Diese Filme besaßen für Tito einen enormen Wert, der weit über seine persönliche Liebe zum Medium hinausging und die Kosten in seinen Augen auch rechtfertigte. Die Filme erinnerten sein Volk immer und immer wieder an den alten Partisanenkampf, den bei weitem wichtigsten Teil von Titos Biografie. Als Herrscher wollte er immer und überall mit genau dieser Zeit seines Lebens in Verbindung gebracht werden, denn dieser Moment der „Volksbefreiung“ bildete die Grundlage seiner Herrschaft, seines Personenkultes und seines Staates. Hollywood-Stars nach Jugoslawien zu holen, passte außerdem wunderbar ins Bild des luxusverwöhnten Marschalls. Geld war kein Problem für den alten Genossen. Man lebte ja ohnehin auf Pump – wie wir im Verlauf dieses Buches noch sehen werden.
Wie bringen wir Ihre Biografie auf Vordermann?
Hitler, Stalin und Tito – drei Namen, die für unterschiedliche Methoden stehen, mit deren Hilfe es Diktatoren in der Vergangenheit gelang, ihre Biografien aufzubessern. Man weiß: Jeder Diktator ist anders. Und das gilt auch für aufstrebende Miniautokraten, wie Sie einer sind. Und doch trifft eines auf jeden zu: Die Biografie ist wichtig! Überlassen Sie es also auf keinen Fall einem anderem, zu beschreiben, wer Sie sind und wofür Sie stehen. Das sollten Sie schon selbst in die Hand nehmen. Welche Methode für Sie persönlich zielführend ist, können Sie problemlos herausfinden. Gibt es Teile Ihrer Biografie, die Sie lieber verheimlichen würden? Dann wählen sie die Methode Hitler und streichen diese überflüssigen Details aus Ihrem Leben. Einige Ihrer derzeitigen Kollegen zeichnen das bereits erfolgreich vor: Viktor Orbán und sein Soros-Stipendium, Aleksandar Vučić und seine Rolle im Milošević-Regime, Heinz-Christian Strache und seine Jugendbekanntschaften … Und seien wir doch ehrlich: Wer von uns hat denn keine Leichen im Keller, die es zu verbergen gilt? Sollte das bei Ihnen nicht der Fall sein, dann sind Sie vielleicht doch kein Diktatorenmaterial. Legen Sie Wert auf das Verschwinden von Zeitgenossen, kann Ihnen eine Prise Stalinismus nicht schaden. Kein Diktator der Welt weist gerne auf die Gehilfen hin, die ihn an seinen Platz gebracht haben. Ein paar Photoshop-Tricks hier, ein paar Erschießungskommandos da, und schwups: Schon sind die unliebsamen Steigbügelhalter verschwunden. Wie immer führen viele Wege nach Rom (oder nach Pjöngjang, wenn Sie wollen). Jeder Diktator ist anders, jede Biografie ist anders und verlangt nach einer anderen Behandlung. Welche ist die Ihre?
Basteln Sie ein Feindbild
Ich muss Ihnen an dieser Stelle des Buches bereits eine unangenehme Wahrheit näherbringen: Ihr Volk wünscht sich in Wirklichkeit gar keinen Diktator. Ich weiß schon, was Sie jetzt sagen werden: „Das mag vielleicht im Allgemeinen stimmen, aber bei mir ist das anders!“ Immerhin sind Sie doch der beste Politiker, den Ihr Land je gesehen hat, und das Volk kann sich nur glücklich schätzen, Sie zu haben. Das mögen Sie als Resultat von Jahren feuchter Träume glauben, doch diesen Zahn muss ich Ihnen leider ziehen. Wenn es anders geht, wünscht sich die Menschheit üblicherweise keinen starken Herrscher, der von oben herab über ihr Leben entscheidet. Schon allein um die Menschheit von diesem Irrtum zu erlösen, gilt es, an die Macht zu kommen und dort zu bleiben. Hierfür bedienen sich Diktatoren seit jeher einer ebenso schlichten wie effektiven Methode. Anstatt sich selbst als die objektiv beste Wahl zu positionieren und um die Menschen zu werben, präsentieren sie sich als eine konkrete Lösung. Lösung wofür? Der Diktator ist die Lösung für ein ganz bestimmtes Problem, das übrigens rein gar nichts mit seinen Fähigkeiten zu tun hat. Wenn dieses Problem nämlich groß genug ist (oder die Menschen in Ihrem Land das glauben), müssen Sie über kein besonderes Know-how verfügen. Sie müssen nur die Lösung darstellen! Aber von welchen Problemen sprechen wir denn hier? Von Feinden natürlich! Der zukünftige Diktator muss das letzte Bollwerk gegen einen gemeinsamen Feind sein, einen Feind, der die Gesellschaft und den Staat in seiner Gesamtheit bedroht. Das und nur das erlaubt ihm seine Stellung als Alleinherrscher. Aber woher soll dieser Feind denn kommen? Das beste Problem ist immer das, das man selbst schafft. Denn dann fällt die Lösung meist nicht schwer. Schauen Sie sich nur um in der Welt. Kim Jong-un beschützt wie schon sein Vater und Großvater das nordkoreanische Volk vor den Imperialisten im Süden und in Amerika, nachdem sie selbst den Koreakrieg vom Zaun gebrochen hatten. Wladimir Putin schützt das russische Volk seit Jahrzehnten vor dem ausbeuterischen Westen und dessen moralischen Verfall, nachdem er selbst dem Land jegliche Hoffnung auf Reform genommen hatte. Donald Trump schützt das amerikanische Volk vor … oh, Moment! Ich entschuldige mich. Jetzt hätte ich Präsident Trump fast in eine Reihe mit solchen autokratischen Herrschaften gestellt.
