»Er ist für euch tabu?«
»Das hatte ich dir versprochen«, sagt er leise, aber charmant und ich glaube ihm. Mein Herz spielt vollkommen verrückt. Auch Julian ist für mich unerreichbar, aber ihn so zu sehen ... Das lässt mich erschaudern und ein Loch in meinem Inneren entstehen.
»Genug mit dem Smalltalk, kleine Fee«, spricht er auf einmal mit fester Stimme und mir wird bewusst, in welcher Situation wir uns befinden. Er verschränkt die Arme vor der Brust und wirkt angespannt und doch abwartend. Er sieht mir direkt in die Augen und ich glaube, ein kleines Zucken in seinem Mundwinkel erkannt zu haben. Julian ist wie ein Buch mit sieben Siegeln.
»Warum sind wir hier gelandet? Mein Informant sagte, dass die Königin in Gefahr sei. Was hast du geplant?«
»Die Königin ist tatsächlich in Gefahr«, meint er und sein Blick verändert sich und er wirkt wie ein Löwe, der auf seine Beute lauert. »Ab jetzt hängt es nur von dir und deinen Entscheidungen ab, kleine Fee.«
»Wie meinst du das?«
Auf einmal wird die Luft um uns merkwürdig aufgewühlt und ich spüre, dass sich etwas anbahnt. Mein Kugelschreiber wird heiß, während ich ihn immer fester anfasse. Nur ich kann ihn benutzen, aber es wäre fatal, wenn er verschwinden würde. Dann wären wir hier gefangen. Wie einst mein Dad.
Nein! Das darf nicht wahr sein! Hinter Julian taucht eine Frau auf und sie hat jemanden bei sich.
2127
Oliver starrt sich selbst an und flucht leise vor sich hin. Das könnte böse enden.
»Was soll das? Habt ihr so wenig Ahnung von den Gesetzen der Zeitreisen?«
»Arme kleine Melanie ... Als ob wir uns um Konsequenzen kümmern«, sagt die Frau. Wow. Wenn sie nicht unsere Gegenspielerin wäre, dann würde ich meinen, sie sei direkt aus einem Film entsprungen.
»Melanie«, höre ich Oli neben mir flüstern und er blickt mich mahnend an. Dieses Gedankenlesen ... Es nervt total. Sie vor mir zu sehen, leibhaftig, nachdem ich schon so viel von ihr gehört habe, ist eigenartig. Mir fehlen die Worte und meine Gedanken spielen verrückt. Sie ist die Mutter von Justin und Julian und für all das Leid von Oliver verantwortlich. Wut steigt in mir auf, als ich sehe, wie gelassen sie wirkt. Als sei all das für sie nichts weiter, als ein Witz. Als würde sie nicht gleich wie eine Bombe hochgehen. Der Kies knirscht unter ihren Absätzen, ihr Outfit wirkt auf mich nicht passend für einen Ort wie diesen. Viel zu elegant, viel zu aufwendig. Ihr Kleid würde vermutlich eher zu einem Ball passen. Ihr Make-up sitzt perfekt, mit dem roten Lippenstift und dem leuchtenden Lidschatten. Ich hingegen, wirke eher, wie eine Vogelscheuche und ich versuche automatisch, meine Haare glattzustreichen, was ihr nur ein gehässiges Grinsen entlockt.
»Penelope!«, rufe ich aus. Mein Blick geht von einem zum anderen. Was soll das?
»So lernen wir uns endlich kennen. Wurde ja auch Zeit, oder?«
»Was willst du mit Oliver 2?« Sofort höre ich, Oliver 1 neben mir kichern, während mich der andere irritiert anschaut.
»Oliver 2? So also kategorisierst du?«
»Lenk nicht ab!«, rufe ich ihr entgegen.
»Das habe ich nicht vor«, schmunzelt sie und ich erkenne den Stift in ihrer Hand. Sie wird etwas unternehmen, aber was? Sie ist so schnell verschwunden, wie sie wieder auftaucht.
»OLIVER!«, schreie ich, als ich feststelle, was sie vorhat. Verdammt!
»Mel!«, höre ich ihn, bevor er sich in Luft auflöst. Keuchend gehe ich zu Boden. Oliver ist weg.
