Zurück in der Lodge ging Carl unter die Dusche, während Kerstin in ihrer Kamera den Film auswechselte. Sie stand im Schlafzimmer und schaute durch die geöffneten Fenster in die Wildnis. Es war früher Abend. Der Wind wehte lau durch den Raum, afrikanische Laute von nachtaktiven Tieren wurden lauter. Kerstin ging auf die Terrasse und beobachtete einen phantastischen Sonnenuntergang. Die untergehende Sonne erstrahlte in einem Wechselbad von Farben, von gelb zu orange, um sich dann vor dem immer schneller dunkel werdenden Hintergrund ins rosa-pink zu verwandeln und danach schnell versank. Der dunkler werdende Himmel hatte die rosa-pink-Farbe angenommen, bevor die Sonne im Horizont ganz verschwunden war. Jetzt wusste auch Kerstin, dass sie in diesem Land leben möchte. Ein Gefühl des Ankommens erfasst sie, ohne das Land genauer zu kennen.
Nach dem Besuch im Krüger Nationalpark flogen sie von Johannesburg nach Kapstadt. Sie hatten schon viel über diese großartige Stadt gehört und waren sehr gespannt, welche neuen Eindrücke sie erwarteten. Unterkunft fanden sie in der Nähe der „Waterfront“. Mittelpunkt für shopping, exklusive Restaurants, im ehemaligen Hafengelände, welches an der Stadtgrenze angrenzt. „Victoria & Alfred Waterfront“ wurde eine der bedeutendsten Touristenattraktion von Kapstadt. Zahlreiche Robben tummelten sich auf dem Wasser und auf speziellen Pontons, die für die possierlichen Tiere hingebracht wurden. Neben dem touristischen Treiben waren sie ebenso von dem Geschäftsviertel dieser Metropole mit den modernen Hochhäusern überrascht. Nachdem sie vom Plateau des gigantischen Tafelbergs noch einmal auf die faszinierende Stadt hinabblickten, sagte Kerstin:
„Wir haben Glück, da die Sicht frei ist. An vielen Tagen überzieht eine dichte Wolkendecke, die sie Tischtuch nennen, den Tafelberg. Doch heute ist die Sicht atemberaubend.“
Die City präsentierte sich als Ansammlung von Hochhäusern aus Glas und Stahlbeton, deren Monotonie immer wieder ältere Gebäude im typischen kapholländischen und viktorianischen Stil auflockern.
Direkt am Atlantik blickten sie auf ein überwältigendes Felsmassiv der „Twelve Apostels“, welches im Sonnenuntergang in den herrlichen gelb-orange- bis blutroten Farben glänzte. Die Seilbahn brachte die Besucher sanft in die Stadt zurück.
Bei einem Ausflug nach Stellenbosch in der Weinregion nahmen sie am nächsten Tag an einer Stadtführung mit anschließender Weinprobe incl. Mittagessen teil. Die Qualität der kulinarischen Genüsse übertrafen die Erwartungen von Kerstin und Carl.
Eine Fahrt um die Kaphalbinsel zählte zu den Höhepunkten. Malerische elegante Weingüter, die Strände, der warmen „Fals Bay“, die wilde Atlantikküste im Gegensatz zu seinen schicken Badeorten, hinterließen bei Kerstin und Carl tiefe Eindrücke.
Zurück in der Stadt nahmen sie vor dem Abendessen an der Bar ihres Boutiquehotels ihren letzten Drink ein.
„Carl, wie gefällt dir Kapstadt? Ich meine, könnten wir hier leben?“
„Ich bin nicht sicher, es ist tatsächlich eine wunderschöne Stadt, doch es ist nicht das, was ich mir für unseren Lebensabend vorgestellt habe“, antwortete Carl.
Kerstin sagte, während sie aus dem Fenster auf das rege Treiben der Stadt blickte:
„Ja, mir geht es auch so. Wir müssen weiter schauen. Morgen fliegen wir nach Durban an den Indischen Ozean, in dem wir über das ganze Jahr im warmen Meer schwimmen können. Der Atlantik hier ist immer eisig kalt. Auch das Wetter ist hier nicht ideal. Viel zu windig und kühl. Um Durban herum soll es über das ganze Jahr angenehm warm sein. Ideal für unsere Gesundheit.“
Früh am nächsten Morgen flogen sie nach Durban und mieteten sich im Flughafen ein Auto. Zuerst nahmen sie sich die Nordküste am Indischen Ozean vor. Doch auch diese eher international touristisch geprägte Landschaft mit all den großen Hotels am Strand gefielen nicht. Direkt an der Hafenpromenade fanden sie ein modernes Hotel.
