„Das kann durchaus sein. Doch Ihr könnt mir glauben, wenn ich Euch sage, dass mir Luna wie eine Tochter am Herzen lag. Ich muss einfach wissen, was ihr und den Ihren widerfahren ist.“
Mateos Menschenkenntnis sagte ihm, dass die Fremde vertrauenswürdig war. Und selbst wenn er sich irrte: Arno war tot und Luna und den Kindern konnte sie sicher auch nicht mehr schaden. Langsam trat er zur Seite und bat sie ins Haus. Sina dankte und nahm auf dem angebotenen Schemel Platz.
„Wir wissen selbst nicht genau, was passiert ist. Arno und ich waren an jenem Tag auf dem Markt. Dort tauchten plötzlich Soldaten auf und stellten Fragen nach einer Frau, deren Beschreibung auf Luna passte. Angeblich suchte man sie wegen Hexenzeugs und so. Doch uns war klar, dass unsere Luna nicht so eine war. Wir leugneten, die beschriebene Frau zu kennen. Nur dieses kleine niederträchtige Biest, die Tochter des Schmieds, hat ihr Schandmaul nicht halten können. Als Arno bemerkte, dass die Soldaten aufbrachen, ritt er selbst davon, um Luna und die Kinder zu warnen ...“
„Die Kinder?! Ihr meint den Jungen, Ammon“, unterbrach ihn Sina verwundert.
„Ihn und die kleine Fanida. Ein wunderschönes kleines Ding. Ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten und genauso klug ...“ Er schluckte und wischte sich verlegen eine Träne aus dem Augenwinkel.
„Sie hatte eine Tochter?“, rief Sina überwältigt von der Neuigkeit.
„Ja, sie und Arno waren schon bald nach der Hochzeit in froher Erwartung.“
Sina ließ die Neuigkeit sacken. Als sie sich wieder gefangen hatte, fragte sie: „Und was geschah dann?“
Sein Blick ging ins Leere und verfinsterte sich. „Als wir hier ankamen, war schon alles zu spät. Die Hütte brannte lichterloh und keiner schien überlebt zu haben. In den Trümmern fanden wir am nächsten Tag jedoch nur die verkohlten Überreste von Arno. Wir begruben ihn hinter der Hütte. Von den anderen Dreien fehlte jede Spur. Wir vermuten, dass die Soldaten sie verschleppt haben.“
Sina überlegte einen Moment, ob sie ihm von Fineas Schicksal erzählen sollte, wollte ihm aber die Hoffnung nicht nehmen, dass sie am Leben war. Obendrein hielt sie es für besser, wenn er die wahren Hintergründe der ganzen Geschichte nicht erfuhr. Noch immer hatte das Leben von Ammon oberste Priorität. Jeder weitere Mitwisser in dieser Sache wäre eine Gefahr. Ihre Gedanken überschlugen sich. Was war mit den Kindern geschehen? Sie war sich sicher, dass das Blutsiegel nicht log, wenn es Ammons Zustand als unbedenklich anzeigte. Doch was war mit dem Mädchen? Von dem Kerkerwärter hatte Sina erfahren, dass Finea wohl überzeugt davon war, die einzig Überlebende zu sein. Also waren die Kinder auch nicht bei ihr, als man sie mitnahm.
„Könnt Ihr mir die Reste der Hütte zeigen, in der sie gewohnt haben?“, fragte sie den Alten.
„Das kann ich wohl. Jedoch nicht mehr heute. Ich kann Euch ein Lager herrichten und morgen, bei Tageslicht, werde ich Euch hinführen.“
Sina sah hinaus und stellte überrascht fest, dass es schon stockdunkel war.
„Das klingt vernünftig. Ich nehme Euer Angebot gern an.“
Mateo deckte den Tisch und während sie ein einfaches Mahl verzehrten, erzählte er ihr alles, was seit Arnos und Lunas Ankunft geschehen war. So erhielt Sina Einblick in das Leben ihres Schützlings und fühlte sich ihr so nah wie schon lange nicht mehr. Dankbar hing sie an den Lippen des Alten und auch ihm schien es gut zu tun, in frohen Erinnerungen zu schwelgen. Sie lachte, als er von Arnos ersten Versuchen als Fischer erzählte und wurde wehmütig, als er von der Hochzeit und der kleinen Fanida berichtete.
Sie schienen glücklich gewesen zu sein, die Vier.
