniger kommt’s da auch nicht mehr an, dachte sie. «Geht’s wieder, Finn? Übrigens, da fällt mir noch ein …» – Allah sei mir gnädig, was kommt denn jetzt noch? Klotz rechnete mit dem schlimmsten – «Aber, nee, nee, das berede ich lieber erst mit Oma Schmitz.»
Lass auch man lieber stecken, dachte Klotz, und er sagte, wobei er aussah, als ob er sich mit sehr bedeutsamen Gedanken beschäftigte: «Hardware…, eure Hardware, Edel …» Wieder machte er ein Gesicht, als ob eine folgenschwere Erleuchtung kurz bevor stünde. «Dein Vater macht doch auch Tierbestattungen.»
Edel nickte und verwies vorsichtshalber auf die bereits erwähnten Kosten.
«Ist gebongt Edel, out of discussion» – Klotz wollte Edel noch ein wenig mit Englischem erfreuen. Das könnte helfen, sie positiv zu stimmen, dass sie nicht sofort abwinkt, dachte er. -
«Ihr habt doch vielleicht die ein oder andere gebrauchte Kiste in euerem» – Sarg verschluckte er – «Lager und …»
Weiter kam er nicht.
«Ich glaube, dein Dachstübchen brennt», fuhr Edel dazwischen. «Glaubst du, wir buddeln die Teile anschließend wieder aus. Ich glaub’s nicht, wirklich.»
Jetzt hatte ich mit fuck you gerechnet, dachte Finn, während Klotz beteuerte, dass das ein Missverständnis sei. Er meine natürlich alte, alte Modelle, die nicht mehr so gefragt seien, Auslaufmodelle sozusagen.
«Wie im Sommerschlussverkauf?», warf Edel ein.
«Oder wegen Geschäftsaufgabe» , steuerte Finn bei, dem entgangen war, dass Edel ihre Bemerkung mit ironischem Beigeschmack gewürzt hatte.
«Ihr habt keine Ahnung, wirklich, absolut nicht. Mein Vater hat nur hochwertige und entsprechend teure Modelle. Ich kann ja mal ’ne Besichtigung …» – Eilt nicht, dachte Klotz und Finn sagte: «Cool.» Er wollte seine Geschäftsaufgabe wieder ausbügeln.
«Also, ihr kümmert euch um das Outfit von Anton und um den Karton, und zwar ganz alleine, damit das klar ist. Ich hab schließlich genug mit meinem Dad zu tun, dass der keine Lunte riecht.» Alles klar? , wollte sie noch sagen, aber «Ach du Scheiße, in Deckung» von Klotz ließ sie verstummen.
Der zerrte Finn zu sich hinter den Busch, unter dem Anton lag. Finn kam ins Stolpern, sah sich schon auf Anton und seinem Erbrochenem landen, stemmte sich mit aller Kraft vom Boden ab und hatte Glück. Er prallte nur gegen Klotz. Und während Edel dachte, spinnen die jetzt total, erkannte sie den Grund für die heftige Aktion ihrer Freunde. Am Fenster von Oma Schmitz tat sich etwas. Ein Flügel bewegte sich.
Oh Gott, jetzt nix wie weg, und der da muss auch aus dem Blickfeld. Edel bückte sich, packte Anton an den Hinterbeinen und zog ihn hinter sich her zu den beiden anderen.
Sieht aus, als ob sie ’nen Teddy hinter sich herschleift, dachte Finn. Oder wie bei Elli, wenn sie mit ihrer Lumpenpuppe durch die Gegend schlürt. – Elli war seine fünfjährige Schwester. –
Dann sahen sie, wie Oma Schmitz sich aus dem Fenster beugte und den Kopf langsam hin- und herbewegte, als ob sie die Gegend nach irgend etwas absuchte.
Nun mal schön vorsichtig, dachte Edel. Immer schön ans Gleichgewicht denken, Oma Schmitz. Oh Gott, Oma, mach keinen Quatsch, halt dich …
Ach du Scheiße, Klotz starrte wie gebannt auf das Fenster, die kippt ja wirklich nach vorne weg, und er schrie: «Festhalten, festhalten Oma Schmitz, am Fensterrahmen.»
Die drei sahen sich an, Oma Schmitz hob ihren Oberkörper wieder in die Senkrechte, rief: «Ach ihr seid’s» und «warum schreit ihr denn so. Ist was mit Anton?»
«Da haben wir den Salat», flüsterte Edel, «und jetzt?»
«Plan B », flüsterte Finn zurück.
Klotz schüttelte den Kopf, öffnete seinen Mund und es entfuhr ihm ein lang gezogenes «Öhhhhh???»
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