Zwischen Wischmopp und Handfeger
Viel Zeit zum Überlegen hatte ich ohnehin nicht, denn nun kamen vollkommen neue Aufgaben auf mich zu. Ich, der jetzt den Lebensmittelhändler ersetzen und für Gerda ab sofort auch alle anderen Dinge des täglichen Lebens besorgen musste, bekam plötzlich E-Mails folgender Art:
„ Hallo Frau Bartelt, nachfolgend wie besprochen die ‚Idealliste‘ unserer Hauswirtschaftskraft.
Schrubber und Bodentuch + Eimer oder alternativ Wischmopp und Eimer
Besen, Handfeger & Kehrblech, Staubsauger (+ vorrätige Wechselbeutel)
2-fach Ausführung (wegen Waschwechsel) Mikrofasertücher in vier Farben (Küche, Möbel, Bad, Toilette)
Kleiner Putzeimer und Abzieher f. Fenster
Reiniger f. die verschiedenen Bereiche
Müllbeutel und gelbe Säcke
Leiter oder Tritt
Mit freundlichen Grüßen…“
Nun, diese „Frau Bartelt“, die alle nötigen Sachen für den zum Heim gehörenden Reinigungsservice besorgen musste, war ich selbst. Denn in erster Linie fühlte ich mich persönlich für meine Mutter verantwortlich, Petra, deren langer Arbeitstag oft bis 19 Uhr dauert, wollte ich mit Muttis Pflege nicht mehr als nötig belasten. Ich fand mich also an einem Samstagmorgen in der Putzmittel-Abteilung des nächstgelegenen Supermarktes wieder, unmittelbar nachdem ich Petra zur Arbeit gefahren hatte. „So muss sich eine Frau im Baumarkt fühlen!“, dachte ich. Ziemlich hilflos taperte ich von Regal zu Regal, bis ich endlich alles beisammen hatte, was auf der Einkaufsliste stand.
Am Ende kam ein schöner Geldbetrag zusammen, der in keinem gesunden Verhältnis zum Materialwert der im Einkaufswagen liegenden Putzwaren stand. Aber was zählte schon der schnöde Mammon, wenn es um nichts weniger als Mutters Zukunft ging? Und die 'fremde Macht' – der Pflegedienst – zufrieden gestellt werden musste? Also hieß es, nicht zu kleinlich zu sein. Gab es doch eine große Aufgabe zu bewältigen: Eine große und ziemlich zugestellte Wohnung musste wieder auf Vordermann gebracht werden, die seit Jahren in den Ecken nicht mehr richtig gefegt worden war. Zwar hatte Petra meiner Mutter immer wieder ihre Dienste angeboten, Mutti hatte aber stets mit dem Hinweis entrüstet abgelehnt, sie habe selbst gerade „gründlich“ sauber gemacht. Petra schaute einigermaßen ungläubig in die Ecken, aber Widerspruch wurde nicht geduldet. Ende der Diskussion.
Und so waren es keine „Wollmäuse“ mehr, die in den Zimmerecken ihre Jugend verbrachten, um anschließend unter und hinter den Schränken still und von Gerda unbemerkt umher zu wandern, sondern es waren „Wollkatzen“ oder in einzelnen Fällen sogar eher „Wollelefanten“, die einen traurigen Beleg für eine zunehmend verminderte Sehkraft meiner Mutter darstellten. Was mich aber am meisten verblüffte: Die vom Pflegeheim gestellte ambulante Reinigungsfachkraft fasste die in der Wohnung in reichlicher Anzahl vorhandenen Schmutznester keinesfalls als Ansporn auf, das Problem mit professioneller Energie anzugehen. Stattdessen beschwerte sie sich das eine über das andere Mal bei meiner Frau, wie dreckig doch die Wohnung sei, die sie sauber machen sollte. Das war eine Logik, die nicht so ganz in mein bisheriges intellektuelles Regelwerk passen wollte.
Noch ein weiterer Grund führte dazu, dass der externe Reinigungsservice nicht sofort die gewünschte Wirkung entfaltete: Gerda fand es nämlich höchst spannend, was jetzt in ihrer Wohnung abging. Sie platzierte sich mit ihrem mit Rollen ausgestatteten Serviertischchen, das ihr als provisorische Gehhilfe diente, mitten am Ort des Geschehens und versuchte, den Arbeitseifer der vom Heim geschickten Reinigungskraft zu dirigieren und anzuspornen. Was auch umgehend Wirkung zeigte, wenn auch nicht die gewünschte: Sehr schnell wurden aus einer Reinigungskraft viele verschiedene Reinigungskräfte! Mit einem Mal kamen jede Woche immer wieder andere Frauen, die sich anschickten, die Wohnungsreinigung voranzutreiben. Bis schließlich eine gefunden wurde, deren Fell anscheinend dick genug war, um a) meine Mutter und b) die ganze Aufgabe nicht allzu ernst zu nehmen, dauerte es einige Zeit. Zu guter Letzt wurde en détail dann aber doch noch einiges auf den Pfad der Sauberkeit gebracht. Für mich, der später Gerdas leere Wohnung besenrein an den Nachmieter übergeben musste, blieb trotz alledem noch genug zu wischen übrig.
