„Richtig so, Schatz, lass den alten Mann ein bisschen schmoren. Was denkt der sich denn? Beleidigt mich und das als Pfarrer. Am liebsten würde ich ihm eine reinhauen.“
„Das wirst du nicht tun. Ich hasse diese Diskussion über das Haus und ich hasse Streit. Vertragt euch! Aber es muss nicht heute sein. Papa hat mich sehr verletzt. Ich liebe dich, Schatz, und ich bereue es nicht dich geheiratet zu haben.“
„Ich liebe dich auch. Jetzt muss ich los. Versuch du doch mal deinen Vater zu überzeugen, dass es besser ist, wenn er das Haus verkauft, solange er so viel Geld dafür bekommt. Wenn wir das später erben, ist es so marode, dass wir es abreißen lassen müssen und dann haben wir keinen Gewinn, sondern nur Kosten.“
„Papa wird es nicht verkaufen. Schlag dir das aus dem Kopf.“
Timur ließ sie los und nahm seine Jacke. Er verstaute sein Handy in der Hose und machte sich auf den Weg zur Arbeit in die Firma für Import und Export, die er ganz allein führte. Sie verabredeten sich für den Abend zum Essen und Beatrice blieb allein zurück.
Sie war durcheinander: Wer hatte recht? Papa, der sagte, die Immobilienleute seien Betrüger oder Timur, der das Ganze sehr sachlich sah?
„Guten Morgen, Frau Nachbarin.“
Es war acht Uhr und als Bianca die Wohnung verließ, stand auch Eike Strengler plötzlich im Hausflur.
„Guten Morgen“, sagte Bianca erschrocken und blickte zu Boden, weil sie spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss.
Eike Strengler trug einen schmal geschnittenen dunkelblauen Anzug, passende Schuhe und eine beige Aktentasche unter dem Arm. Seine blauen Augen leuchteten, als er seine neue Nachbarin ansah. Sie war lässig gekleidet, die Haare fielen ihr sanft über die Schultern und er fand es absolut entzückend, dass sie jetzt schon das zweite Mal rot wurde. Er fragte sich im Stillen: Liegt das an mir oder ist sie einfach nur schüchtern?
„Arbeiten?“, fragte er kurz.
„Ja, was muss, das muss. Bis dann.“
Leichtfüßig lief sie die Treppe hinunter.
„Moment bitte!“, rief Eike ihr nach.
Bianca blieb auf dem unteren Treppenabsatz stehen und schaute nach oben.
„Ja?“
„Haben Sie einen Akkuschrauber? Meiner hat gestern den Geist aufgegeben. Ich hatte bei Ihnen geklingelt, aber Sie waren wohl unterwegs.“
„Ich war mit meiner Freundin in Erbach zum Wein trinken.“
Bianca biss sich auf die Lippe und dachte: Warum, zum Teufel, erzähle ich dem Kerl so etwas?
„Das hört sich gut an. Also, haben sie einen?“
„Einen was?“
„Haben Sie einen Akkuschrauber?“
„Oh Mann, ich bin noch so müde“, redete sich Bianca heraus und zwang sich zu einem Lächeln, „natürlich habe ich einen Akkuschrauber und Sie können ihn gerne ausleihen.“
„Gut, dann werde ich nach der Arbeit noch einmal bei Ihnen läuten. Bis später.“
Bianca murmelte im Auto vor sich hin: „Ich habe ein Date, nein, ich habe kein Date. Ich leihe ihm nur meinen Akkuschrauber. Ganz ruhig bleiben. Nur der Akkuschrauber.“
Entschlossen startete sie den Motor und fuhr ins Büro. Dort wartete Ferdinand bereits und sah seine Kollegin an.
„Du siehst verändert aus. Ist etwas passiert?“
Bianca überlegte, ob sie Ferdinand von Eike erzählen sollte. Ja, dachte sie, er ist mein bester Freund und bringt mich vielleicht wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.
„ER ist mir passiert … mein neuer Nachbar.“
Ferdinand grinste breit und sah plötzlich ganz zufrieden und glücklich aus.
„Das ist super!“, rief er enthusiastisch. „Du siehst wirklich aus, als wärst du einem guten Geist begegnet. Und ich dachte schon, du findest Hannes doch ganz passabel.“
„Ach, Ferdinand, Hannes ist ein netter Typ, aber es gab nicht den kleinsten Funken.“
„Und bei deinem Nachbarn hat es gefunkt?“
„Es war, als hätte mich der Blitz getroffen. Er leiht sich heute meinen Akkuschrauber, ich muss also pünktlich heim.“
Der Kommissar lachte, kam um den Schreibtisch herum, zog Bianca vom Stuhl hoch und nahm sie in den Arm.
