›Okay. Also, wenn Julian ebenfalls erpresst wird, dann könnte er durchaus noch auf unsere Seite kommen?‹, schlussfolgert Oliver 2.
Verdammt, ich brauche andere Spitznamen für meine Olivers.
›Deine Olivers?‹
›Könnt ihr wenigstens so tun, als würdet ihr nicht alles hören, was ich denke? Warum funktioniert das überhaupt noch hier?‹
›Weil wir physisch alle am selben Ort sind.‹
Ach, das wird mir jetzt alles zu viel. Ich stehe wieder auf, und ziehe mich in eine Ecke zurück, winkle meine Beine an und halte mich ganz fest. Oliver 2 hat mich ›Schatz‹ genannt. Sind wir etwa ein Paar in dieser Zeit? Wie ist das überhaupt möglich?
Ich bin so in Gedanken, dass ich Oliver erst bemerke, als er sich zu mir setzt und meine Hand ergreift.
»Mel, verschließe dich nicht vor deinen Gefühlen. Mach das nicht, hörst du? Du kämpfst so sehr dagegen an, dass es mir echt das Herz zerreißt.«
Langsam richte ich meinen Blick auf ihn und verliere mich in seinen Augen. Grau-Grün und irgendwie wirken sie so ... Verändert. Sanfter und zärtlicher. Lange halten wir einander, bis ein Räuspern zu vernehmen ist.
›Oliver, wir müssen uns unterhalten. Alleine‹, meint Oliver 1 und ich weiß nicht, was das soll. So viel Zeit muss wohl sein, auch wenn wir uns eigentlich einen Plan überlegen sollten, wie wir all das hier überstehen. Aber okay Jungs, unterhaltet euch erst einmal ...
Es wird still in meinem Ohr und ich fühle mich so leer und hilflos. Ich erinnere mich an früher und muss mich ein wenig fester halten. Mir ist bewusst, dass ich mich unmöglich verhalte. Aber diese Situation ist neu für mich. Alles, was bis her war, hat sich für mich innerhalb weniger Wochen abgespielt. Es liegen keine Jahre dazwischen, schon gar kein Jahrhundert.
Dieses ganze Zeitreiseding kenne ich doch erst seit wenigen Monaten und bin komplett ins kalte Wasser geworfen worden. Dabei wollte ich mich nur mit Justin treffen. Zwar hat es kein Date gegeben, aber einen Kuss.
Ein Jahrzehnt glaubte ich, dass mein Vater nur verschwunden war. Als ich die Wahrheit herausgefunden hatte, veränderte sich mein komplettes Leben. Als wäre meine eigene Umlaufbahn verschoben.
Noch immer ist es so seltsam, dass ich mit einem uralten Stift durch die Zeit reisen kann. Angetrieben durch meine DNA kann ich ihn benutzen, obwohl er eigentlich Dad gehörte und unseren Vorfahren ...
Früher einmal hat mein Vater für die ›Historical Real or Fiction‹ gearbeitet. Eine Art Agentur, die sich mit Mythen der Vergangenheit beschäftigt und auf den Grund geht – was praktisch ist, wenn man sich zu dieser Zeit schreiben und vor Ort recherchieren kann. Doch wurden sie korrumpiert und missbrauchten die Funktion.
Ich sollte nicht mehr darüber nachdenken. Das gehört nicht hierher.
Ich beobachte weiterhin Oliver, der einfach nur vor sich hinstarrt. Zu gerne würde ich wissen, was die Jungs zu besprechen haben.
Er sieht einfach umwerfend aus, stark und gesetzter. Als sei er wirklich angekommen und nicht mehr auf der Suche, nach was auch immer.
Er dreht sich in die andere Richtung und steht nun mit dem Rücken zu mir und das, was ich sehe, gefällt mir wirklich. Ich seufze etwas und muss einfach daran denken, dass all das nicht für mich ist. Ich habe eine Mission, auf die muss ich mich konzentrieren.
Die Mission lautet: »Die Königin retten« und mehr zählt nicht. Königin Victoria II leidet möglicherweise gerade jetzt Todesangst und ich sitze hier und betrachte den Po von Oliver, der in einer sehr engen Hose steckt.
Nächsten Monat werde ich 20, es sind nur noch wenige Wochen bis dahin und ich hatte noch nie eine wirkliche Beziehung. Das mit Justin zählt nicht.
Es muss eine Qual für Oliver (1+2) gewesen sein, Penelope wieder gesehen zu haben. Verdammt, diese Frau hat nicht nur seinen Vater, sondern dessen Verlobte umgebracht.
