Die ganze Nacht hindurch lag sie wach und grübelte darüber nach, was sie jetzt tun sollte. Laut der Probe in Ammons Gefäß ging es ihm körperlich noch immer gut. Doch wo konnte er jetzt nur sein? Sie beschloss, zunächst nach dem Ort zu suchen, den ihr der Mann genannt hatte. 'Bluemare' hatte er gesagt. Sie würde dort hinreisen und die Nachbarn befragen. Vielleicht hatten sie den Jungen aufgenommen. Wenn nicht, dann war es wichtig zu wissen, was in der Zwischenzeit in Fineas Leben geschehen war. Sina glaubte, dass ihr diese Informationen helfen konnten, den Prinzen zu finden.
Inzwischen war es nun schon zwei Wochen her, seit Kamir seine erste Verabredung mit Sarah gehabt hatte. Natürlich so, wie es sich geziemte, immer in Anwesenheit ihrer Mutter Amanda. Doch da diese offensichtlich sehr daran interessiert schien, dass die jungen Leute sich näher kamen, entfernte sie sich während der Spaziergänge immer auf die maximale, gerade noch schickliche Distanz. Kamir nahm dies dankbar zur Kenntnis. Sein Herz war verloren, seit er Sarah zum ersten Mal gesehen hatte. Er war überhaupt zum ersten Mal in seinem Leben wirklich verliebt. Das stellte er spätestens dann fest, als ihm bewusst wurde, dass er Sarah nicht im Bett haben wollte, ohne ordnungsgemäß mit ihr verheiratet zu sein. Er würde nichts tun, das in irgendeiner Form ihrer Ehre schaden könnte. Darum begnügte er sich damit, ihr ein sinnliches Lächeln zu entlocken, stundenlange Gespräche zu führen und sie mit kleinen Geschenken und Komplimenten zu überschütten.
„Du läufst herum wie ein verliebter Trottel!“, eröffnete ihm Lester eines Tages in seiner ganz eigenen unverblümten Art. „Die Männer beginnen schon Witze über dein Balzverhalten zu reißen. Was ist los mit dir? Will die Kleine nicht in dein Bett oder warum bist du so lange damit beschäftigt, Süßholz zu raspeln. Mit deinem 'Dolch' ist doch hoffentlich alles in Ordnung, oder? Wenn nicht, dann hätte ich einen guten Tipp ...“
Er kam nicht dazu, seinen gutgemeinten Rat zu formulieren. Zu seiner Überraschung hatte Kamir ihn grob am Kragen gepackt.
„Hör zu, wenn ich auch nur ein weiteres unziemliches Wort von dir oder einem der Männer aufschnappe, welches Sarah verunglimpft, dann werdet ihr euch vor mir verantworten müssen. Und glaube mir, das bekommt keinem von euch!“
„Schon gut, schon gut, mein Freund“, versuchte Lester ihn zu beruhigen. Nicht, dass er keine Chance gehabt hätte, sich gegen Kamirs Attacke zu wehren. Doch ihm wurde spätestens jetzt klar, wie sehr es seinen Freund erwischt hatte und wie ernst es ihm mit Sarah war. Langsam nahm dieser seine Hände herunter und entfernte sich grußlos.
Lester ließ ihn gehen. Es war besser, Kamir würde sich zunächst einmal abreagieren, bevor er sich bei ihm entschuldigte. Er zweifelte auch keinen Moment daran, dass er dessen Absolution erhielt. Nachdenklich sah Lester ihm nach und schüttelte lächelnd den Kopf. Es schien wirklich so, als würde diese Frau es schaffen, den allseits beliebten Kamir zu einem treusorgenden Ehemann heranzuziehen. So wie Lester die Situation einschätzte, musste sich Kamir bald Gedanken darüber machen, wie er seinen Antrag formulieren sollte. Das würde ein schwarzer Tag für die ledigen weiblichen Bewohner bei Hofe werden. Schließlich war er zur Zeit der begehrteste Junggeselle hier.
Allerdings war auch noch nicht klar, was der König von der Wahl seines Bruders hielt. Immerhin wären Kamir und dessen künftige Söhne Farids legitime Nachfolger, wenn dieser kinderlos blieb. Er und Ismee waren nun schon lange genug verheiratet und noch immer unfruchtbar. Das sorgte hinter vorgehaltener Hand für allerlei Tratsch. Scheinbar sollte es ihnen nicht vergönnt sein, mit Kindern gesegnet zu werden.
Bei dem Gedanken, wie Farid bei Ismee lag, zog sich Lesters Herz zusammen. Es war ihm klar, dass ihm seine Eifersucht nicht zustand, doch was nutzte der Kopf, wenn das Herz verrücktspielte. Entschlossen begab er sich zu den Mannschaftsquartieren der Garde und lenkte sich bei einer anstrengenden Übungseinheit ab.
