„Ach Henry, das meinst du doch jetzt nicht im Ernst? Es ist zwar ein Baby, aber es hat trotzdem Bedürfnisse. Da gibt es eine Menge zu bedenken. Angefangen mit den richtigen Windeln, einem Schlaf - oder Pucksack, bis hin zu einem Mobile und der richtigen Wandfarbe.“
„Wandfarbe?“, gibt Henry ziemlich erstaunt zurück und schaut mich nun ziemlich mürrisch an.
Männer! Muss man ihnen alles einzeln erklären? Ich stelle mir grade in Gedanken vor, wie Henry das Thema Babyvorbereitung angehen würde. Das Baby würde vermutlich 3 Tage hintereinander im gleichen Strampler verbringen, weil die anderen beiden - Baby, braucht ja nicht viel -, viel zu groß und oder zu warm für die Jahreszeit wären.
Ich sehe unser „Böhnchen“ des Nächtens völlig erledigt in einem zu großen Bett - dann spart man sich eins-, ohne Schnuller - besser gar nicht erst angewöhnen -, auf ein hässliches, leuchtendes Mobile starren - war im Angebot. Statt sanfter Babymusik und zartem Sternenhimmel, wirft es grelle Enten an die Wand, dreht sich und es ertönt blechern „Schlaf Kindlein schlaf“. Ok, das gilt es auf alle Fälle zu verhindern!
„Hör mal Henry, Schatz“, flöte ich, „wie wäre es, wenn ich mich um alles wichtige kümmere und wenn größere Entscheidungen zu treffen sind, wie der Kinderwagen, dann gehst du mit?“
Henry nickt eifrig „das klingt super! Aber denk dran es ist ein Baby und braucht nicht viel!“, ermahnt er mich.
„Schon klar“, ich bemühe mich um einen ernsthaften Gesichtsausdruck, während ich im Handy in die Suchmaschine eingebe „Baby Sternenprojektor, sanfte Musik“.
Wow, da gibt es ja jede Menge Auswahl! Ich finde ganz sicher ein passendes…
Am nächsten Morgen frühstücken wir ganz entspannt. Es ist Wochenende, da lassen wir uns Zeit und schlemmen ausgiebig. Croissants, Lachs (für mich jetzt nicht), frisches Obst und Eier. Henry fährt nachher seinen Kumpel Steffen besuchen. Seine Freundin hat sich kürzlich getrennt und er braucht dringend seelische Unterstützung. Da habe ich schon Zeit mich um die Baby Checkliste zu kümmern. Kinderwagen und Kinderzimmer haben teilweise 4-monatige Lieferzeiten, wie ich mit Erschrecken feststellen musste. Das wäre im Juni. Allerhöchste Eisenbahn also!
Nach einer Stunde am Laptop raucht mir der Kopf. Ich glaube mir ist auch schwindelig. Schöne, virtuelle Welt, ha ha. So viele Infos und jeder schreibt was anderes. Das geht schon beim Thema Windeln los. Man sollte doch meinen, das ist das einfachste am Baby. Windeln kaufen! Weit gefehlt, denn man hat die Qual der Wahl. Doppelt saugfähiger Kern, Wabenstruktur, super soft oder doch lieber mit angerauter Oberfläche. Bio, Windelabo, Großpackungen….Hilfe!!!! So komme ich nicht weiter, ich brauch irgendeinen Plan. Ich muss eine Liste erstellen mit den Vor- und Nachteilen. Hätte mir das jemand vor der Schwangerschaft gesagt, dass ich ernsthaft eine Liste anlegen muss, um die passende Windelsorte zu finden, ich hätte herzhaft gelacht.
„Uff!“. Stöhnend reibe ich mir den Rücken, als ich mich nach 2 Stunden durch das Thema Windeln geforstet habe. Da weiß ich jetzt immerhin Bescheid. Genauestens.
In dem Moment klingelt das Telefon, meine Freundin Luise ist dran. Das trifft sich super. Luise hat nämlich schon 2 Kinder. Ben ist 5 und Lea 2. Wir kennen sie und ihren Mann Rolf aus dem Tennisclub. Ja, Sie wissen schon, dem ich beigetreten bin, weil „mer“- schwäbisch für man- das halt so macht.
Wir plaudern ein bisschen über dies und das. Luise ist sehr nett und aufgeschlossen. Leider aber auch sehr anstrengend. Weil sie gefühlt perfekt ist, und man sich in ihrer Gegenwart unzulänglich fühlt. Sie ist vermutlich das, was man pädagogisch besonders wertvoll nennt. Sie gibt alles für ihre Kinder! Bio kochen, Brot backen, Nudeln selbst machen, Biokleidung, Waldorfkindergarten, Holzspielzeug, selbst –
gebackene Dattel-Dinkelkekse, Bastelprojekte mit gesammelten Naturmaterialien, DIY-Knete, gefilzte Handarbeiten, selbstgemachtes Waschmittel…Sie finden auch, dass das schon alleine beim Lesen nach sehr!!!!viel Arbeit klingt? Der Meinung bin ich auch.