Ich muss an sein Lied denken, was er für Rachel, seine Verlobte, schrieb. Er scheint allerdings nicht mehr so wütend wie damals zu sein, als ich ihn kennengelernt habe. Er wirkt nicht mehr wie ein Welpe. Hoffentlich lässt Penelope Oliver 1 in Ruhe. Wenn ich nur bei ihm sein könnte und ihn von da ... Meine Gedanken fahren Achterbahn, als mir eine Idee kommt.
Irritiert sieht Oliver mich an. Was? Können sie immer noch meine Gedanken hören? Aber ... Das ist unfair.
›Sorry, Mel‹, höre ich nun wieder Oliver 1 sprechen.
»Tut mir auch leid, aber deine Gedanken waren echt interessant und niedlich.«
Boden, geh auf, bitte. Sofort, ja? Das ist peinlich! Ich hab über seinen Po nachgedacht. Stopp. Gedanken, geht fort.
Ich verstecke mein Gesicht hinter meinen Händen und will nicht, dass Oliver 2 mich ansieht.
»Hey, es ist vollkommen in Ordnung. Ich kenne das doch nicht anders«, sagt er sanft und nimmt vorsichtig meine Hände runter, legt seine Hand unter mein Kinn und hebt es sanft hoch. Er will doch nicht ... Er schaut mir in die Augen und irgendwas ist seltsam. Was mache ich hier nur? Er rührt sich nicht, sondern blickt mich weiterhin an, manchmal auch auf meine Lippen.
›OLIVER!‹, hören wir plötzlich den anderen Oliver rufen.
Er seufzt und wendet sich ab. »Sorry, Bro«, sagt er und ich wundere mich, wie er eigentlich redet. Bro ist sowas von 2017.
Er sieht zu mir und lacht.
Scheinbar haben sie den Ernst der Lage nicht erkannt. Es geht hier um alles oder nichts. Verdammt, wir stecken hier fest. In einem Keller im Nirgendwo.
»Du hast vermutlich recht«, seufzt er und fährt sich mit der Hand durch seine Haare. Er setzt sich wieder zu mir, bleibt aber auf Abstand.
»Meine Mel hat mir so viel über deine Zeit erzählt, dass ich manche Begriffe einfach wieder aufgenommen habe.«
Warum sagt er so etwas auf einmal?
»Deine ... Mel. Wie ist sie so?«, möchte ich wissen. Es bringt nichts. Wir müssen die Zeit herumbekommen. Ich weiß nicht, was sie vorhaben. Warum sie uns hier festhalten.
Oliver 2 strahlt und meint (wirklich wahr):
»Sie ist dir sehr ähnlich!« Echt jetzt? »Ich weiß, ihr seid ein und dieselbe Person. Aber sie hat eine heftige Zeit hinter sich und war lange wirklich niedergeschlagen ...«
»Oh. Was war ... Sorry, nein, erzähle bitte nichts mehr. Wir sind hier in der Zukunft, ich darf nicht noch mehr wissen.« Oliver 2 nickt und zu gerne würde ich wissen, was er denkt, wenn er mich so ansieht. Möglicherweise bin ich irgendwann wie ein Hefekloß aufgegangen und passe nun nicht mal mehr durch eine Tür? Oder all meine Haare sind mir ausgefallen? Was kein Wunder wäre, bei diesen Zeitreisen und den Veränderungen im Hormonhaushalt.
Ehrlich.
Das Schlimmste an dieser ganzen Sache ist, dass wirklich alles durcheinandergeraten ist, unter anderem auch meine Menstruation. Nebenbei spielen die Hormone allgemein noch Achterbahn und irgendwie frage ich mich, wie Penelope das alles aushält. Aber gut, sie wird ihr Geheimnis haben. Welches das ist, möchte ich dann doch nicht so genau wissen.
»Melanie?«
›Mel?‹
Ich lerne es nicht. Alles, was ich denke, erfahren auch die Jungs. Langsam atme ich tief ein und aus.
»Konzentration. Hört auf, mich abzulenken. Also, wir sitzen hier fest und müssen irgendwie raus finden.« Ich hole Stift und Block hervor und schreibe etwas auf. »Dachte ich mir. So blöd sind die ja nicht. Der Stift funktioniert in diesem Raum nicht.«
»Aber Julian hat uns doch reingebracht.«
»Wahrscheinlich ist er nur von innen geschützt. Vielleicht ein Material in der Wand?« Ich lege meine Hand daran und spüre eine Glätte auf den Steinen, die wie eine Lackierung wirkt. »Ich muss mit Julian reden. Wir müssen mehr erfahren. Wir sitzen hier fest, die Königin ist irgendwo da draußen und in Gefahr. Während Penelope ihr Unwesen treibt. Oliver 1, wie ist es bei dir?«
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