„Ja, mächtig schön!“, antwortete ihm der Mann und blickte in das wärmende Gold, das bald hinter den Wipfeln verschwand und erlosch, ebenso wie ihm das Leben allmählich entglitt und er schläfrig wurde, weil er mittlerweile schon so viel Blut verloren hatte. Als er endlich gestorben war, erhob sich Dover, betrachtete ihn noch eine Weile und sprach dann in die Stille hinein: „Ob’s deine Schuld war, weiß ich nicht. Aber der Chef hat mächtig springen lassen für dein Kopf. Hoffe, dass es ´n schöner Tod war, alter Freund.“

Dieser ziemlich schöne Ausblick entsteht, wenn man es sich abends auf der Veranda meiner Eltern gemütlich macht. Sie haben es sich seit meinem Auszug erstaunlich gut gehen lassen, mein Zimmer wurde schnell zu einem kleinen Gym (inklusive Kletterwand und Flachbildfernseher), der Garten gemütlicher gestaltet und insgesamt gönnten sie sich immer mal wieder spontane Städtereisen.
Solange ich ab und zu nach Hause kommen darf und dann solche Sonnenuntergänge bestaunen kann, sei es ihnen gern gegönnt ;)
„Was treibt dich hierher?“, fragte das Böse, weil das Gute mit dem Winde kam und sich völlig ungefragt neben ihn gesellte.
„Ich sehe mir dein Werk an. Prächtig, wirklich prächtig“, sprach das Gute mit erhabener Verachtung in der Stimme und deutete auf das sterbende Waldstück vor ihnen.
„Spar’ dir deine Kommentare.“
„Nein, wirklich, ich applaudiere deinem Werk. Folter, Tod, Piraterie, an der Kasse vordrängeln, Krankheiten, Lügen und jetzt auch noch das. Diese Bäume waren wunderschön und nun sieh sie dir an. Nur noch totes Gerippe…“, das Gute schnalzte verächtlich mit etwas, das zwar keine Zunge war, jedoch einen ähnlichen Ton erzeugen konnte.
„Überspann den Bogen nicht“, murmelte das Böse.
„Hast du denn nichts zu deiner Verteidigung zu sagen?“
„Ich bin nicht schuld.“
„Natürlich nicht, du bist zwar das Böse, aber du bist garantiert nie schuld, dir kann man keinen Vorwurf machen, deine Hände sind rein, du wäscht sie ja eifrig in der braunen Brühe, die du Unschuld nennst“, keifte das Gute, gab sich dabei keine Mühe Spott und Häme zu verbergen und holte schließlich zum finalen Schlag aus: „Weißt du, was du bist? Du bist ein verdammter, mickriger, nichtsnutziger…“
„Ich bin du!“, schnaubte das Böse dazwischen und die Natur begann zu erbeben, Bäume stürzten, Bäche versiegten und Blitze barsten den Boden entzwei.
Dann erhob das Böse ein letztes Mal das Wort: „Wenn die Menschen glauben, dass sie gut sind und gut handeln, dann glauben sie gleichzeitig, dass sie das Recht besitzen, das Böse zu zerstören. Und dabei ist ihnen jedes Mittel recht, egal ob Wahrheit oder Lüge, Verstand oder Wahnsinn, Wort oder Tat. Ich bin du!“
Der Sturm tobte, doch weiter war an diesem Ort nichts zu sehen, außer dem toten Gerippe eines sterbenden Waldes.

Das Harz. Nie hätte ich gedacht, dass eine Region Deutschlands so anders und aufregend aussehen kann.
Die Eltern einer Freundin aus dem Studium besitzen in der Region eine Hütte. Sie lud mich und andere Kommilitonen zu einem kurzen Wochenendurlaub dorthin ein. Wirklich faszinierend und grausig-schaurig zugleich ist der Zustand des Waldes im Harz: So weit das Auge reicht, ragen abgestorbene Stümpfe in die Höhe, tausende und abertausende tote Fichten, die den Schwächen der Monokultur und dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen sind. Dieses natürliche Memento Mori führte zu Gut und Böse.
Lange Kurzgeschichten
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