Weiter unten im kleinen Tal sah er nun viele Tiere grasen. Es gab Rehe und Antilopen und die großen, zotteligen Büffel, die auf der äußeren Kruste schon längst ausgestorben waren. Unter ihnen bewegten sich auch kleine, pferdeähnliche Kreaturen, nicht größer als ein Foxterrier, die dem Hyracotherium aus dem Eozän ähnelten, einem frühen Vorfahren des Pferdes. Alles in allem war hier ein erstaunliches Durcheinander von Vögeln, Säugetieren und Reptilien aus verschiedenen Epochen der Evolution des Lebens auf der äußeren Kruste zu sehen.
Der plötzliche Angriff des Pteranodons erschreckte die anderen Tiere in der unmittelbaren Umgebung, worauf sie galoppierten schnaubend, quiekend und röhrend hinab ins Tal stürmten. Von Horst musste mit ansehen, wie sich so manch gute Mahlzeit aus dem Staub machte. Wenn er unbedingt Fleisch haben wollte, blieb ihm nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen, also machte er sich auf den Weg hinter ihnen her, wobei er sich dicht an den Saum der Bäume entlang des Baches hielt, der sich an einer Seite des Tales entlangschlängelte.
Unglücklicherweise alarmierte die Panik der fliehenden Tiere alle weiteren weiter unten im Tal, worauf diese sich der Stampede anschlossen. Innert kurzer Zeit waren sie alle außer Sichtweite. Von Horst sah einige Schafe in eine Schlucht zwischen zwei Hügelausläufern fliehen und beschloss, ihnen zu folgen.
Als er den Canyon betrat, sah er, dass dieser schnell enger wurde und offensichtlich durch die Erosion des Wassers entstanden war, welches zerbrochene Lavafelsen eines früheren Stroms freigelegt hatte. Zwischen den riesigen Felsbrocken, die ringsherum in einem grossen Durcheinander verstreut lagen, verlief ein schmaler Pfad. Die Schafe waren schnell und hatten bereits einen beträchtlichen Vorsprung. Darum machte von Horst keine Anstalten, ihnen unbemerkt folgen zu wollen und hetzte ihnen in schnellen Schritten zwischen den Felsen hinterher.
Endlich kam er an eine Stelle, wo der Pfad in einen breiteren Teil der Schlucht mündete, wo er, als er ihn betreten wollte, deutlich das Geräusch laufender Füße vernahm, die aus dem oberen Teil der Schlucht, auf ihn zukamen.
Aus der gleichen Richtung vernahm er gleich darauf auch eine beunruhigende Reihe von Geknurre und Gebrülle.
Er hatte bereits genug von Pellucidar und seiner blutrünstigen Fauna gesehen, um davon auszugehen, dass praktisch alles, was hier lebte, als potenzielle Bedrohung angesehen werden konnte. Er sprang schnell hinter einen großen Lavabrocken und wartete.
Kaum hatte er sich versteckt, kam ein Mann vom oberen Ende der Schlucht angerannt. Dieser Neuankömmling, so schien es von Horst, war so flink wie ein Reh. Und es war gut für ihn, dass er so flink war, denn hinter ihm kam der Urheber des wilden Knurrens und Brüllens, das von Horst gehört hatte – ein großes, hundeartiges Tier, wild wie ein Leopard. So behände der Mann auch war, das Tier holte ihn ein, und es war für von Horst klar, dass es seine Beute erwischen und zu Boden reißen würde, noch bevor er die offene Fläche überquert hatte.
Der Bursche war nur mit einem primitiven Steinmesser bewaffnet, das er jetzt in einer Hand hielt, als sei er entschlossen, um sein Leben zu kämpfen, wenn er seinen Verfolger nicht mehr abschütteln konnte. Aber wie von Horst, musste er ebenso erkannt haben, wie nutzlos seine Waffe gegen das mächtige Tier sein würde, das auf ihn zustürmte.
Für von Horst war es keine Frage, was er als nächstes tun sollte. Er konnte nicht einfach tatenlos zusehen, wie ein Mensch von den grausamen Reißzähnen eines Hyaenodons in Stücke gerissen wurde, und so trat er hinter dem Felsen, der ihn sowohl vor dem Mann als auch vor dem Tier verbarg, hervor, damit er einen ungehinderten Schuss auf die Kreatur abgeben konnte. Er hob seine Pistole, zielte sorgfältig und feuerte. Es war kein Glückstreffer. Es war ein perfekt platzierter Schuss. Die Kugel bohrte sich geradewegs durch die linke Brust des Tieres und vergrub sich in ihrem Herzen. Mit einem Schmerzens- und Wutgeheul sprang das Raubtier vorwärts, fast bis zu von Horst, dann sackte es tot zu seinen Füßen zusammen.
