„Bist du auch so aufgeregt Schatz?“, will ich von Henry wissen, als wir am Frühstück sitzen. Er hat sich den Vormittag frei genommen. Heute ist der große Tag! Wir haben den ersten Frauenarzttermin. Die Zeit bis heute erschien mir unendlich. Ich bin gleich einfach froh, wenn uns der Arzt mitteilt, dass es unserem „Böhnchen“ hoffentlich einfach gut geht.
„Es geht. Das kommt bestimmt noch. Möchtest du Kaffee?“ „Nee. Lass mal. Ich mach mir lieber einen Fencheltee.“
„Fencheltee, Josi? Dein Ernst?“, er verzieht angewidert das Gesicht mit einem Grinsen. „Warum das denn?“
„Weil man laut diversen Ratgebern lieber keinen Kaffee trinken sollte in der Schwangerschaft“, verkünde ich mit gewichtiger Miene. Also mal ehrlich, man sollte doch meinen, dass er sich als werdender Vater ein bisschen mehr Wissen aneignet.
„So, so sagen das die diversen Ratgeber?“, gibt er zurück und schaut mich unschuldig aus seinen braunen Augen an. „Möchtest du dazu nicht vielleicht lieber Doktor Strick nachher fragen? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen wie ausgerechnet du die acht Monate bis zur Geburt ohne Kaffee überstehen willst.“
„Du kannst dir deinen ironischen Ton sparen“, gebe ich unwirsch zur Antwort.
Seine Anmerkung ist allerdings nicht von der Hand zu weisen. Ich liebe Kaffee. Und trinke daher gerne mal mehrere Tassen am Tag. Mehr als Kaffee liebe ich nur Schokolade, um mal bei den Genussmitteln zu bleiben.
Eine Stunde später sitzen wir aufgeregt wie Kinder im Wartezimmer von Dr. Strick. Als ich aufgerufen werde ins Labor, wird Blutdruck gemessen und ich werde gewogen. Ähh? Wie jetzt? Würde ich am liebsten rufen, ich bin hier, weil ich schwanger bin, nicht weil ich Probleme mit meinem Gewicht habe! Die Assistentin notiert mein Gewicht mit undurchdringlicher Miene und schickt mich anschließend, mit Henry zusammen, zu Dr. Strick ins Behandlungszimmer. Er begrüßt uns hinter seinem großen Eichenschreibtisch mit einem freundlichen Lächeln. Ich bin schon seit meinem sechszehnten Lebensjahr bei ihm in Behandlung und schätze ihn sehr. Er ist ein aufmerksamer, graumelierter älterer Herr, der sich immer viel Zeit nimmt für seine Patienten.
„Frau Meile, meine Assistentin hat mir schon Bescheid gegeben, dass sie heute hier sind, um ihre Schwangerschaft zu bestätigen. Haben Sie vorab eventuelle Fragen?“.
„Ja“, sprudle ich los, „vorausgesetzt mit dem Baby ist alles in Ordnung, wie ist das mit dem Kaffee?“
Dr. Strick schaut mich an und muss herzhaft lachen. „Sie überraschen mich Frau Meile, normalerweise gilt die erste Frage eher dem Koitus denn dem Kaffee, aber auch das beantworte ich natürlich gerne“, zwinkert er mir verschwörerisch zu. „Sie dürfen gerne eine Tasse am Tag zu sich nehmen, das ist kein Problem. Das andere, nur falls die Frage auftauchen sollte, ist bei einer intakten Schwangerschaft ebenfalls erlaubt“. Ich versuche huldvoll zu nicken, obwohl ich feuerrot bin und meine Wangen brennen. Wie peinlich!
Wenige Minuten später starren wir gebannt auf den Ultraschallbildschirm. Dr. Strick ist hochkonzentriert. „Das schaut alles gut aus“, verkündet er nach einer Weile. „Es ist alles zeitgerecht entwickelt. Laut Berechnung ist der errechnete Geburtstermin der 31.08. Aber vierzehn Tage davor und vierzehn Tage danach, da ist alles drin“.
Erleichtert seufzen Henry und ich auf. Er erkundigt sich noch bei Dr. Strick wann das Geschlecht ungefähr zu erkennen sein wird, dann verabschieden wir uns mit dem ersten Ultraschallbild unserer kleinen Bohne.
Erleichtert gehen wir Hand in Hand Richtung Parkhaus. Auf einmal sieht Henry wie erstarrt in eine Richtung und bleibt stehen.
„Was ist denn?“ Ich will ihn weiterziehen. Er scheint sich erst bei meiner Berührung zu erinnern, dass ich neben ihm stehe.
Er schüttelt den Kopf, „alles gut, ich dachte nur eben ich hätte da jemanden gesehen…eine Kollegin“. Er murmelt so leise, dass ich ihn fast nicht verstehe.