Ich erzähle ihr ganz stolz, dass ich mich anfange um die Anschaffungen zu kümmern. Henry und ich hatten ihr einige Tage vorher beim gemeinsamen Grillabend erzählt, dass unser Böhnchen auf dem Weg ist.
„Ich bin jetzt informiert was das Windel - Thema anbelangt“, verkünde ich stolz und plappere munter weiter, welche Sorte grade gut genug für uns ist.
„Oh, oh Josi, ich will dich ja nicht kritisieren, aber DIESE Windelmarke (sie betont jedes Wort in staccato), ist ganz sicher nichts! Du willst deinem Baby doch nicht schon in den ersten Wochen, die volle Chemiebombe in seinen kleinen Körper pumpen?“
Eine rein rhetorische Frage ihrerseits, wie ich merke. „Wenn du die richtige Entscheidung treffen willst, dann nimmst du keine Wegwerf-Windeln sondern Stoffwindeln. Du musst ja auch an unseren Planeten denken! Es dauert Ewigkeiten, bis eine Einmalwindel verrottet ist.“
„Oh“, stammele ich, „da hast du natürlich recht, das geht dann nicht.“ Bumms! Da ist es wieder. Ich komme mir blöd und völlig unfähig vor. Da hätte ich doch selbst draufkommen müssen! Wie soll ich bloß ein Baby versorgen, wenn ich es nicht einmal schaffe die richtigen Windeln auszusuchen?
Als Henry kurz darauf nach Hause kommt, findet er mich in entsprechend düsterer Stimmung vor.
„Ich werde eine völlig unfähige Mutter sein!“, jammere ich. „Das Baby wird die falschen Windeln haben, die falsche Kleidergröße, und selbst wenn ich es schaffe, das richtig zu besorgen, wird es vielleicht zu viel Schadstoffe enthalten. Ich schaff das nicht!“.
„Mausi - so nennt mich Henry nur wenn wirklich eine schwierige Gefühlslage meinerseits vorliegt, und er quasi im Gespräch mit mir, auf rohen Eiern balancierend, versucht die richtigen Worte zu finden - was um alles in der Welt ist passiert? Du wirst eine wunderbare Mutter sein! Klug und lieb und lustig. Wie kommst du denn auf sowas?“. Er schaut mich sehr besorgt an.
„Ha!“ triumphierend springe ich auf und laufe in der Küche auf und ab. Da sie nicht groß ist, muss ich immer nach anderthalb Metern umdrehen.
„Denkst du wirklich das genügt, um eine gute Mutter zu sein? Henry, du bist naiv!“, jetzt schreie ich fast.
„Du musst tausend Dinge bedenken. Du musst Bio kochen, du musst sinnvolle Beschäftigungen einführen, du musst Tannenzapfen sammeln und kleine Männchen filzen!“. Ich befürchte ich klinge völlig hysterisch, aber ich kann nicht anders.
„Kleine Männchen filzen?“ Henrys Mundwinkel zucken verdächtig.
„Oooohhhhh nein! Das hier ist kein Spiel, mein Lieber. Das ist der neue Ernst des Lebens. Die Realität! Ich möchte nicht zur schlechtesten Mutter im Dorf gewählt werden“, fauch ich empört.
Henry kommt auf mich zu, zieht mich an sich und murmelt in meine Haare, „Schatz, kann es sein, dass Luise angerufen hat?“
Sprachlos nickend schaue ich ihn an.
„Woher weißt du…?“
„Ich weiß es nicht, aber ich hab’s vermutet. Wer sonst außer ihr sollte das auslösen? Bitte vergiss es einfach! Wir müssen die Dinge so angehen, wie wir es für richtig halten. Nicht wie irgendjemand es für richtig hält. Versprich mir, dass du das nicht mehr an dich ranlässt“. Er schaut mich mit seinen braunen Augen so lieb an, dass ich mich entspanne und seufzend bejahe.
Am nächsten Morgen bei der Arbeit, unterbreche ich meinen Bericht über ein Oldtimer Treffen in Stuttgart, als meine Kollegin Susi etwas verspätet ins Büro kommt. Sie schält sich aus ihrem dicken schwarzen Wintermantel. Der Februar hat Vollgas gegeben und es ist wirklich eisig draußen. Susi reibt sich die kalten Hände und kommt an meinen Schreibtisch.
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