T. R. Schiemann
Am Ende fügt sich alles
Roman
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel T. R. Schiemann Am Ende fügt sich alles Roman Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1: Südspanien, 2009
Kapitel 2: Rovaniemi, Finnland, 1976
Kapitel 3: Südspanien, 2009
Kapitel 4: Mexico City, 1972
Kapitel 5: Südspanien, 2009
Kapitel 6: Hamburg, 1983
Kapitel 7: Südspanien, 2009
Kapitel 8: Nordmexiko, 23. Juli 1994
Kapitel 9: Südspanien, 2009
Kapitel 10: Texas und Mexiko, 1988
Kapitel 11: Südspanien, 2009
Kapitel 12: Claudia, 1983
Kapitel 13: Südspanien, 2009
Kapitel 14: Hamburg, 1983
Kapitel 15: Südspanien, 2009
Kapitel 16: Hamburg, 1983
Kapitel 17: Südspanien, 2009
Kapitel 18: Hamburg, 1983
Kapitel 19: Südspanien, 2009
Kapitel 20: Hamburg, 1983
Kapitel 21: Padre Island, Texas, 1987
Kapitel 22: Südspanien, 2009
Kapitel 23: Sobbs
Kapitel 24: Südspanien, 2010
Kapitel 25: Hamburg, 1984
Kapitel 26: Südspanien, 2010
Kapitel 27: Nordmexiko, 21. Februar 2003
Kapitel 28: Hamburg, 1984
Kapitel 29: Arizona, 1987
Kapitel 30: Südspanien, 19. März 2010
Kapitel 31: Hamburg, 1984
Kapitel 32: Mexiko, Nordosten, ab 1989
Kapitel 33: Südspanien, 2010
Kapitel 34: Hamburg, 17. September 1984
Kapitel 35: Südspanien, 2010
Kapitel 36: Mexico City, Frühjahr 1985
Kapitel 37: Südspanien, 2010
Kapitel 38: Hamburg, 25. Juli 1994
Kapitel 39: Mexico City, Sommer 1985
Kapitel 40: Mexiko, Nordosten, 18. Januar 2004
Kapitel 41: Südspanien, 2010
Kapitel 42: Diego
Kapitel 43: McAllen, 28. Mai 1988
Kapitel 44: Südspanien, Herbst 2010
Kapitel 45: Hamburg, Winter 2010
Kapitel 46: Südspanien, Sommer 2011
Kapitel 47: 16. Juli 2011
Impressum neobooks
Kapitel 1: Südspanien, 2009
Mein Onkel Erik kam auf seltsame Weise ums Leben. Er rutschte in der Dusche aus, als niemand zu Hause war. Im Fallen riss er wohl noch den Hebel der Mischbatterie herum, sodass stundenlang kochend heißes Wasser auf seinen nackten Körper platschte. Meine Familie reagierte entsetzt, denn eigentlich war Erik immer ein Glückspilz gewesen, es passte nicht zu ihm, so schrecklich und unter fürchterlichen Qualen zu sterben. Als meine Tante Bertha ihn fand, lag er knallrot und durchgekocht wie eine Garnele in der Duschwanne. Wir mochten uns gar nicht vorstellen, wie lange es gedauert haben musste, bis er endlich tot war.
Erst im Nachhinein fand man heraus, dass ihn wahrscheinlich sofort ein Herzinfarkt dahingerafft und er bestimmt nicht gelitten hatte.
Meine Mutter sprach bei seinem Begräbnis erleichtert aus, was alle dachten:
Das Glück hatte Onkel Erik bis zum Schluss nicht verlassen.
Natürlich war es meinem Onkel im Lauf seines Lebens alles andere als gut gegangen. Beruflich hatte er nie Erfolg gehabt und auch später, als er sich selbständig machte, verliefen seine Geschäftsideen meist im Sand, und doch hielt sich hartnäckig das Gerücht, der Mann sei ein Lebenskünstler, ein Bonvivant. Sein ständiges Betteln um Geld wurde ihm als Pfiffigkeit ausgelegt, seine besoffenen Eskapaden lieferten den Stoff für lustige Anekdoten.
Dies ist vielleicht die auffälligste Eigenschaft meiner Familie: die Fähigkeit, die Realität stets so zu verbiegen, dass man einfach durch sie hindurch gleiten kann.
Mein Onkel hatte als er selbst keine Chance.
Jetzt, da ich beschlossen habe, mir ein paar Notizen zu machen, vielleicht auch ein wenig ausführlicher über einige Ereignisse aus meinem Leben zu berichten, frage ich mich, ob auch auf mir dieser Fluch der Selbsttäuschung und Verzerrung lastet. Ob ich vielleicht deswegen nie wirklich irgendwo angekommen bin.
