So fand sie wenig später Ismee vor. Sie lächelte Kamir zu, bevor sie in strengem Tonfall das Wort an ihre Tochter richtete. „Hier bist du also! Die Kinderfrau hat sich darüber beklagt, dass du ihr schon seit geraumer Zeit davonläufst. Du solltest um diese Zeit längst in deinem Bett sein. Sag jetzt 'Gute Nacht' und sei ein braves Mädchen!“
Lina löste sich unwillig von Kamir und ging an der Hand der Kinderfrau hinaus. Er sah ihr lächelnd nach, bevor er zurück zu seiner wunderschönen Braut ging, um sie erneut zum Tanzen zu holen.
Kurz nach Mitternacht war das Fest vorbei und endlich waren sie allein. Kamir betrat das Brautgemach. Seine Paradeuniform hatte er bereits gegen einen bequemen Hausmantel getauscht. Das Zimmer war in Kerzenlicht getaucht und exotische Blumen verströmten ihren Duft. Sarah stand am Fenster und hatte ihm den Rücken zugewandt. Sie trug ein Nachthemd, das an eine Toga erinnerte. Kamir genoss den Anblick, den der durchscheinende Stoff ihm bot. Langsam trat er hinter sie und küsste ihren Hals. Sie schloss die Augen und legte mit einem leisen Stöhnen den Kopf zur Seite, um ihm mehr Platz für seine Liebkosungen zu bieten. Und er verstand ihre Geste. Er ließ sich Zeit dabei, sie in die Liebe einzuführen. Sie küssten sich zunächst zärtlich, dann fordernd. Mit ein paar Handgriffen hatte er sie von ihrem Hemd befreit und entledigte sich auch seiner Sachen. Er trug sie zum Bett, ohne den Kuss zu unterbrechen. Er verwöhnte ihren gesamten elfenhaften Körper mit voller Aufmerksamkeit. Sie stöhnte und drängte ihn schließlich in die richtige Position, um den Akt zu vollziehen. Er ließ sich nicht lange bitten und kam ihrem Wunsch nach. Nachdem Sarah kurz zusammengezuckt war, hatte er sich zurückgehalten. Doch nur einen Augenblick später geriet sie schließlich wieder in Bewegung und sie fanden sofort einen gemeinsamen Rhythmus. Er hatte schon lange bei keiner Frau mehr gelegen und war dankbar dafür, als er schließlich, in einem ekstatischen Schwall, alle Anspannung verlor.
Später lagen sie eng aneinandergeschmiegt und schliefen glücklich ein.
Sobald sie alles Wichtige für die Zeit ihrer Abwesenheit geklärt hatte, machte sich Sina auf den Weg. Zwei anstrengende Wochen später kam sie endlich an der Küste an. Sie ließ ihren Blick über den weiten Horizont schweifen und genoss für einen Moment den Anblick. Wunderschön war die Verbindung vom Türkis des Meeres mit dem Azurblau des Himmels. Es war überwältigend und machte ihr einmal mehr klar, wie unwürdig und klein doch der Mensch war. Und dennoch lohnte es sich, für jene einzustehen, die sich nicht nur um ihr eigenes Wohl sorgten und die einem am Herzen lagen, so fehlbar sie auch sein mochten.
Ihre bevorstehende Abreise hatte im Tempel zunächst für Unruhe gesorgt. Die Wächterinnen fühlten sich nicht mehr sicher, seit Farid sich offen von ihnen distanzierte. Seit Generationen hatte der Tempel unter dem Schutz des Königshauses von Isfadah gestanden und die Wächterinnen brauchten sich um derartige Dinge nicht zu sorgen. Doch die veränderte Situation hatte die weisen Frauen ihrer Sicherheit beraubt und die bevorstehende lange Abwesenheit von Sina minderte derartige Angstgefühle nicht gerade. Doch die oberste Wächterin hatte ihre Autorität eingesetzt und keinen Widerspruch geduldet. Sie versicherte, dass ihre Mission auch dem Wohle des Tempels diene und ordnete an, dass keinesfalls etwas davon nach außen dringen durfte. Eventuelle Besucher sollten damit vertröstet werden, dass die Meisterin mit einem schweren, ansteckenden Leiden ans Bett gefesselt sei. Sina übergab die Leitung des Tempels an ihre Vertreterin und sprach den Frauen Mut zu. „Es darf und wird nicht immer so sein, dass wir uns vor Anfeindungen und Übergriffen dieses unwürdigen Königs fürchten müssen. Ich will die Ehre unseres Tempels wiederherstellen. Doch das ist ein langer Weg und meine Reise ist dafür nur der Anfang.“ Sie machte eine Pause und sah in die Gesichter der versammelten Wächterinnen. Als sie zu bemerken glaubte, wie sich Hoffnung und Stolz auf ihnen abzeichneten, fragte sie: „Habe ich eure Unterstützung?“
Langsam kam Leben in die Versammlung und nach und nach versicherte ihr jede der Anwesenden ihre Ergebenheit zu.
