Die kleinen Feuer waren längst ausgegangen und nur die vielen Harzlampen brannten noch, und produzierten nach wie vor ihre charakteristischen Rauchfähnchen. Es war kaum zu bemerken, wie langsam – nach und nach – die aufgeregten Stimmen auf seltsame Weise träger wurden – mit der Zeit immer mehr verstummten. Die bereits verstummt waren, saßen einfach nur da, mit seltsam anmutenden glasigen Augen, die aus ihren Augenhöhlen geradeaus ins nirgendwo blickten.
Irgendwann war dann Stille. Vollkommene Stille. Vereinzelt vielleicht ein kleines Rascheln, wenn mal eines der Krypte aus den Händen rutschte und in den Sand fiel.
Die dünnen Rauchfähnchen der Lampen waren zu vielfältig, als dass jene aufgefallen wären, die aus den kleinen Löchern der Kugeln heraus strömten – zumal ihre blass-blaue Färbung in der Dämmerung kaum zu sehen war. Der süßlich, leicht beißende Geruch verbrannten Harzes lag über dem Lager, und überdeckte jenen, der ohnehin kaum wahrzunehmen wäre.
Einer der Asimielen – es war ausgerechnet einer von denen jener Gruppe, die meinten, in der Perforation der Kugeln deren Geheimnis finden zu müssen – fiel plötzlich um. Einfach so. Es nahm niemand Notiz davon. Er fiel aus seiner Sitzhaltung nach vorn auf sein Gesicht, und blieb so einfach liegen. Vollkommen regungslos. Seine Hände unternahmen nicht einmal den Versuch, den Fall abzufangen.
Irgendwann tat es ihm ein zweiter gleich – nur das der zur Seite kippte. Ein kurzes dumpfes Geräusch kündete davon.
Der Dritte dumpfe Aufprall folgte sehr schnell, und nach diesem konnte man das Aufschlagen der einzelnen Körper nicht mehr voneinander trennen. Sie kippten einfach um – alle. Wortlos, mit teilnahmslosen Blicken fielen sie in den Sand. Lediglich einer dieser Aufschläge auf den Boden hob sich noch einmal von den anderen ab – als der Tolsmoi Kilak rücklings über die Seitenwand des Wagens kippte, und sein schlaffer Körper aus der Höhe auf den Boden aufschlug. Sein viel zu großer mantelartiger Umhang verfing sich im Sturz noch einmal kurz an einem Nagel. Der scharfe Ton reißenden Stoffes passte nicht zu den anderen Geräuschen ...
Die Kugeln schienen nun lebendig zu werden. Unzählige Sprossen von fadenförmigen Würmern lugten aus unzähligen kleinen Löchern der kugeligen Gebilde, bis sie nun begannen, sich aus ihnen hinaus zu schieben. Nein, es waren keine Würmer ... Würmer haben einen Anfang und ein Ende! Diese hier schienen nur einen Anfang zu haben. Es waren endlos lange, dünne Fäden. Lebendige Fäden. Sie quollen ohne Unterlass aus den Kugeln heraus, und ergossen sich zuckend und schlängelnd über den sandigen Boden.
Sofort begannen sie den Sand aufzuwühlen – tauchten mühelos in ihn ein. Da wo sie verschwunden waren, wurde der Boden wie lebendig – sackte hier und da ein, oder es entstanden wellenartige Aufschüttungen. Ein Krypt rutschte in eine der Kuhlen hinein – und versank auf seinem Boden wie in Wasser ... bevor es seinem Besitzer ebenso erging.
Der Untergrund des Lagers schien sich immer mehr in einen See zu verwandeln. Einen See aus flüssigem Sand. Still rutschten nach und nach die Körper, die Fläcks, ihre Wagen, und alles was sich auf ihnen befand nach unten – und versanken in einem körnigen See ...
Als die Sonne ihren ersten Strahl über den fernen Horizont warf, gab es nichts mehr, was auf ein Lager von Asimielenen verwies. Es gab überhaupt nichts mehr, was auf irgend etwas verwies. Alles was es hier gab, war eine unendlich öde, gleichförmige Fläche sandigen Bodens. Die Singala. Was hätte es hier jemals anderes gegeben haben können ...?
~*~
Die Vorsicht des Tolmoi Rhodes
Rhodes stand hoch aufgerichtet auf seinem Leitwagen und hob beide Arme über seinen Kopf. Ein langgezogenes „Halt!“ aus seinem Munde brachte den Haufen zum stehen. „Lenkt die Wagen aus – wir rasten!“
Selbst die hellsten der Sterne begannen bereits zu verblassen. Rhodes entzündete einen Pfeil, und schoss ihn in nicht zu steilem Winkel über die Köpfe seiner Männer hinter sich in den Himmel. Er wollte nicht unnötig irgend jemand auf sich aufmerksam machen.
