In der Nordwand der Westlichen Zinne.
Engelbert Guggenberger
In der
Vertikale
Was mich zwischen
Himmel und Erde hält
Bergmesse auf dem Polinik in den Karnischen Alpen.
Cover
Titel In der Nordwand der Westlichen Zinne.
Einleitung
1. Alles beginnt mit der Sehnsucht
2. Wohin denn gehen wir
3. Werde, der du bist
4. Das Glück begünstigt den wohlvorbereiteten Geist
5. Wolle die Wandlung
6. Erdverbunden – himmelwärts
7. Drei Blicke tu’ zu deinem Glück
8. Ohne Spannung keine Lebensfreude
9. Warten oder Wagen
10. Nur mit dem Herzen sieht man gut
11. Hoffnung und Angst können das Wetter nicht ändern
12. Gib deinem Leben einen Traum
13. Erfolg ist keiner der Namen Gottes
14. Was du ererbt von deinen Vätern
Glossar
Verwendete Literatur
Impressum
Fußnoten
Bücher entstehen manchmal durch Zufall, oft gibt es aber auch einen konkreten Anlass. Habe ich mein erstes Buch1 über das Lesachtal, das Tal meiner Herkunft, eher zufällig geschrieben, so verdankt sich mein zweites einem besonderen Ereignis. Am 23. Juli 2015 erlitt ich am Heiligkreuzkofel in den Dolomiten einen schweren Kletterunfall, bei dem ich mir einen Trümmerbruch im rechten Unterschenkel zuzog. Mehr als ein Jahr dauerte die Zeit der Rekonvaleszenz, die Gott sei Dank mit einer Heilung abgeschlossen werden konnte. In den langen Monaten der Verunsicherung und des Zuwartens wandte sich mein Blick nach innen und auf dem Grund meiner Seele begannen sich Fragen rund um das Klettern zu formulieren. War der Stellenwert angemessen, den das alpine Klettern in meinem Leben einnahm? Bleibt es bei dieser Bewertung oder hat sich durch meinen Unfall daran etwas geändert? Muss ich meine Einstellung zum Alpinismus und zu seiner Bedeutung für mein Leben revidieren? Bedeutet das Klettern für mich vor allem Bewegung und Abenteuer oder vollzieht sich darin etwas, das über den Sport hinausgeht?
Je eindringlicher ich diesen Fragen nachging, desto mehr spürte ich, dass mir das alpine Klettern etwas vermittelt, was ich mir auf keine andere Weise im Leben aneignen könnte. Mit der Zeit wuchs auch die Überzeugung, diesen Mehrwert des Kletterns benennen und beschreiben zu können. Als mir dann auch noch von meiner Mitwelt signalisiert wurde, dass die Darstellung dieses Hintergrundes von allgemeinem Interesse wäre, fand ich die nötige Motivation, um meine Überlegungen niederzuschreiben und damit für andere zugänglich zu machen. Doch wo sollte ich bei diesem weitläufigen Thema beginnen? Mir war bald klar, dass ich eine möglichst natürliche Verbindung finden musste zwischen dem, was sich im Kopf, in der Psyche und in der Seele des Menschen, der klettert, abspielt, und dem Geschehen in der Wand. Die Brücke fand ich in Einstellungen und Haltungen, die sowohl beim Klettern wie auch im Alltag und nicht zuletzt im Glauben eine Rolle spielen und die uns bei der Lebensbewältigung helfen. Um sie aber zu konkretisieren und zu zeigen, wo wir sie brauchen und wie sich ihr Vorhandensein förderlich auf unser Dasein auswirkt, verband ich die Schilderung dieser Einstellungen und Haltungen mit Berichten von extremen klassischen Klettertouren in den Dolomiten, den Karnischen oder den Julischen Alpen, die ich in den letzten Jahren und Jahrzehnten unternommen hatte.
Auf diese Weise ist das vorliegende Buch entstanden. Es schildert meine Erfahrungen in sehr persönlicher Sicht, die Gedanken, die mir durch den Kopf gehen, wenn ich mich mit der Vertikalen in ihren verschiedenen Dimensionen auseinandersetze. Die damit verbundene Subjektivität schränkt das gedankliche Spektrum zwar ein, hat aber auch ihre Vorteile: Der Leser gewinnt auf diese Weise Anteil am Auf und Ab meiner Gefühle, erfährt von meinen Freuden und Ängsten, meinen Hoffnungen und Enttäuschungen, aber auch von jenen wertvollen Menschen, die mich auf meinen schwierigen Wegen begleitet haben: meinen Kletterpartnerinnen und -partnern, ohne die ich diese Abenteuer nicht hätte bestehen können.