Der Abschied war tränenreich gewesen und viele gute Wünsche begleiteten Sina. Und die hatte sie auch bitter nötig. Als Frau allein zu reisen und das über eine so große Distanz, war nicht üblich und auch nicht ungefährlich. Sie hatte sich eine rührselige Geschichte zurechtgelegt, von einem alten einsamen Vater, der im Sterben lag. Das erklärte für die meisten Fragesteller alles und verschaffte ihr Ruhe. Zum Glück hatte sie immer wieder die Gelegenheit gehabt, bei einer netten Familie oder vertrauenswürdigen Händlern mitzufahren. Zu Fuß hätte sie ein Vielfaches der Zeit gebraucht. Dennoch war sie jetzt zutiefst erschöpft und genoss die Verschnaufpause am Strand.
Als sich Sina ausgeruht hatte, erhob sie sich und hielt Ausschau nach einem Menschen, den sie nach dem Weg fragen konnte. Nach einer Weile erblickte sie eine Gestalt, die ebenfalls den beeindruckenden Anblick des Meeres zu genießen schien. Zielsicher ging sie auf sie zu. Als sie näher kam, erkannte sie, dass es sich um einen alten Mann handelte. Erst als ihr Schatten sich vor ihm ausbreitete, wurde er sich ihrer Gegenwart bewusst. Überrascht blinzelte er zu ihr hinauf. Sina, die während der Reise ihr rotes Gewand gegen ein gewöhnliches Alltagskleid getauscht hatte, wirkte auf ihn nicht weiter bedrohlich und so wich sein anfänglich skeptischer Blick bald einem freundlichen Lächeln.
„Kann ich Euch behilflich sein?“, fragte er die anmutige Fremde höflich und versuchte, sich wacklig auf die schwachen Beine zu stellen.
Sina bat ihn, sitzen zu bleiben und ging selbst in die Hocke, um ihm direkt in die Augen zu sehen. „Ich suche nach einem Fischerdorf namens Bluemare. Könnt Ihr mit sagen, wo ich es finde?“ Auf dem Gesicht des Mannes breitete sich das Lächeln der Erkenntnis aus.
„Ja, das ist hier ganz in der Nähe! Geht einfach in dieser Richtung am Ufer entlang und in etwa zwei Stunden solltet Ihr da sein.“
Sie bedankte sich freundlich bei ihm, fasste ihr Bündel und begab sich in die gewiesene Richtung. Die Sonne stand noch hoch und alles sprach dafür, dass sie ihr Ziel vor deren Untergang erreichen würde.
Als die letzten Strahlen auf den Wellen des Meeres hüpften, kam Sina in Bluemare an. Erleichtert schritt sie aus und brauchte nicht lange, um einen Bewohner des Dorfes zu treffen. Der antwortete der Fremden nur unwillig auf ihre Fragen. Aufmerksam musterte er die Frau. „Das war ein Drama, das Ganze! Keiner weiß so richtig, was wirklich geschehen ist. Aber fragt am besten den alten Mateo. Er und seine Sippe waren gut mit diesen Leuten bekannt.“ Er erklärte ihr den Weg und Sina vergeudete keine Zeit. Sie dankte dem Mann und machte sich auf die Suche nach der beschriebenen Hütte. Sie musste in dem kleinen Ort nicht lange suchen. Auf ihr Klopfen hin öffnete ein alter Mann und sah sie fragend an.
„Seid Ihr Mateo?“, fragte sie ihn freundlich.
Der alte, aber keineswegs gebrechliche Mann zog die Stirn in Falten und fragte nun seinerseits: „Wer will das wissen?“
Sie lächelte ihn verständnisvoll an. „Mein Name ist Sina. Wenn Ihr der seid, den ich suche, hoffe ich, von Euch Auskunft über das Schicksal unserer gemeinsamen Freunde zu bekommen. Sie haben bis vor ein paar Wochen hier gelebt. Dann hat das Schicksal sie hart getroffen. Ich denke, sie sind Euch unter dem Namen Arno und Luna bekannt.“
Jetzt straffte sich der Rücken des Alten und an seiner aufmerksamen Miene konnte Sina erkennen, dass sie sehr wohl den richtigen Mann vor sich hatte.
„Sie haben nie von einer Sina gesprochen“, sagte er misstrauisch.
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