Gabriele Engelbert - Magdalenas Mosaik

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Sie war energisch, selbstbewusst, kritisch, liebte Menschen um sich und mied gängige Klischees. wer war jene Frau, die ihre Nase gern über den ostpreußischen Horizont reckte, zwei Weltkriege hautnah miterlebte und in England, Flandern, Jena, Ostpreußen und Hamburg unzeitgemäße, außergewöhnliche Wege ging? Anhand von Briefen, Dokumenten und erzählten Episoden gelingt der Autorin eine Annäherung an jene Magdalena. Gleichzeitig wird die Historie aktuell, individuell und lebendig.

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Gabriele Engelbert

Magdalenas Mosaik

ein Frauenleben zwischen Eigensinn und Anpassung

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Inhaltsverzeichnis Titel Gabriele Engelbert Magdalenas Mosaik ein Frauenleben - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Gabriele Engelbert Magdalenas Mosaik ein Frauenleben zwischen Eigensinn und Anpassung Dieses ebook wurde erstellt bei

Magdalenas Mosaik Magdalenas Mosaik

Prolog

Der Schreibtisch

Kein wüstes Leben

Haltepunkte

Das Familien-Nest

Kinder und Kindereien

Freiheiten

Wer ist Magdalena?

Aufbruch im Sturmschritt

Der Porzellanhund

Umwege zum Ausprobieren - London

Lernen, leben und was dazwischenkommt

Kriegsdienst

Verwundete, Tote und Herzklopfen

Die Hölle von Hamburg

Bangen und Hoffen

Lebensnotwendiges

Wiedersehen im Familienkreis

Endlich Schluss?

Die Familie im Norden

Alte und neue Freiheiten

Endlich angekommen

Familienmittelpunkte

Die Vielfalt von Glück

Wie die Zukunft beginnt

Aus dem Gleichgewicht

Familienfeste

Wie begegnet man dem Schicksal?

Trauer

Plötzlich

Epilog

Impressum neobooks

Magdalenas Mosaik

Prolog

Wer bist du?

eine Brille auf dem Schreibtisch vor der Kant-Büste,

aufgeschlagene, bebilderte Seiten eines Merianheftes: Stadtanlagen Ostpreußens,

Reihen altersduftender Bücher im schwarzen Holzregal hinter der Chaiselongue,

das dicke, hochlehnige Kanapee hinter dem runden Esstisch,

das imposante Ölportrait eines energischen Herrn: der Urgroßvater,

Brennschere und Kerzenhalter aus Messing auf dem schmalen Bord über der Heizung,

die weißbraunen Schachbrett-Karos des niedrigen Spieltisches zwischen zwei Sesseln,

tief unten vor dem Fenster draußen der quirlige Verkehr auf der Breitenfelder Straße

und Baumwipfel vor dem Universitätskrankenhaus Eppendorf,

eine kuschelige Pelzweste aus Kaninchenfell,

faltige Hände, behutsame Finger auf den Bilderbuchseiten,

Linien, Furchen, Kerben erlebter Begebenheiten auf der Stirn,

gegerbter Humor in den Augenwinkeln, fragend,

ein strenger Mund vor versiegelten Erinnerungen,

dein Gesicht voller Antworten, deren Fragen ich noch nicht kenne,

dein Blick nach innen, - weit weg – zurück? Wohin?

Wer bist du?

Spärliche, fast verlorengegangene Mosaiksteinchen aus blassen Erinnerungsbruchstücken, die kaum ein Ganzes ergeben können. Kein greifbares Bild, kein farbiger Inhalt, nur Fragen. Wo gibt es Anfänge? Wie sehen sie aus? Führen sie zu einem Mittelpunkt? Welche Farben, Formen und Dimensionen hat dieses Bild? Wie viele Teilchen gibt es? Wie lässt sich dieses verblasste Durcheinander entwirren?

Da sitzt eine frühe Erinnerung mit der Großmutter auf der moosgrünen Chaiselongue, -dahinter die nach altem Leder duftenden, gedämpft farbigen Bücherreihen in dem hohen schwarzen Holzregal. Ein kleines Mädchen neben Großmutter auf jenem Sofamöbel und fragende Blicke zu dem alten Gesicht hinauf: wer bist du eigentlich?

Und die Großmutter, mit einem Lächeln nach unten auf das kleine Gesicht herunter: Und du? Wer wirst du eines Tages werden?

„Als ich so klein war wie du…, früher mal…“, so mag es angefangen haben mit uns beiden.

Angefangen mit liebevoll wissendem Lächeln in meine ungläubigen Blicke hinein, denn wie hätte ich mir diese Großmutter kinderklein vorstellen können? Niemals. Oder vielleicht doch? Ihr Lächeln wie aus anderen, unbekannten Zeiten – zu mir, in meine kleine, blaue Kinder-Neugier hinein. Und dann, zögernd, mochte sie angefangen haben zu erzählen.

Früher mal auf der Chaiselongue, das war damals, als wir uns zuerst richtig trafen, etwa 1952, als ich fast drei Jahre alt war.