Der Schlüsselbegriff für uns ist also das Feindbild. Wenn Sie zum alleinigen Machthaber Ihres Landes aufsteigen wollen, brauchen Sie ein solches, denn ohne Bedrohungsszenario, ganz ohne eine böse äußere Gruppe, vor der es die Nation zu schützen gilt, ist Ihre Machtübernahme vor dem Volk nur schwer zu rechtfertigen. Aber Sie haben Glück! Feindbilder haben doch gerade in diesen Jahren wieder Hochkonjunktur. Die Flüchtlinge, der Islam, der „Deep State“ … es gibt so viele reale und fiktive Feinde, die man als aufmerksamkeitssüchtiger Jungautokrat bekämpfen kann. Das Buffet ist eröffnet! Die Menschen lieben eben ihre Feindbilder, und seit jeher teilten alle sozialen Gruppen solche Vorstellungen. Immerhin bieten gemeinsame Feinde eine Grundlage für Rudelbildung, und nicht erst seit gestern nutzen aufstiegshungrige „Politiker“, wie Sie sich wohl gerne auch sehen, diese Neigung. Egal, wohin man in der Geschichte blickt, so gut wie jeder große Herrscher baute seine Macht zuallererst auf ein wohlgenährtes Feindbild auf. Die ganz Großen unter diesen Politikern verließen sich dabei aber nicht auf das Glück. Sie gingen ganz aktiv daran, solche Feindbilder zu erfinden, zu schüren und damit immer weiter aufzublasen, bis der Ruf im Volk nach einer „Lösung“ nicht mehr zu überhören war. Dreimal dürfen Sie raten, wer diese Lösung dann parat hatte.
Den Roten kann man nicht über den Weg trauen
Nun habe ich gerade gesagt, dass es in so gut wie allen menschlichen Gesellschaften schon immer Feindbilder gegeben hat und ebenso machthungrige Menschen, die diese für sich ausgenutzt haben. Allerdings gibt es doch Zeiten in der Geschichte, zu denen diese ewige Wahrheit wahrer ist und stärker zutrifft als zu anderen. Zeiten des politischen Umbruchs und der Unsicherheit sind nämlich die beste Voraussetzung für Feindbilder und ihre politische Verwertung. Wenn wir uns das letzte Jahrhundert anschauen, gibt es da ein ganz besonderes Datum, das jedem Autokratie-Fan bekannt sein sollte: der Jahreswechsel von 1918 auf 1919. Da herrschten in Europa noch so richtig wilde Zeiten! Anfang November 1918 endete der Erste Weltkrieg, und mit ihm kam unter anderem das Ende des Deutschen und des Habsburgerreiches. In Mittel- und Osteuropa entstanden neue Staaten wie Jugoslawien, die Tschechoslowakei, Ungarn und Polen, während sich in schon zuvor existierenden Staaten wie Rumänien massiv die Grenzen verschoben. Bereits ein Jahr vor Ende des Krieges war außerdem die Oktoberrevolution über Russland hinweggefegt, und damit war das politische Chaos in weiten Teilen des Kontinents perfekt. Heute lässt es sich manchmal viel zu leicht über diese Umbrüche reden, ohne den mit ihnen verbundenen Einschnitt für die Menschen der Zeit wirklich zu begreifen. Die Etablierung dieser neuen Nationalstaaten und die damit verbundene Unsicherheit brachten gigantische Zäsuren im Alltagsleben mit sich, die die Menschen noch über Jahre hinweg prägten. Teils komplett neue Politiker, die zuvor keine Rolle gespielt hatten, neue Grenzen – zuweilen mitten durch existierende Lebensräume … Auch muss ich wohl nicht betonen, dass diese Verschiebungen für die wirtschaftliche Entwicklung direkt nach dem Krieg nicht gerade zuträglich waren. Für die Erholung nach einem Krieg ist es nicht die beste Idee, etablierte Handelswege und Wirtschaftsräume zu durchschneiden und alles auf null zu stellen. Aber gut, darum ging es den politischen Führern der Zeit ja nicht. Diese außen- und innenpolitische Unsicherheit und wirtschaftliche Misere spiegelten sich somit bald im innenpolitischen Leben vieler Staaten Europas wider. Radikale Zeiten verlangen eben nach radikalen Antworten, und so griffen über den Kontinent hinweg politische Extrempositionen um sich.
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