Der Verkehr um und in Durban war sehr hektisch und laut. Die Stadt hatte sicher auch ihre Sehenswürdigkeiten, doch die Straßenführung wirkte sehr verwirrend und kompliziert. Intensiv empfanden sie die Armut der schwarzen Bevölkerung, wo einfach Geld fehlt, um der Stadt den Glanz vergangenen Zeiten zu erhalten. Ständig wurden sie gewarnt, überaus vorsichtig zu sein. Die Kriminalität durchzog die ganze Metropole. Bettelnde heruntergekommene Kinder standen an den Verkehrsampeln. Andere versuchten Souvenirs, auf ihren Bauchläden, zu verkaufen. Woher sie ihre Waren hatten wollte kein Polizist wissen. Auch hier fanden sie nicht das, was sie sich erträumt hatten.
Einige Tage später entdeckten Sie die Südküste. Die Autobahn war sehr gut ausgebaut, der Verkehr ließ nach, je näher sie sich nach Süden bewegten. Der Blick auf das kristallklare Meer begleitete sie fast über die ganze Strecke. Sie fuhren durch grüne hügelige Landschaften, geprägt von Zuckerrohrfeldern. Kuhhirte saßen dicht am Autobahnstraßenrand und ließen ihre Kühe grasen. Fußgänger gingen auf dem Seitenstreifen der Autobahn ihres Weges. Ab und zu tauchten kleine Dörfer auf den Hügeln auf, manche Häuser waren gepflegt und bunt gestrichen, dann bot sich das krasse Gegenteil . Blechhütten, eng zusammengezimmert, ließen auch hier traurig die bittere Armut der Bevölkerung erkennen. Straßen oder Wege waren fast keine um die Dörfer gebaut. Ab und zu überquerte ein Mensch die Autobahn, um die andere Seite des Geländes erreichen zu können. Brücken gab es kaum.
In Margate, auf einem hübschen Hügel gelegen, fanden sie ein nettes kleines Hotel. Die Inhaberin half Carl und Kerstin sich in dieser Gegend von Kwa.Zulu.Natal zurechtzufinden. Von ihrer Terrasse aus konnten sie über die kleine Stadt Margate auf das Meer schauen.
„Margate ist vor allem als Urlaubsstadt bekannt. Aufgrund der vielen Strände und Freizeitmöglichkeiten ist es vor allem bei Südafrikanern aus dem Inland beliebt, so dass besonders in Ferienzeiten, zu Ostern, Weihnachten und an Feiertagen Hochbetrieb herrschen“, las Kerstin aus ihrem Reiseführer vor.
Von Margate aus erkundigten sie die Umgebung, die ihnen sehr gut gefiel und entdeckten eine kleine Village, mit etwa 500 Häusern, die zum größten Teil als Ferienhäuser bewohnt werden. Fast hätten sie diesen wundervollen Ort übersehen, da er etwas versteckt hinter der gut ausgebauten Landstraße lag. Dieses kleine Dorf umgab eine herrliche subtropische Vegetation. Ein Affenclan, von etwa 30 Tieren mit ihren Babys, die sich am Bauch der Mutter festklammerten, begrüßten träg die neuen Gäste. Faul lagen sie auf der Straße und pflegten sich gegenseitig das Fell. Ungern räumten sie die Straße, um Kerstin und Carl durchfahren zu lassen.
Nach wenigen Metern rief Carl begeistert: „Hier gefällt es mir, hier möchte ich leben“.
Kerstin erwiderte:
„Ja, schon. Doch diese Gegend könnte Beverly Hills in Florida sein. Wie sollten wir hier ein Haus bezahlen können?“
So war ein Saatkorn in Kerstin und Carl gelegt, um bald prächtig gedeihen zu können.
4
Carl trat pünktlich seinen Dienst an. Nach dem Urlaub fühlte er sich erholt und selbstbewusst, als er in das Zimmer seiner Chefin, Frau Specht, trat.
„Schön, dass Sie wieder hier sind Carl. So wie Sie aussehen, hat Ihnen Ihr Urlaub sehr gut getan.“
Carl nickte.
„Ich will gleich zur Sache kommen.“ Sie schaute Carl ernst an.
„Wir haben den Fall des organisierten Organhandels an höhere Stelle abgeben müssen. Das hat politische Gründe und weitere Ermittlungen werden von oberster Stelle geleitet.“
Carl nickte wieder und erhob sich von seinem Stuhl. Was er zu sagen hatte, konnte er nicht im Sitzen sagen.
„Ich dachte mir so etwas. Es scheint eine weltweite Sauerei zu sein, was hier geschieht. Ich wollte sowieso meinen Dienst quittieren. Ich stehe kurz vor der Pension und habe während meiner Reise erkannt, dass ich mich lange genug mit dem Abschaum und Dreck von Kriminellen beschäftigt habe.“ Dann setzte er sich wieder auf seinen Stuhl.
Читать дальше