»Wo ist er hin? Wo hat ihn deine Mutter hingebracht?«
»Das verrate ich dir nicht, kleine Fee«, sagt er grinsend und ich werde so wütend, dass ich auf ihn stürze. »Überlege dir gut, was du als Nächstes machen wirst. Schau dich mal um, meine süße kleine Fee.«
Mitten in meiner Bewegung stoppe ich und sehe mich einmal genauer um. Wir befinden uns an einem so abgelegenen Ort, dass man die gesamte Natur erblicken kann. Viele Steine liegen auf dem Boden, der kaum mit Gras bedeckt ist. In der Ferne kann ich einen Wald entdecken und eine Klippe. Hinter Julian und Oliver geht es tief nach unten, wie ich feststelle. Ich ziehe scharf die Luft ein und verlangsame meine Schritte.
»Oliver, geht es dir gut?«, möchte ich von der Zukunftsversion wissen.
Er sieht mir ganz fest in meine Augen und nickt.
»Kleine Fee«, beginnt Julian und kommt näher. So nahe, dass ich sein Deodorant riechen kann. Dasselbe, was er früher benutzt hat. Kurz schließe ich meine Augen und nehme seinen Duft in mir auf. Vertraut. Wohltuend und doch erinnert er an den Schmerz in meiner Brust.
»Julian«, hauche ich, zu mehr bin ich nicht fähig. »Warum nur? Wir hätten ein starkes Team sein können.«
Auch er schließt kurz seine Augen, nimmt meine freie Hand und unsere Finger verschränken sich ineinander. Hier geht es nicht um Liebe, sondern um Freundschaft. Er atmet tief ein und aus, ehe er mich loslässt und einen Schritt zurückgeht. Ich weiß, Oliver hat alles beobachtet und für außenstehende Personen wirken wir wie verdammtes Liebespaar.
»Kleine Fee, wir müssen jetzt etwas schreiben. Dazu werde ich den Stift halten und du darfst keinen Mist bauen, hörst du? Denke nicht einmal daran. Stelle dir auch keine Zahlen vor! Verstanden? Ansonsten ...« Irgendwas ist merkwürdig an der ganzen Situation. Hat er mir gerade zugezwinkert? Oder habe ich mir das nur eingebildet? Verdammt!
»Moment mal«, sage ich und spüre ein Beben in meiner Stimme. Julian scheint nicht recht zu wissen, wie er all das verarbeiten soll. Er muss knallhart sein, aber irgendwas stimmt hier nicht. »Du wirst erpresst!«
»Halt den Mund. Du weißt nicht, was los ist«, zischt er.
»Sag es mir, bitte. Ich kann dir helfen. WIR können dir helfen«, spreche ich weiter und blicke zu Oliver, der seltsam nervös wirkt. Ich glaube, er hat wirklich eine falsche Vorstellung dessen, was hier los ist. Was ich allerdings nicht nachvollziehen kann, schließlich kennt er diese Version von mir gar nicht.
Julian erwidert nichts, aber ich kann es in seinem Blick erkennen. Da stimmt etwas ganz und gar nicht. Ein Hauch einer Ahnung in mir breitet sich aus und ich glaube, dass ich langsam alles begreife. Aber vorerst werde ich das machen, was er von mir verlangt. Nur so können wir alle unbeschädigt von hier Verschwinden und möglicherweise herausfinden, was mit der Königin los ist und was er mit seiner Andeutung von vorhin meinte.
2127
Seine Hand legt sich sanft auf meine. Wir schreiben mit rechts, auch wenn ich Linkshänderin bin, aber er muss den Stift führen, nicht ich. Ich halte Olivers Hand und sehe kurz zu ihm. Er wirkt etwas verärgert und irritiert. Er darf nicht vergessen, dass ich nicht die Mel aus dem Jahr 2127 bin. Ganz gleich was passiert ist, das bin nicht ich.
»Keller, Versteck, Jetzt.«
Alles dreht sich im Kreis.
Der letzte Sprung liegt noch nicht lange zurück und ich fühle mich ziemlich ausgelaugt. Normalerweise esse und trinke ich nach einem Sprung direkt etwas, was ich nun deutlich spüre, zumindest hatte ich mir das angewöhnt. Bevor wir die Nachricht erhielten, die uns hierhergeführt hat, habe ich viele Male Testsprünge gemacht. Um festzustellen, wie ich auf das Zeitreisen und auf den Stift im Allgemeinen reagiere und wie mein Körper damit zurechtkommt. Mein Vater war da knallhart und wollte kein Risiko eingehen und mich unvorbereitet in etwas stürzen lassen. Doch all die Sprünge, die ich machte, waren nichts im Vergleich zu dem hier. Dies ist etwas komplett anderes. Während ich sonst nur wenige Minuten in der Zeit gereist bin, sind es nun einige Jahre. Nun ja, abgesehen von meinem aller ersten Sprung, der mich 100 Jahre in die Zukunft katapultiert hatte.
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