Kamir bereute schon kurze Zeit später seinen impulsiven Ausbruch. Umgekehrt war er schließlich nicht anders, im Umgang mit Lester und den anderen Männern. Er war berüchtigt für seine spitze Zunge, aber jeder wusste, dass er es nicht wirklich böse meinte. Ihm war klar, dass ihn Lester lediglich etwas sticheln wollte. Er lieferte ihm ja auch genügend Material für seine ironischen Bemerkungen. Im umgekehrten Falle hätte er auch nicht widerstehen können, den Freund zu necken. Er war Lester jedoch förmlich an den Hals gesprungen! So hatte er sich bisher noch nie aufgeführt. Es wurde Zeit, dass er Nägel mit Köpfen machte, Sarah seine Liebe gestand und um ihre Hand anhielt. Aber vorerst musste er mit Farid sprechen. Er würde sich die Hochzeit nicht verbieten lassen, hielt es aber dennoch für klug, sich den Segen seines Bruders vorher einzuholen. Vor allem, um Sarah jegliche Unannehmlichkeit diesbezüglich zu ersparen.
Er fand ihn in seinem Beratungszimmer über irgendwelchen Landkarten. Als Farid ihn bemerkte, rollte er diese eilig zusammen. Kamir konnte sich des Gefühles nicht erwehren, dass sein Bruder etwas vor ihm verheimlichte. Als König des Landes stand es ihm allerdings zu, seine Geheimnisse zu haben. Da Kamir im Moment in bittender Position hier war, verkniff er sich die spitze Bemerkung, die ihm bereits auf der Zunge lag.
„Kamir, schön dich zu sehen!“ Farid trat übertrieben freundlich und mit offenen Armen auf ihn zu.
'Ja, er hat mit Sicherheit irgendetwas zu verbergen. Und scheinbar etwas Gewichtiges ...' , dachte Kamir bei sich und gab sich der ungewohnt herzlichen Begrüßung hin. „Was kann ich für dich tun?“, fragte Farid nun.
„Ich habe eine persönliche Bitte an dich.“ Kamir holte tief Luft und schloss die Augen. Dann sah er seinem Bruder fest ins Gesicht und sagte: „Ich möchte dich um die Erlaubnis bitten, Sarah, der Tochter deines neuen Baumeisters, den Hof machen zu dürfen, um sie später um ihre Hand zu bitten.“
Farid sah ihn eine Weile nachdenklich an. Dann legte er den Kopf schief und verschränkte die Arme vor der Brust. „Soweit ich weiß, machst du ihr schon lange den Hof. Und ich kann das verstehen, denn sie ist ein Prachtweib. Doch bisher hast du mich nie um Erlaubnis gefragt, wenn du ein Weib in dein Bett holen wolltest. Und was soll das mit der Hochzeit? Du musst ja nicht gleich die Stute kaufen, nur weil du sie mal reiten willst.“
Kamir musste an sich halten, um nicht, wie zuvor bei Lester, die Kontrolle zu verlieren. Dies wäre hier ganz und gar nicht dienlich. Farid würde nie verstehen, was es bedeutete, die Ehre einer Frau zu achten und sie mit dem eigenen Leben zu verteidigen. Auch wenn Kamir ihm seine Gefühle für Ismee nicht gänzlich absprach, war ihm längst klar, dass sein Bruder zu echter Liebe, so wie sie unter normalen Menschen vorkam, nicht fähig war. Er musste sogar die wenigen Personen, die ihm nahestanden, unter seinen Willen zwingen. Wenn er jemandem befehlen könnte, ihn zu lieben, dann würde er dies mit Sicherheit tun.
„Um es mit deinen Worten zu sagen: Ich habe nicht vor, die Stute zu reiten und dann dem Stallknecht zu überlassen! Ich will Sarah zu meiner Frau und zur Mutter meiner Kinder machen. Darum bitte ich dich um deine Zustimmung. Ich weiß, dass sie nicht von adligem Geblüt ist, doch das war unsere Mutter auch nicht. Darum hoffe ich auf deine Großzügigkeit.“ Demütig senkte er den Blick. Farid bemerkte es wohlwollend, vermisste er doch sonst bei seinem kleinen Bruder derartigen Respekt.
„Also gut. Du hast meine Erlaubnis. Ich wünsche dir viel Erfolg. Ehrlich gesagt zweifle ich nicht im Geringsten daran, dass du deinen Willen bekommst. Die Mutter der Kleinen scheint regelrecht versessen darauf zu sein, dich zu ihrem Schwiegersohn zu machen. Sie würde dir Sarah sicher direkt in dein Schlafgemach führen, wenn du deine Braut zuvor 'prüfen' wolltest.“
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