Der Mann, den es verfolgt hatte, blieb erschöpft stehen. Mit weit aufgerissenen Augen und zitternd stand er da und starrte von Horst verwundert und erstaunt an. Als dieser sich zu ihm umdrehte, wich er zurück und umklammerte sein Messer noch fester.
»Geh weg!«, knurrte er. »Ich töte!« Er sprach dieselbe Sprache, die Dangar von Horst gelehrt hatte, die, wie er erklärt hatte, die gemeinsame Sprache aller Pellucidarer war.
»Du tötest was?«, fragte von Horst.
»Na dich.«
»Warum solltest du mich töten wollen?«
»Damit ich nicht von dir getötet werde.«
»Warum sollte ich das tun?«, fragte von Horst. »Ich habe dir gerade das Leben gerettet. Wenn ich gewollt hätte, dass du stirbst, hätte ich dich einfach dieser Bestie überlassen.«
Der Mann kratzte sich am Kopf.
»Da hast du wohl Recht«, gab er nach einigem Nachdenken zu. »Aber verstehen tue ich es nicht. Ich gehöre nicht zu deinem Stamm. Deshalb gibt es keinen Grund, warum du mich nicht töten solltest. Ich habe noch nie einen Mann wie dich gesehen. Alle anderen Fremden, die ich getroffen habe, haben sofort versucht, mich umzubringen. Außerdem bedeckst du deinen Körper mit eigenartigen Fellen. Du musst wohl aus einem fernen Land kommen.«
»Das tue ich«, versicherte ihm von Horst, »aber die Frage ist nun, ob wir Freunde oder Feinde sind.« Wieder fuhr sich der Mann nachdenklich mit den Fingern durch seinen schwarzen Haarschopf. »Das ist jetzt sehr eigenartig«, sagte er. »Ich habe noch nie von so etwas gehört. Warum sollten wir Freunde sein?«
»Warum sollten wir Feinde sein?«, fragte von Horst verblüfft. »Keiner von uns beiden hat dem anderen je etwas zuleide getan. Ich stamme aus einem sehr fernen Land, ein Fremder in deinem. Würdest du in mein Land kommen, würde man dich gut behandeln. Keiner würde dich töten wollen. Man würde dir eine Unterkunft und Essen geben. Die Menschen würden dir gegenüber freundlich sein, einfach weil sie von Natur aus freundlich sind und nicht, weil du ihnen von irgendeinem Nutzen sein könntest. Es wäre doch viel praktischer, wenn wir hier Freunde wären, denn wir sind von gefährlichen Bestien umgeben. Und zwei Männer können sich besser schützen als einer.
»Wenn du aber mein Feind sein willst, so liegt das an dir. Ich kann meinen Weg gehen und du deinen. Wenn du versuchen willst, mich zu töten, ist auch das deine Sache, aber vergiss nicht, wie leicht ich diese Bestie hier getötet habe. Genauso leicht könnte ich dich töten.«
»Deine Worte sind wahre Worte«, sagte der Mann. »Wir werden Freunde sein. Ich bin Skruf. Wer bist du?«
In seinen Gesprächen mit Dangar war von Horst aufgefallen, dass kein Pellucidarer mehr als einen Namen hatte – abgesehen von gelegentlichen Zunamen wie der Haarige, der Schlitzohrige, der Killer oder ähnliches. Und da Dangar ihn gewöhnlich Von nannte, hat er diesen Namen zu akzeptieren begonnen. So war dies der Name, den er Skruf nun angab.
»Was machst du hier?«, fragte der Mann. »Das ist ein schlechtes Land, wegen der Trodons.«
»Ich habe diesen Ort nicht gesucht«, antwortete von Horst. »Ich wurde von einem Trodon hierher gebracht.«
Der andere beäugte ihn skeptisch. »Du wärst jetzt tot, wenn dich wirklich ein Trodon geschnappt hätte.«
»Einer tat es und nahm mich mit in sein Nest, um seine Jungen zu füttern. Ich und ein anderer Mann entkamen.«
»Wo ist er?«
»Unten am Fluss in unserem Lager. Ich war auf der Jagd, als ich dich traf. Ich bin ein paar Schafen durch die Schlucht gefolgt. Was hast du hier gemacht?«
»Ich war auf der Flucht vor den Mammutmenschen«, antwortete Skruf. »Einige von ihnen haben mich gefangen genommen. Sie wollten mich zurück in ihr Land bringen, um einen Sklaven aus mir zu machen, aber ich konnte ihnen entkommen. Sie verfolgten mich, aber als ich diese Schlucht erreichte, war ich in Sicherheit. Die Schlucht ist an vielen Stellen zu eng für Mammuts.«
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