Bin ich es jetzt? Ich will es vermuten. Tatsache ist nur, dass mein Weg mich hierher geführt hat, dass ich in diesem Zimmer an diesem Tisch sitze und die heiße Luft spüre, die durch die Balkontür herein weht.
Unten auf der Straße knattert ab und zu ein Moped vorbei, ansonsten ist es still. Es riecht nach Sonne, nach glühendem Asphalt und Meer. Ich schaue auf das Gebäude gegenüber, auf die grelle, weiße Wand, und dann wieder auf den Bildschirm meines Computers. Meine Freunde haben mich immer wieder gedrängt, doch einmal aufzuschreiben, was ich ihnen manchmal bierselig erzähle. Aber das ist letztendlich egal und auch nur ein kleiner Anstoß. Vielmehr möchte ich mir über die Vergangenheit noch einmal Gedanken machen können. Besser gesagt, ich glaube, ich möchte sie noch einmal erfühlen, zu mir holen. Dieses Bedürfnis drängt sich immer deutlicher auf. Es ist ein unterschwelliges unangenehmes Summen. Ich fing also an, Stichworte auf allerlei Zettel zu kritzeln. Und die liegen nun vor mir. Einige kann ich nicht mehr entziffern. Auf anderen wiederum stehen kryptische Sätze. Auf vielen jedoch fing ich mir wichtig Gewesenes wieder ein. Daran werde ich mich erst einmal halten. Es ist schon merkwürdig, was mir da alles eingefallen ist, was für Erinnerungsfetzen plötzlich auftauchten. Erinnerungen, die jetzt immer wiederkehren und die gleichsam an Bedeutung gewinnen. Wie die Sache mit Onkel Erik. Da war ich acht.
Ich will das alles erstmal nicht streng chronologisch ordnen, sondern eher grob in Richtung Gegenwart schreiben und sehen, was dabei entsteht.
Ich weiß nicht wo mich das hinführt. Es wird wohl das Beste sein, wenn ich mich herantaste, assoziativ vorgehe.
Heute aber werde ich warten, bis die Hitze nachlässt, später noch einmal in der „Botica“ etwas trinken, meine Freunde treffen, Zeit verbringen, bis Adriana von der Arbeit kommt.
Morgen geht es dann richtig los. Höchstwahrscheinlich.
Kapitel 2: Rovaniemi, Finnland, 1976
Also, es ist soweit, ich schreibe:
Hinter dem Hotel fing gleich der Wald an. Ein enger Pfad zwängte sich zwischen Erlen und Birken hindurch, und es war dann auch gleich dämmerig und kühler. Da es sich an diesem heißen Tag angenehm anfühlte, ging ich weiter. Hinein in flirrendes, grünliches Licht, in den Geruch nach feuchter Erde. Hörte meine Schritte im Unterholz. Atmete tief durch. Ziemlich bald stieß ich auf eine Lichtung. Mittendrin stand, in warmes Sonnenlicht getaucht, eine kleine, roh gezimmerte Holzkapelle. Beim Näherkommen fiel mir auf, dass der Bau unfertig wirkte, eher wie eine dreidimensionale Skizze. Statt einer Tür gab es nur ein rechteckiges Loch in der Vorderseite. Ich ging näher heran und vernahm ein unterschwelliges Grollen, gefolgt von leisem metallischen Klirren. Fast im gleichen Augenblick sah ich ein großes gelbes Etwas auf mich zu rasen. Ohne nachzudenken drehte ich mich um und floh. Erst im Schutz der Bäume schaute ich zurück. Ein Untier bäumte sich dort auf. Die mächtigen Hinterläufe in den Boden gestemmt. Ich dachte sofort: ein Bär, und mir wurde übel. Ich wollte gerade weiterlaufen, als ich erkannte, dass ich gar nicht mehr verfolgt wurde. Vorsichtig, halb verdeckt von einem Baumstamm, wagte ich einen erneuten Blick. Kein Bär. Es war ein furchteinflößender, kraftstrotzender Hund. Soweit ich es aus dieser Entfernung beurteilen konnte, hing er an einer langen Kette, die sich um seinen Hals zuzog. Er fiel nach hinten, zerrte, jaulte und versuchte, sich zu befreien, vermutlich, um mich zu töten. Er drehte sich rasend vor Mordlust im Kreis, und ich konnte im Gegenlicht den Sabber erkennen, der ihm aus den Lefzen flog. Die Zunge hing ihm wie ein nasser roter Lappen aus dem Maul. Sein rasselndes Keuchen klang zu mir herüber. Mein Atem hingegen ging jetzt etwas ruhiger; ich empfand sogar eine kleine, fast grausame Genugtuung, weil sich das Tier so ergebnislos abstrampelte. Irgendwie siegreich trat ich den Rückzug an.
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