Als sie später auf ihrem Lager lag, wollte der Schlaf sich nicht einstellen. Ihr wurde zum ersten Mal bewusst, dass Finea ohne ihr Zutun noch am Leben wäre. Nur auf Sinas Anweisung hin, hatte sich die junge Wächterin Lord Arko und dem kleinen Prinzen angeschlossen. Hätte sie nicht darauf bestanden, dann wäre Finea noch heute im Tempel und würde die Schriften studieren. Das Gefühl von heißem Blei breitete sich in ihrem Magen aus. Verzweifelt rollte sie sich zusammen und schluchzte in ihre Decke. Irgendwann schlief sie erschöpft ein.
Als sie am Morgen erwachte, war das Gefühl noch immer da. Doch sie traf eine Entscheidung. Sie würde sich ihren Schuldgefühlen nicht hingeben. Sie war die einzige Hoffnung, die die Kinder noch hatten. Wenn sie sich jetzt gehen ließ, wäre alles vergebens gewesen. Sina vergrub ihre Schuldgefühle unter der großen Aufgabe, die vor ihr stand: Um jeden Preis die Kinder zu finden. Sie war sich sicher, dass auch das Mädchen überlebt hatte. Was allerdings seither alles passiert sein konnte, wollte sie sich nicht ausmalen. Zwei kleine Kinder, allein in der Fremde ...
Mateo riss sie schließlich aus ihren Grübeleien. Sie aßen etwas Haferbrei und machten sich wenig später auf den Weg. Schon von Weitem konnte Sina die verkohlten Überreste der kleinen Hütte erkennen. Erneut machte sich das Blei im Magen bemerkbar. Doch auch diesmal gelang es ihr, dieses Gefühl zu verscheuchen. Aufmerksam betrachtete sie die schwarzen Balken und trat näher. Doch Mateo hielt sie zurück. „Vorsicht, geht nicht zu nah heran! Die Reste könnten jederzeit zusammenbrechen!“ Sie nickte und beschloss, später noch einmal allein hierher zurückzukehren. Sie wusste nicht, wonach sie suchte, aber sie wollte nichts unversucht lassen. Sie pflückte ein paar Blumen von der benachbarten Wiese und legte sie auf Arkos Grab. Lange sah sie auf die gemeißelte Inschrift des Grabsteines. Dort stand der Name 'Arno'. Lord Arko würde also für immer unter falschem Namen in der Erde ruhen. Doch das war nicht schlimm. Hier war er glücklich gewesen. Als Arno hatte Finea ihn zum Vater gemacht ...
Nur schwer konnte Sina sich losreißen.
Zunächst begleitete sie den Alten wieder zurück. Dort packte sie ihr Bündel und bedankte sich für seine Hilfe. „Ich muss aufbrechen. Es war sehr freundlich von Euch, mir Obdach und Essen zu geben. Ihr sollt allzeit gesegnet sein.“ Mit diesen Worten verließ sie ihn und begab sich offiziell auf den Heimweg. In Wahrheit änderte Sina die Richtung, sobald sie außer Sichtweite war.
Eilig begab sie sich zu der Ruine und zögerte nicht lange, bevor sie in deren Inneres vordrang. Lange suchte sie in der Asche herum und fragte sich mehrfach, wonach. Was wollte sie hier finden? Dann plötzlich brach sie mit dem rechten Fuß durch die verkohlten Holzdielen. Ein Schmerzensschrei entfuhr ihr und mühsam zog sie das Bein aus dem Loch. Als sie das Brett schließlich entfernt hatte, stellte Sina erstaunt fest, dass sich der Erdboden keineswegs wie üblich eine Elle darunter befand. Das Loch war wesentlich tiefer. Als sie der Sache nachging, entdeckte sie den kleinen Tunnel. Sie kroch hinein und folgte ihm bis zum Ausgang. Sie wusste noch immer nicht, warum Finea so fest davon überzeugt gewesen war, dass die Kinder tot seien. Alles, was Sina hier sah, wies daraufhin, dass die beiden durch diesen Fluchtweg entkommen sein mussten. Wahrscheinlich hatten sie dann beobachtet, wie die Soldaten ihre Mutter verschleppten und sind ihnen gefolgt. Irgendwo, zwischen hier und Isfadah, musste sich ihr Schicksal entschieden haben. Sie wusste, dass die Suche nahezu aussichtslos sein würde, aber es war die einzige Chance.
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