„Gut. Es ist schon beeindruckend.“
„Bist du das erste Mal hier?“
„Ja.“ Da er auf weitere Berichte und Meinungen zu warten schien, fasste sie kurz zusammen, was sie von London hielt. Es war eine vielschichtige, interessante Stadt, laut, voll, aber eben auch irre englisch.
„Irre englisch? Wie meinst du das?“, fragte er mit gerunzelter Stirn, hatte aber schon wieder ein amüsiertes Grinsen im Gesicht.
„Naja, britisch eben. Wie im Fernsehen. Die Menschen sind … anders als in Deutschland. Alles ist höflicher, gebildeter, ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll. Ich mag die englische Sprache sehr gern, und ihr habt hier echt viel schönere Sachen als wir in Deutschland. Postkarten, Schreibsachen, Dekozeug und das ganze Design ist anders. Viele Blümchen.“
„Magst du Blümchen?“
„Nicht immer. Aber hier finde ich sie sehr passend.“
Er lachte. „Wie lange bist du noch hier?“
„Wir sind seit vorgestern hier und bleiben bis Freitag.“
„Also habt ihr noch zwei volle Tage?“
„Ja.“
„M-hm“, machte Sam und hob den Teebeutel aus seiner Tasse. Er legte die Stirn in Falten und sah von seinem Teebeutel zu Bettina. „Weißt du, was lustig ist?“ Er grinste und überführte vier Stück Würfelzucker aus der Zuckerschale auf dem Tisch in seine Tasse. Während er umrührte, schaute er auf Bettinas Kakao und dann sie an.
Sie überlegte kurz und musste ebenfalls grinsen. „Dass wir Kaffee trinken wollten und jetzt hat jeder was anderes?“
„Genau.“ Er lachte kurz und herzlich. „Genau das.“ Er sah sie an.
„Was?“
Er schloss kurz die Augen. „Vergiss es.“ Sam atmete laut aus. „Und, was habt ihr bisher angeschaut?“
Bettina rührte den Rest Sahne in ihren Kakao. „Vorgestern waren wir in der Innenstadt bei Harrods und haben eine Stadtrundfahrt gemacht, gestern war ich bei der Harry Potter Studio Tour und heute war eigentlich der Spaziergang geplant, den ich jetzt allein gemacht habe. Aber Annette wollte nicht, weil ihr das Wetter zu schlecht war und sie wollte lieber ein Museum besuchen. Also haben wir uns nach dem Frühstück getrennt.“
„Ist sie nicht wasserfest?“, fragte Sam. Bettina hatte gerade ihre Tasse zum Trinken angesetzt und konnte gerade noch so vermeiden, in den Kakao zu prusten.
„Sorry“, sagte Sam.
„Nein, sie ist nicht wasserfest. Seit wir in Heathrow gelandet sind, schimpft sie auf das Wetter.“
„Lass mich raten, sie fährt sonst lieber in südliche Länder.“
„Meistens ja.“
Sam sagte ‚Hab ich’s doch gewusst’, ohne es laut auszusprechen. Kopfhaltung, Mimik und Augenbrauen übernahmen das in perfekter und vollendeter Form für ihn.
Beide tranken in Ruhe ihre Getränke weiter und es wurde ruhig am Tisch. „Und du magst die Serie?“, fragte Sam schließlich.
„Ja. Auf jeden Fall. Wirklich gut.“
„Wen magst du am liebsten?“
‚Dich’, hätte sie am liebsten gesagt, aber traute sich nicht. „Joe“, sagte sie, was der erstgeplanten Variante sehr nah kam.
„Oh“, machte Sam nur. „Freut mich. Schön. Warum?“
„Äh …“
„Ich meine nur … sonst sind es immer Jerry und Noah. Sogar Stan ist beliebter als Joe. Stan! Unser Sonderling! Joe ist ein Arsch.“ Er grinste.
„Nein, er ist kein Arsch. Er hat seine Prinzipien.“
„Ja, das schon. Aber die sind schon etwas verschoben von dem, was man als normal bezeichnen würde.“
„Ist ja auch keine normale Situation.“
Sam sah sie an. „Da muss ich dir recht geben. Trotzdem ist Joe kein angenehmer Zeitgenosse. Hitzköpfig, unüberlegt, mit Hang zur Gewalt. Aber du hast recht. Ich wollte in so einer Zeit nicht leben.“
„Ich auch nicht. Aber es ist wirklich toll gemacht und ich finde es auch sehr realistisch. Es könnte so sein oder kommen oder wie auch immer.“ ‚After the Storm’ war eine erschreckend realistische, etwas düstere Serie mit apokalyptischen Zügen, in der der Fokus auf verschiedene Personen gelegt wurde, die versuchten, mit der Situation zurechtzukommen. Sie spielte ein paar Jahre in der Zukunft.