„Ich habe mich wohl getäuscht.“ Er fährt sich mit der Hand über das Gesicht und schiebt mich Richtung Parkhauseingang.
Merkwürdig. Ich muss ihn bei Gelegenheit noch mal drauf ansprechen, er sah wirklich aus als hätte er einen Geist gesehen.
Henry wechselt schnell das Thema, bevor ich näher nachfragen kann „wir haben ja vorab darüber gesprochen, dass wir unsere Eltern gleich einweihen. Bleiben wir dabei?“
„Ja, klar“, versichere ich. Ok, ja, ich habe Nic bereits eingeweiht, aber er hat es so oder so geahnt. Zudem ist er mehr Familie als „nur“ ein Freund. Die restlichen Freunde und Bekannten erfahren es auf jeden Fall erst nach den kritischen zwölf Wochen.
Am folgenden Sonntag sind wir zuerst zum Mittagessen bei meinen Eltern eingeladen. Meine Mum, Paula, eine begnadete Köchin, hat ganz regional typisch, Roschdbraden und Schbätzle mit Sooß gezaubert (Rostbraten, Spätzle und Soße). Es schmeckt wie immer himmlisch. Da werden bei mir Kindheitserinnerungen wach, an gemütliche Sonntage mit der Familie. Und einmal mehr wird mir innerlich ganz warm, das werden wir auch bald haben. Eine eigene kleine Familie!
Als wir meinen Eltern nach dem Essen das Ultraschallbild zeigen, fängt meine Mum vor Freude an zu weinen. Mein Dad Matthias, ein graumelierter Herr mit liebenswerten Lachgrübchen, einem Bart und Brille freut sich auch sehr, aber er ist kein Mann der großen Emotionen. Er ist Rechtsanwalt und somit eher bei der Fraktion Zahlen, Daten, Fakten, zuhause. Das macht meine Mum aber wett. Sie hat schon lange von „Enkele“ geträumt, wie sie sagt, und überlegt sofort, welches Zimmer meines großzügigen Elternhauses als Babyzimmer fungieren kann. Und wo im Garten Platz für Sandkasten und Schaukel ist. Nachdem meine Schwester Susanne und ich nicht mehr zuhause leben, hat sie viel ehrenamtlich für die Gemeinde gearbeitet und in der Kreisstadt unter anderem bei der Tafel ausgeholfen. Daher hätte sie jetzt viel Zeit und Liebe für die Enkelchen übrig. Da meine Schwester, ohne Mann und eher der Typ „freier Vogel“ ist, kann meine Mum in der Hinsicht von ihr nichts erwarten. Ich will ihre Euphorie nicht dämpfen, aber erlaube mir doch zu sagen, dass die kritischen 12 Wochen noch nicht ganz um sind und man ja nichts überstürzen braucht. Ich schaue hilfesuchend zu Henry. Das geht mir alles zu schnell! Der hat allerdings, anstatt mich zu unterstützen, schon einen Meterstab aus seiner hinteren Hosentasche gezaubert - warum um alles in der Welt hat er den zum Sonntagsessen bei den Schwiegereltern dabei? - und folgt meiner Mum freudestrahlend, als er das Wort „Umbau“ hört. Er ist in seinem Element. Mein Dad und ich sitzen eine Weile stumm am großen Eichenholzesstisch zusammen.
„Ich freu mich sehr für dich Josi. Henry und jetzt noch ein gemeinsames Baby. Mein Mädchen wird erwachsen“. Er sieht mich an und lächelt wehmütig.
„Ach Papa, ich bin schon lange erwachsen das weißt du doch. Und du wirst ein toller Opa sein“. Ich nehme in fest in den Arm.
Als wir uns einige Zeit später verabschieden und in Richtung meiner Schwiegereltern fahren, sie leben zwei Ortschaften weiter, habe ich ein flaues Gefühl im Bauch. Nicht, dass ich sie nicht mögen würde, Gott bewahre. Ich finde sie höchstens ein bisschen, naja, eigen. Henrys Mutter Pauline ist Künstlerin. So mit Atelier und allem Drum und Dran. Sie malt abstrakte Bilder mit geheimnisvollen Farbverläufen und fertigt Skulpturen. Die meisten zeigen zwei, oder mehr, ineinander verschlungene Körper. Und sie sind bunt. Ziemlich cool auf jeden Fall. Pauline ist unkonventionell, extrovertiert – ein Paradiesvogel. Das klingt alles ganz gut, meinen Sie? Das stimmt. Sehr anstrengend allerdings ist die Tatsache, dass sie immer der Meinung ist, den ultimativen Blick auf die Dinge zu haben. Um es mal nett zu formulieren. Man könnte auch sagen, sie weiß immer alles besser!
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