Ganz früher mal, im April 1892, wurde die Großmutter selbst drei Jahre alt wurde, also lange vor meiner eigenen Zeit, als ich sie kennenlernte. Lange bevor die Großmutter zur Gromo wurde. Lange bevor Großmutter Lene selbst nach und nach entdeckte, wer sie eigentlich war oder werden sollte.

Der Schreibtisch

Früher mal, eines Tages, schaffte Lenchen es, über die Schreibtischkante zu gucken. Auf die Zehen hoch gereckt und sich mit den Fingern anklammernd, erfüllte sie sich endlich diesen dringenden Wunsch. Tüchtige kleine Finger. Und Neugier. Na bitte, dieser Blick über die Kante war es, was sie unbedingt wollte. Sie sah Bücher, aufgeschlagene schwarze Hefte, Zettel, routinierte, krakelige Schriftzeichen, eine Schreibfeder, rote Tinte, alles von schräg unten her erspäht. Papas Geheimnisse.

Das fiel ihr jetzt, viel später, zuerst ein. Vaters Schreibtisch.

Der und Vater gehörten zusammen. Der Schreibtisch allein, ohne Vater, war ein hilfloser Anblick, war wie ein Hilfeschrei aus dem Alleinsein. Vater ohne Schreibtisch, naja, das ging noch an, aber wenn er etwa zur Schule hinüber ging oder zu Hause am Mittagstisch saß, wenn er nicht am Schreibtisch saß, dann schien er seinen Schreibtisch doch gewissermaßen im Kopf irgendwie oft mit sich herumzuschleppen. Seltsam war das.

Immer wieder überlegte sie, was es mit diesem Möbelstück wohl auf sich hatte? Manchmal, als sie noch keineswegs über die Schreibtischkante gucken konnte, hatte Vater sie auf seine Knie genommen, wenn er am Schreibtisch saß. „Na, Marjellchen? Kommst mal deinen Papa besuchen?“ Er wies auf das windbewegte Grün der Kastanie vor dem Fenster, auf die sonnenhellen Dächer der Häuser gegenüber. „Siehst du, wie schön ich’s hier habe?“ Der Federhalter lag auf einem aufgeschlagenen Schulheft, rote Tinte über schwarzem Gekritzel. Warum sollte sie aus dem Fenster gucken?

„Geh mal schön spielen, Lenchen“, sagte er, „Ich komm‘ nachher runter zu euch.“ Seine Finger strichen durch ihr dunkles Kraushaar. Gehorsam rutschte sie von seinen Knien.

Als sie dann eines Tages endlich selbst dem Schreibtisch über seine Kante gucken konnte, sah sie wieder nichts als diese Zettel, Federhalter, Schulhefte und Bücher.

Bücher also. Seinen Schreibtisch, seine Bücher und sein Schreibzeug, das war es, was Papa anscheinend nicht nur da liegen hatte, sondern was auch irgendwie wichtig und in seinem Kopf war. Was man nicht gleich sehen konnte wie etwa seine Nase, seine Stirn mit den energischen Falten oder seinen Kragenknopf. Vater am Schreibtisch, da durfte man ihn sehen und besuchen, immer war er liebevoll, aber streng, und man durfte ihn nicht lange stören. Da war er in einer anderen Welt, die in ihm drin war. Von Papas innerer Welt hatte sie keine Ahnung. Aber das störte sie eigentlich nicht. Noch nicht. Gehorsam schloss sie die Tür hinter dem Vater und seiner Schreibtisch-Welt, hangelte sich die Treppe hinunter und lief ins Kinderzimmer zu ihrem Schaukelpferd.

Und Mama? Hatte die auch so eine Innenwelt? Der Gedanke ließ die kleine Lene nicht so schnell los, war wie ein Spiel, wie Rätselraten. Bei ihrer Mutter, nein, da war erstmal alles sichtbar. Ihre schnellen Bewegungen, quirlig routiniert zwischen Essensdüften, Kochtöpfen, Messern, Gemüse, Kartoffeln, Mehl, Teigklumpen, zwischen Hitze, Dampf und schnippelndem, rührendem, knetendem, reibendem, mantschendem Wohlbehagen. Das waren Künste, die jeder sehen und anfassen konnte. Und die Lenchen wahrscheinlich später würde lernen müssen? Künste, die sie mit Bewunderung erfüllten. Oder Mutter abends am Nähtisch in ihrem Sessel mit Nadel und Faden, ihr geneigter Kopf über einem der Löcherstrümpfe, während der Vater, ihr gegenüber, aus der Zeitung vorlas, was ihm lesenswert schien. Oder, - und das war das Kostbarste -, Mutter am Flügel mit flinken Fingern über die Tasten flitzend. Dann legte Vater die Zeitung beiseite und lehnte sich zurück. Ein Lächeln, wie tief aus seinem Inneren auftauchend, huschte über sein Gesicht. Und die Geschwister drüben am langen Esstisch sahen von den Schularbeiten auf, ihre Gespräche verstummten oder wurden mit Vaters energischem „Pssst“ heruntergedimmt.

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