Kamir dankte ihm und verließ so schnell wie möglich den Raum. Er wusste nicht, ob er noch mehr Beleidigungen Farids, gegen seine Angebetete und deren Familie, aushalten würde, ohne ihm das Wort zu verbieten. Obwohl er zugeben musste, dass Farid im Bezug auf Amanda nicht ganz unrecht hatte. Sie war dennoch Sarahs Mutter und es widerstrebte ihm, derartige Aussagen kommentarlos hinzunehmen.
Sobald er weit genug von Farid entfernt war, verschaffte er sich mit einem derben Schimpfnamen gegen ihn Erleichterung und atmete auf. Jetzt stand seinem Vorhaben nur noch eines im Wege: Sarahs Wille. Er war sich bisher noch nicht ganz sicher, ob es nur Freundlichkeit oder romanische Gefühle waren, die sie ihm entgegenbrachte. Er wusste nur eines, dass er genau diese Frau haben wollte. Sie war klug, schlagfertig und humorvoll. Ganz zu schweigen von ihrer Schönheit und der unschuldigen Anziehungskraft.
Kurz entschlossen ging er in die Bibliothek, nahm sich ein Blatt Papier und eine Feder und schrieb Sarah eine Botschaft. Diese verschloss er mit seinem Siegel, welches er stets als Ring am Finger trug, und übergab sie einem Diener. Er erteilte ihm die Order, Sarah den Brief nur persönlich und ohne Aufsehen zu überbringen.
Als er später zum Abendessen die Halle betrat, nahm er geistesabwesend Lesters Entschuldigung entgegen. Er versicherte dem Freund nervös, dass er ihm keineswegs gram sei und bat ihn seinerseits um Verzeihung, wegen seiner Überreaktion. Damit war die Angelegenheit für beide erledigt und sie aßen schweigend. Kamir stocherte abwesend auf seinem Teller herum, hielt jedoch inne, als Sarah und ihre Eltern endlich den Saal betraten. Mit klopfendem Herzen sah er sie an. Beinahe unmerklich nickte sie ihm zu und ihm fiel bei dieser unauffälligen Geste ein ganzes Gebirge vom Herzen. Erleichtert aß er seinen Teller leer und antwortete auf Lesters Fragen.
Nach Sonnenuntergang wartete er im Schlossgarten nervös auf seine Angebetete. Er hatte sie in seinem Brief gebeten, ihn an der großen Weide zu treffen. Allein! Diese sollte ihnen Schutz vor unerwünschten Blicken bieten. Nach einer halben Stunde sank seine Hoffnung, dass sie überhaupt noch kommen würde. Als er gerade gehen wollte, hörte er das Knacken eines Astes in seiner Nähe. Reflexartig legte er seine Hand auf den Dolch an seinem Gürtel. Doch dann erkannte er die eindeutigen Umrisse einer Frau, die auf ihn zutrat.
„Kamir, seid Ihr hier?“, fragte sie mit flüsternder Stimme.
„Ich bin hier drüben.“ Mit ein paar Schritten war er bei ihr und trat dicht an sie heran. „Danke, dass Ihr mir Euer Vertrauen schenkt und mich hier trefft.“
Sie senkte kurz den Blick und sah ihn dann, unter ihren dichten schwarzen Wimpern hervor, verschüchtert an. Im Mondlicht gewahrte er ihre dunklen Augen fragend auf sich gerichtet.
„Ich habe keinen Moment an Eurer Ehrenhaftigkeit gezweifelt, Lord Kamir. Jedoch hörte ich schon das ein oder andere, das mich hätte davon abhalten müssen, eurem Wunsch nachzugeben. Ihr seid kein Mann, der schönen Frauen abgeneigt ist ... Dennoch, meine Neugier war stärker.“ Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Wahrscheinlich meine größte Schwäche.“
Er lachte leise. „Ein Glück für mich.“ Er näherte sich ihr noch mehr und war schließlich so dicht vor ihrem Gesicht, dass er ihren warmen Atem spürte. „Und was würdet Ihr tun, wenn ich Euch doch in unehrenhafter Absicht herbestellt hätte?“ Er hatte es noch nicht ganz ausgesprochen, da spürte er etwas Spitzes zwischen seinen Beinen, direkt an seiner empfindlichsten Stelle.
„Ich bin neugierig, aber nicht dumm!“, stellte sie unschuldig fest.
Er konnte nicht anders: Ungeachtet dessen, dass er ihr gemeinsames Versteck verraten könnte, begann er laut zu lachen. „Genau das ist es, was Euch in meinen Augen so unwiderstehlich macht. Ihr könnt einen immer wieder überraschen!“ Er schüttelte den Kopf und entfernte sich ein paar Schritte von ihr. „Eigentlich wollte ich ... Aber vergessen wir dies für heute. Ich glaube, es ist nicht der richtige Moment dafür.“ Noch immer wurde seine Stimme von Lachen gefärbt.