Sam trank einen Schluck Tee und stellte seine Tasse wieder ab. „Ja. Dass die Wirtschaft zusammenbricht, die Politik versagt und es Chaos und Tumulte gibt, das durchaus. Die Energiekrise auch. Ob es wirklich so endzeitmäßig mit einem Touch von Wild West wird, bleibt abzuwarten. Aber allein der politische Aspekt … das hat Terry schon genial gezeichnet.“
„Auf jeden Fall. Ist es schwierig, mit ihm zu arbeiten?“, fragte Bettina.
„Mit wem? Mit Terry?“
„Ja.“
Terry Bosworth war der Produzent und das Genie hinter dieser und auch zwei anderen britischen Serien, die weltweit großen Anklang gefunden hatten. Er war als etwas despotisch verschrien, aber der Erfolg gab ihm recht. Nicht jeder konnte oder wollte mit ihm arbeiten und es flogen oft die Fetzen zwischen ihm, den Fernsehsendern und den Schauspielern oder anderen Beteiligten, aber in der Regel, so reimte Bettina sich das aus den Internetmeldungen zusammen, blieb er seinen Prinzipien treu und war fair zu den Beteiligten. Aber er diskutierte seine Meinung auch aus, wobei eher die Gegenseite den Kürzeren zog.
„Hm.“ Sam dachte nach und schaute nach schräg oben. „Nein. Er weiß, was er will und wie er es will und er ist richtig gut in dem, was er tut. Ich habe keine Probleme mit ihm. Ich mag ihn, wir kommen auch privat gut miteinander aus. Er ist der Chef, es ist seine Serie. Man macht, was er sagt. Aber wenn man mal ein Problem hat oder etwas anders sieht, hört er sich das an und entscheidet dann. Seine Entscheidungen muss ich als Schauspieler akzeptieren.“
Ein anderer Klingelton als vorhin ertönte und Sams Handy fing an zu leuchten. Er schaute auf das Display. „Wenn man vom Teufel spricht.“
Die nächsten Minuten hatte Bettina das Vergnügen, dem Gespräch zwischen Terry und Sam zuzuhören und ihn dabei zu beobachten. Sie mochte ihn. Verliebt klang so teeniemäßig, und aus diesem Alter war sie mit vierunddreißig definitiv raus. Wahrscheinlich war es einfach die Gesamtsituation, die ihr Gefühle vorgaukelte, wo rein faktisch gar keine sein konnten. Ja, sie war verschossen in ihn, aber das schrieb sie dem ganzen Stress zu, den sie in den letzten Monaten gehabt hatte. Er war ihr Ruhepol gewesen, ein normaler, netter Typ und als Joe einfach herrlich unkonventionell. Sam entsprach so gar nicht ihrem Typ Mann. All ihre Ex-Freunde bisher waren größer gewesen als sie, dunkelhaarig, sportlich, schlank bis dünn und gutaussehend. Sam war knapp über einssiebzig, kompakt, muskulös, aber nicht wirklich der Inbegriff eines Athleten. Und hatte hellbraune Haare. Mit seinen zweiundvierzig Jahren war er zwar natürlich noch nicht alt, aber eben doch ein Stück älter als sie. Und gutaussehend, nun ja, darüber konnte man streiten. Sie mochte ihn. Er hatte einen sinnlichen Mund und wunderschöne, ausdrucksvolle Augen. Er hatte auch schöne Hände, wie sie gerade mal wieder feststellte.
Er sah zu ihr herüber und lächelte. Zwar nur mit einem Mundwinkel, aber es erreichte auch seine Augen. Kurzum, er war ein ganz normaler Kerl, bodenständig, witzig und ja, verdammt noch mal, sie mochte ihn. Ihr wurde erneut viel zu warm und es zog ihr durch den Bauch. Ihre Hand, die sie um ihre mittlerweile leere Tasse gelegt hatte, zitterte leicht. Bettina starrte entsetzt darauf, und verfiel fast in Panik, als sich Sams Hand auf ihre legte. Das Zittern hörte augenblicklich auf. Er beendete sein Gespräch. „Ist dir kalt?“
„Ich weiß nicht.“
Er lächelte mitfühlend und zog seine Hand zurück. „Das war Terry. Ich muss jetzt leider weg. Wir haben morgen einen Außendreh eine Stunde entfernt von hier. Terry schickt mir das Skript rüber und damit werde ich wohl den Abend verbringen. Ah, Moment noch.“ Er tippte etwas in sein Handy und deutete der Kellnerin an, dass er zahlen wollte. „Lass stecken“, sagte er, als Bettina ihre Geldbörse herausholte. „Geht auf mich.“
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