„Komm, ich bring dich zu dir. Wir müssen uns um deine Verletzungen kümmern.“ Ich half ihm, sich aufzurichten und stützte ihn. Ich hatte wieder einen Freund. Einen richtigen Freund. Mein Herz machte Freudensprünge und überschlug sich eifrig. Immer wieder aufs Neue. Ich war einfach nur glücklich. Unsagbar glücklich…
Wir saßen auf seinem Bett, während ich seine Schrammen notdürftig versorgte. Darin hatte ich mittlerweile ein wenig Erfahrung, auch wenn es mir lieber wäre, dass es nicht so wäre, doch daran konnte ich jetzt nichts mehr ändern.
Immer wieder zog er scharf die Luft ein, wenn ich falsch an eine Stelle kam und ich entschuldigte mich auch immer dafür. Aber dann wurde es wieder still im Raum. Ich lauschte unseren Atem und versuchte so wenig Schmerzen wie möglich anzurichten. Schließlich mochte ich ihn und er war nur in dieser Lage, weil er sich für mich eingesetzt hatte. Da war es nicht fair, wenn ich ihn dafür bestrafte. Definitiv nicht.
„Du, Alex?“, unterbrach ich nach einer Weile die meditative Stille zwischen uns, wobei ich von seiner Seite nur ein kurzes Brummen bekam, was mich kurz schlucken ließ. Ich musste all meinen Mut sammeln, um die nächste Frage stellen zu können, obwohl ich eigentlich keine Angst haben müsste. Alex war auf meiner Seite. Er würde mir nichts tun, dennoch war die Furcht da, dass er mich von sich stoßen könnte.
„Warum hast du das getan?“ Meine Stimme zitterte und ich musste öfters die Wörter neu beginnen, doch als es draußen war, fühlte ich mich unendlich frei und entspannte mich ein wenig. Es tat gut, sich so zu fühlen.
„Na, um dich zu verteidigen.“ Er schien die Frage nicht zu verstehen, doch dadurch, dass der Knoten jetzt gelockert war, fiel es mir leichter weiter nachzubohren und nicht klein beizugeben: „Ja, das weiß ich doch. Aber warum tust du das? Ich war für dich eigentlich immer ein Fremder. An dem Tag, als ich auf dem Pausenhof lag, da kanntest du mich gar nicht. Dennoch bist du stehen geblieben. Das hat sonst niemand getan.“
„Ich habe halt einen starken Beschützerinstinkt.“ Er zuckte mit den Schultern und ich wünschte mir, dass ich es glauben könnte, doch irgendwie spürte ich, dass dort mehr war. Um so vieles mehr. Als er mich angesehen hatte, war es, als wäre es ihm bekannt und er ertrug diesen Anblick nicht.
„Ich glaube, dass da mehr dahinter steckt“, sprach ich dann meine Vermutung aus und erneut verspannte er sich. Ich hoffte, dass ich mit dieser Aussage nicht zu weit gegangen war. Schließlich hatte ich ihn gerade erst für mich gewinnen können und ich wollte ihn nicht sofort wieder verlieren. Das war nicht gut. Einfach nicht gut.
„Da täuschst du dich.“ Seine Stimme wurde bedrohlich leiser und ich stockte kurz. All die Wärme verschwand gerade und sein Körper verkrampfte sich vor mir. Was ging in seinem Kopf vor? Das konnte doch nicht sein Ernst sein? Er verheimlichte mir etwas. Irgendwas trieb ihn dazu mir zu helfen. Aber was?
„Warum reagierst du dann so angespannt?“, bohrte ich nach. Sah nicht das große, rote Stoppschild blinken und hörte auch kurz auf seine Wunden zu versorgen, um nachzusehen, ob ich überhaupt etwas übersehen hatte.
„Ich bin nicht angespannt.“ Ich sah, wie er zwanghaft versuchte sich zu entspannen, doch es misslang ihn. Seine Schultern blieben verkrampft und er presste auch seinen Kiefer aufeinander. Was beschäftigte ihn? Wieso handelte er so, wie er es tat? Warum konnte er es mir nicht sagen?
„Bist du sehr wohl?“ Ich tastete nach seinen Schultern und wollte sie ein wenig massieren, doch in diesem Moment schlug er mit einem „Fass mich nicht an“ meine Hände einfach weg. Er sprang förmlich Abstand nehmend von mir und funkelte mich an.
Ich sah das feuchte Glänzen in seinen Augen und spürte, dass ich zu weit gegangen bin, wodurch ich bedrückt meinen Kopf hängen ließ und auf meine Hände starrte: „Es… es tut mir Leid. Ich wollte dich nicht nerven.“
Ein Seufzer glitt über seine Lippen und hang wie ein dichter Nebel im Raum. War ich dabei meinen Freund schon wieder zu verlieren? Wie widerlich musste ich sein, dass es niemand mit mir lange aushielt? Was machte ich nur immer wieder falsch?
Nun spürte ich selbst die Tränen in meinen Augen, die ich verzweifelt runter schluckte und prophylaktisch über mein Gesicht mit meinem Ärmel strich. Ich wollte jetzt nicht vor Alex weinen. Ihm nicht zeigen, wie kaputt meine Seele von all dieser Tyrannei schon war. Nein, ich wollte einfach kein Mitleid von ihm.
„Es ist nicht wichtig, warum ich dir helfe. Das Einzige, was zählt, ist die Tatsache, dass ich es tue. Was bringt es dir, wenn du meine Motive kennst? Daran wird sich an der aktuellen Situation nicht viel ändern. Warum willst du es also unbedingt wissen?“ Ich spürte, wie er sich leicht auf dem Bett bewegte, und ich unterdrückte das Zittern, als ich die Trauer in seiner Stimme hörte.
„Ich würde dich besser verstehen“, flüsterte ich und hob erst jetzt meinen Blick wieder, um Alex anzusehen, wobei ich sah, dass ihm vereinzelte Tränen über die Wangen liefen. Was bewegte ihn? Dieser bodenlose Schmerz, der sich durch seine sonst so sanften Augen zog, tat mir in der Seele weh und ich wünschte mir, dass ich ihm irgendwie helfen konnte. Ihm irgendwie diese Trauer nehmen konnte.
„Das wirst du auch so. Du musst nicht alles von Anfang an wissen. Irgendwann wirst du es verstehen. Kommt Zeit, kommt Verständnis.“ Er lächelte mich über den Schmerz hinweg an und ich versuchte es zu erwidern.
Die Spannung zwischen uns löste sich langsam auf und ich wagte es wieder normal zu atmen. Mit dem festen Vorsatz, dass ich ihn nie wieder nach seinen Motiven fragen würde, entspannte ich mich. Wenn er der Meinung war, dass die Zeit gekommen war, dann würde er es mir schon erzählen. Da war ich mir mehr als sicher…
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