Ihre Augen wurden schmal und sie musterte ihn eindringlich. „Was wolltet Ihr? Ich bin nicht mitten in der Nacht aus meinen Gemächern geschlichen, um mich dann hier von Euch auslachen zu lassen.“
Sofort verstummte er und wurde ernst. „Ich lache Euch keineswegs aus. Es ist eher die Situation, die mich erheitert. Ich hatte vor, Euch heute meine Liebe zu gestehen und statt des innig erhofften Kusses, bekomme ich von Euch einen Dolch an den ...“ Er brach den Satz ab, als er die Veränderung bemerkte, die mit ihr vorging. Sie ließ die zierliche Klinge sinken und sah ihn forschend an. So standen sie eine Weile bewegungslos da, bis er ihr anbot, sie zurückzubringen. Doch statt sich in Richtung Schloss umzudrehen, trat sie entschlossen auf ihn zu und presste unbeholfen ihre Lippen auf die seinen. Völlig überrumpelt davon, dass sie die Initiative ergriff, entzog er sich für einen Moment. Doch als er sich der Bedeutung dieser forschen Geste bewusst wurde, legte er seine Arme fest um ihren schmalen Leib und zeigte ihr, wie ein richtiger Kuss zu sein hatte. In seinem Inneren explodierten die Gefühle und er ließ erst wieder von ihr ab, als sie ihn sanft von sich schob. Erregt und völlig außer Puste sahen sie sich an. „Ja, so etwas in der Art hatte ich mir vorgestellt“, sagte er leise.
„Ich mir auch“, gab sie keck zurück. Wieder versanken sie in einem langen leidenschaftlichen Kuss. Als er später bemerkte, dass sein Unterleib drohte, seinen Verstand lahmzulegen, ließ er von ihr ab. „Es ist besser, wir gehen jetzt zurück, sonst brauchst du am Ende deinen Dolch doch noch.“
Sie lachte verlegen, was sie für ihn noch anziehender machte. Spontan ging er auf die Knie und fragte: „Sarah Zorban, bist du damit einverstanden, dass ich deinen Vater um die Erlaubnis bitte, um deine Hand anhalten zu dürfen?“
Sie sah ihn fassungslos an, noch immer den kleinen Dolch in der rechten Hand. Als ihr dies bewusst wurde, steckte sie ihn fahrig in die dazugehörige Scheide, die sie zwischen ihren Rockfalten fand. Dann sah sie ihn lächelnd an und hielt ihm beide Hände entgegen. „Natürlich bin ich einverstanden!“ Sie zog ihn hoch und sie standen noch lange, schweigend und überwältigt von diesem Moment, eng umschlungen da.
Schon am nächsten Tag setzte Kamir sein Vorhaben in die Tat um. Wie erwartet gab es bei Sarahs Vater keine Probleme. Freudig erteilte er ihnen seinen Segen und Kamir kniete schon einen Moment später erneut vor seiner Braut. Glücklich steckte er ihr den Ring an, den er zum Zeichen seiner Liebe hatte anfertigen lassen. Sarahs Mutter sorgte dafür, dass der ganze Hof schon vor der offiziellen Verkündung von der Verlobung wusste. Man reagierte allseits positiv auf die Neuigkeit - bis auf ein paar gekränkte weibliche Seelen.
Als Kamir Ismee von der geplanten Hochzeit in Kenntnis setzte, gratulierte sie ihm von Herzen. Doch er hatte es kaum ausgesprochen, als Lina mit entsetztem Gesichtsausdruck ausrief: „Das geht nicht! Das kannst du nicht! Du sollst doch mich heiraten, wenn ich alt genug bin!“
Kamir ging in die Hocke. „Ach Lina, das war doch nur ein Spiel! Ich bin doch viel zu alt für dich. Aber wir bleiben die besten Freunde! Daran wird sich nichts ändern. Ich dachte, du könntest Sarahs Brautmädchen sein. Sie würde sich bestimmt freuen und ich mich auch.“
Er stellte mit einer gewissen Verwunderung fest, dass sich der Ausdruck in Linas Gesicht in blanke Qual verwandelte. Ihm wurde schmerzhaft bewusst, dass er diesem kleinen Mädchen, das er liebte wie seine eigene Schwester, gerade das Herz gebrochen hatte.
Nur mühsam hielt Lina ihre Tränen zurück. „Ich werde ganz sicher nicht ihr Brautmädchen. Und ich werde ganz sicher nicht mit zu eurer Hochzeit gehen. Ich hasse diese Sarah und dich auch!“ Mit diesen Worten rannte sie aus dem Zimmer. Kamir wollte ihr nachlaufen, doch Ismee hielt ihn zurück. „Lass sie! Ich werde dann nach ihr sehen. Sie muss sich damit abfinden, auch wenn es schwerfällt.“
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