Selbstverständlich war das Einkaufen der Reinigungshilfsmittel und aller anderen Dinge des täglichen Bedarfs, wie unter anderem Drogerieartikel, Getränke und Lebensmittel für Frühstück und Abendessen, nur ein Beispiel für die vielen anderen anfallenden Aufgaben, die mit Gerdas Pflege jetzt neu und zusätzlich auf Petra und mich zu kamen: Damit das Heim für Mittagessen und Sauberkeit sorgen konnte, mussten Vorgespräche geführt, Angebote geprüft, Verträge gemacht und Rechnungen bezahlt werden. Auch als kurz danach der ambulante Pflegedienst zum Einsatz kam und Gerda bei der Körperpflege, beim Anziehen und beim Essen half, gab es noch genug für uns zu tun: Neben dem Einkaufen auch das Besorgen und Beantworten der Post, das Erledigen der Bankgeschäfte, Terminabsprachen mit dem Hausarzt, Beschaffen von Medikamenten, sauberer Kleidung und vieles andere mehr.
Nachdem sich einige Mitarbeiter vor Ort in Gerdas Wohnung ein Bild von der allgemeinen Lage gemacht hatten, war das Pflegeheim sehr daran interessiert, meiner Mutter außer dem Essen auf Rädern und der wöchentlichen Wohnungsreinigung auch andere Hilfeleistungen anbieten zu können. Daher sorgte die Heimverwaltung selbst dafür, dass Gerda von den Medizinischen Diensten der Krankenkassen ( MDK ) ein Gutachtertermin angeboten wurde. Wir waren natürlich auch sehr daran interessiert, dass dieser Termin schnell zustande kam. Also widersprachen wir dem vorgeschlagenen Besuchstermin nicht, obwohl Petra am besagten Tag verhindert und ich selbst auf Dienstreise war, wir beide also Gerdas erster Begutachtung durch den MDK nicht beiwohnen konnten. Stattdessen wurde vereinbart, dass außer Gerda und dem Gutachter noch eine enge Freundin unserer Familie und eine erfahrene Mitarbeiterin der Heimverwaltung anwesend sein sollten.
Im Auftrag der Medizinischen Dienste rief ein „netter Herr“ kurz vor dem Termin bei Mutti an und meinte, er würde sich wohl etwas verspäten. Die entsprechend informierte Mitarbeiterin des Pflegeheims kam daraufhin natürlich auch etwas später zu Gerda, der Gutachter vom MDK war aber doch pünktlich da gewesen und inzwischen schon wieder weg. Was für den besagten netten Herrn den Vorteil hatte, dass – anders als vorgesehen – niemand vom Pflegeheim bei dem Gutachtertermin anwesend war. Mit dem MDK hatten also nur Gerda und unsere Freundin Nina am schön gedeckten Kaffeetisch gesessen und sich unterhalten.
Passend zu dieser gemütlichen Runde fiel das Gutachten von Kleinigkeiten abgesehen ausgesprochen positiv für meine Mutter aus: Zwar wurden „ körperliche Schwäche, Urininkontinenz, arterieller Hypertonus (Bluthochdruck) , deg. WS-Syndrom (Probleme mit der Wirbelsäule) , Rundrücken “ festgestellt. Aber: „ Es liegt keine demenzbedingte Fähigkeitsstörung, geistige Behinderung oder psychische Erkrankung vor… Versicherte ist zu allen Qualitäten orientiert und kann sich selbstständig beschäftigen… Tremor in den Händen (zittrige Hände) , keine Paresen (Lähmungserscheinungen) . “ Und weiter an verschiedenen Stellen des Gutachtens: „ Appetit erhalten… Stuhlgang regelmäßig und täglich… Aus den festgestellten Auffälligkeiten resultiert kein regelmäßiger bzw. dauerhafter Beaufsichtigung- und Betreuungsbedarf… Begutachtungsergebnis: Pflegestufe 1. “
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