Im Abstand von jeweils zwanzig Schritten liefen hundert seiner Männer mit Fackeln in den Händen genau an der Schneise entlang, die der Pflug hinter dem Wagen des Tolsmoi in den Boden Schnitt. Die Lichterkette reichte Rhodes aus, um den Kurs halten zu können. Der brennende Pfeil verriet den Folgenden nun das Ende der Aktion, und sogleich erloschen zwei von drei Lichtern. Die übrigen sollten zur Orientierung der jeweils Nachfolgenden genügen – Brennstoff war ein knappes Gut auf dieser Reise ...
Die Formation der Wagen riss auseinander und begann sich kreisförmig um das Lager neu zu formieren.
„Vanleu!“, rief Rhodes einen der Umstehenden bei seinem Namen. „Kümmere dich darum, dass die Schilde aufgepflanzt werden, und Katapulte, Drindeln und Bögen sich ebenso wehrbereit verhalten!“
Diese Art von Vorsicht war ungewöhnlich für einen Asimielen und fand auch nicht bei jedem seiner Landsleute seine Zustimmung. Zu vieles konnte einem entgehen, wenn man zu wenig wagte. Das er dennoch zum Tolsmoi der Oase Tisma gewählt wurde, lag wohl nur an seiner großen Erfahrung, die schon viele Bände gebundener Krypte im Heiligen Dom füllten. Man bewunderte ihn darum – zumal sie den für einen Asimielen eklatanten Widerspruch zwischen Erfahrung und Vorsicht noch nicht lösen konnten. Genau das aber machte ihn nun wiederum besonders Interessant, denn diese Fragen suchten nach einer Antwort ...
„Wir haben ein gutes Stück geschafft in dieser Nacht, Tolsmoi!“, meinte einer, der gerade eine Kiste über den Boden an ihm vorbei zog. „Wie lange werden wir uns zu diesem Ort verhalten?“
Rhodes antwortete nicht. Mit zusammengekniffenen Augen musterte er aufmerksam die Weite der Singala und das erstrahlen des Himmels. Er war eigentlich sehr zufrieden. Sie hatten tatsächlich eine erstaunliche Strecke zurückgelegt, weil sie wegen des Sternenhimmels auf die zeitraubende Marschformation verzichten konnten. Es mochte in dieser Nacht gut das Doppelte der Strecke gewesen sein, die sie Tags zuvor geschafft hatten.
Aber die Offenheit der Singala bereitete ihm mehr und mehr Sorgen. Solange sie noch die Grenze dieses unheilen Ortes hinter sich ausmachen konnten, schien sie noch nicht so bedrohlich wie jetzt, wo der Blick in jede Richtung dasselbe Panorama bot. Einzig die Schneise des Pfluges hinter ihnen gab Auskunft darüber, in welcher Richtung ihr Ausgangspunkt lag – und die Sonne natürlich im Ungefähren. Ihr Verhalten erschien hier aber eher trügerisch. Ihr Lauf am Himmel war alles, worauf man sich bei ihr noch beziehen konnte. Hier unten in der Landschaft, die keine mehr war, gab es nichts mehr, woran man sich orientieren konnte. Woran sollte man den Lauf der Sonne prüfen? Was, wenn sie sich gerade jetzt entschied, einen anderen Weg am Himmel zu nehmen? Rhodes kniff die Lippen zusammen, und sein Blick wechselte einen Moment zu dem neben ihm stehenden Wagen. Er durfte nicht zu lange in diese Grenzenlosigkeit hinein starren ...
Zögerlich wagte er einen erneuten Blick in die Singala. Ein Gegner würde in ihr keine Deckung finden – aber sie selbst ebenso wenig ... .und was noch schwerer wog: Sie kannten ihren Gegner nicht! „Den ganzen Tag!“, sagte er endlich – mehr laut denkend, als tatsächlich antwortend. Aber der gefragt hatte, war eh mit seiner Kiste weitergezogen, nachdem die Antwort zu lange ausblieb.
Entschieden wendete Rhodes sich von der Singala ab und der geschäftigen Menge zu. „Holt die Wagen zurück und baut sie so auf, dass sie sich in einem engen Kreis zueinander Verhalten – die Tiere in die Mitte!“
Unmutsäußerungen wurden laut. Niemand konnte mit der Anweisung etwas anfangen, zumal sie ohne den Anblick der Wagen vor ihren Augen, die ihren Blick in die Singala immer wieder unterbrachen, gezwungen waren, ihr vollends den Rücken zuzukehren.
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