Unterstützt werden die Gedanken und Berichte durch Fotos, die wir unterwegs gemacht haben. Angefertigt wurden sie alle mit einem Handy oder einer kleinen Kamera, die wir in der Wand mitführten. Nicht alle Touren sind optisch gleichermaßen dokumentiert. War das Wetter schlecht, hatten wir Eile oder fehlte uns die nötige Motivation, so unterblieb das Fotografieren. In diesem Fall werden stellvertretend Bilder aus anderen Touren herangezogen. Um auch den mit der alpinen Fachsprache nicht Vertrauten das Lesevergnügen zu erhalten, findet sich am Ende des Buches ein Glossar, in dem die klettertechnischen Fachausdrücke erläutert werden. So wünsche ich viel Freude an der Lektüre!
Mein Neffe Marian führt die Klettertradition unserer Familie fort.
1
Alles beginnt mit
der Sehnsucht
AMPEZZANER DOLOMITEN
TOFANA DI ROZES | IL PILASTRO
Via Costantini-Apollonio
VI A0 (VII+)| 530 m
Warum steigen Menschen auf die Berge? Schon oft wurde versucht diese Frage zu beantworten. Dieses und jenes wurden als Begründung angeführt. Die wahrscheinlich zutreffendste Antwort lautet: Weil sie da sind! Die Berge sind vorhanden und üben eine Faszination auf den Menschen aus. Dabei sind sie nicht das Einzige, was uns in unserer Welt den Atem raubt. Auch das Meer beispielsweise stellt ein Faszinosum dar. Als ich an einem Herbsttag als junger römischer Student zum ersten Mal in Ostia am Ufer des Tyrrhenischen Meeres stand, war ich sprachlos angesichts der Weite des Horizonts und der Urgewalt der donnernden Wasser.
Ähnlich ergeht es mir auch im Gebirge. Im Angesicht eines Berges bin ich oft zutiefst beeindruckt von der Masse an Fels, die sich vor mir versammelt, einem Bollwerk an Beständigkeit gleich. Mich fasziniert, wie sich die Blöcke gegen den Himmel türmen, als wären sie von unsichtbarer Riesenhand aufeinandergeschlichtet worden. Es raubt mir den Atem, wenn ich eine Felsnadel wie den Campanile Basso in der Brenta sehe, bei dem die Wände zu allen Seiten senkrecht ins Kar hinunterfallen. Dann genieße ich es, meinen Blick vom Wandfuß zum Gipfel wandern zu lassen, wo die Spitze eine solchen Turmes förmlich das Firmament berührt. Erstmals auf Berge gestiegen bin ich tatsächlich einfach, weil sie da waren. Als Sohn des Hüttenwirtes vom Hochweißsteinhaus , einer Schutzhütte des Österreichischen Alpenvereins in den Karnischen Alpen, waren die Torkar- und Weißsteinspitzen und der Monte Peralba meine ersten unmittelbaren Nachbarn und mein nächstes landschaftliches Gegenüber. Schon als Kind war ich ihrer Faszination erlegen. Meine Eltern erzählten mir, dass ich im Alter von drei Jahren eines Tages morgens beim ersten Blick aus dem Fenster in unserem Haus in St. Lorenzen im Lesachtal, wo wir im Winter wohnten, voller Begeisterung ausrief: Inso Peralba! ( Unser Peralba! ). Die weiße Pracht unseres Hausberges hatte mich also auch im Tal noch in ihren Bann gezogen. Und so ließ ich nicht locker, bis meine Eltern sich bereit erklärten, mich einmal auf den Monte Peralba mitzunehmen. Eines schönen Julitages weckte mich mein Vater bereits um vier Uhr früh. Eine Stunde später brachen wir auf. Wie meine Eltern mir später erzählten, hätte ich den ganzen Aufstieg eigenständig bewältigt. So stand ich bereits als Dreijähriger erstmals auf dem Gipfel eines hohen Berges: meine erste alpine Tour. In der Nomenklatur modernen Kletterlateins würde die Bewertung lauten: Eins plus, free solo.
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