„Den Akkuschrauber also. Dann wünsche ich dir mal viel Spaß bei der Übergabe. Ich gönne es dir von Herzen und das weißt du, aber sei trotzdem vorsichtig, ja? Ich will nicht, dass dir jemand wehtut.“
Bianca lehnte sich in Ferdinands Arme und nickte.
„Ich kenne ihn ja nur von den drei Minuten, die wir uns bisher gesehen haben. Wenn er ein Mistkerl ist, darfst du ihn verhauen. Aber jetzt müssen wir arbeiten, damit ich einen klaren Kopf bekomme. Zu Peter Jischeck?“
„Jawohl, Chefin. Komm!“
Sie fuhren in die Felsstraße, die Fotos der Mitarbeiter von Ludger von Etzelsbach in der Tasche. Der Pfarrer öffnete nach wenigen Sekunden und hatte eine Einkaufskiste in der Hand.
„Ah, guten Morgen. Ich wollte gerade einkaufen, aber das kann ich auch später noch machen. Kommen Sie bitte herein.“
Er ging voraus in die Küche und bot den beiden Besuchern einen Platz an.
„Sie waren bei uns, sagte der Staatsanwalt“, begann Bianca.
„Ja, ich wollte Ihnen von meinen Gesprächen mit den Nachbarn berichten. Kann ich Ihnen etwas anbieten?“
„Nein danke“, sagte Ferdinand, „dann schießen Sie mal los. Wir hätten jetzt die gesamte Nachbarschaft befragt.“
Peter Jischeck holte einen Schreibblock aus dem Arbeitszimmer und setzte sich neben Ferdinand. Er fuhr mit dem Zeigefinger über den ersten Namen.
„Neben dem Haus von Bernd Fregge wohnen die Röbergs, Ottmar und Sigrun. Wie ich erfahren habe, haben sie ihr Haus an den Makler verkauft, auch die Wieglers, Hennes und Mira mit ihren zwei Kindern. Ich war entsetzt, aber sie schienen irgendwie erleichtert, dass der Stress mit den Männern vorbei ist. Die Wieglers ziehen nach Geisenheim und die Röbergs nach München.“
„Es scheint, sie haben aufgegeben. Herr Jischeck, wer hat denn noch nicht unterschrieben?“
„Ich.“
„Hm, und Sie wollen bleiben?“
„Auf jeden Fall. Aber ich denke, diese Typen haben meinen Schwiegersohn irgendwie mit eingebunden. Timur und meine Tochter waren letztens hier und wir haben uns deswegen gestritten. Mir sind da Dinge herausgerutscht, die ich nie so sagen wollte. Aber Timur hat ewig auf dem Thema herumgehackt und wollte mich partout davon überzeugen, dass es das Beste wäre zu verkaufen. Ach ja, und natürlich Bernd. Er hat auch nicht verkauft.“
Bianca und Ferdinand sahen sich an.
„Er hat“, sagte Bianca leise.
„Nein!“, rief Peter. „Das kann nicht sein. Er war noch bei mir und hat immer gesagt, dass er sich nicht kleinkriegen lässt. Das geht nicht mit rechten Dingen zu.“
Ferdinand holte jetzt die Fotos heraus, die ihnen Hannes mitgegeben hatte. Er legte sie nebeneinander auf den Tisch und wollte wissen, ob Peter jemanden erkennen würde. Der Pfarrer tippte auf eines der Bilder. Es war das von Sandro Dieck.
„Der war Anfang der Woche hier und hat geklingelt. Ich habe nicht aufgemacht, nur aus dem Fenster geschaut. Der und der mit dem brutalen Gesichtsausdruck haben den Brief gebracht und waren auch nebenan bei Bernd.“
Auf dem zweiten Bild sah Ferdinand Jewgeni Sabritschek. Er konnte sich vorstellen, welchen Eindruck die beiden zusammen auf die Bewohner der Straße gemacht hatten.
„Ist noch jemand von den Nachbarn hier oder sind sie schon ausgezogen?“
„Die Wieglers packen. Der Mann muss arbeiten, aber die Frau ist sicher zuhause, denn sie betreut die kleinen Kinder. Soll ich Sie begleiten?“
Bianca schüttelte den Kopf.
„Nein, wir gehen lieber allein. Vielleicht ist es den Leuten unangenehm über den Verkauf zureden. Gibt es noch andere Menschen, die von den Männern unter Druck gesetzt wurden?“
„Nein, nur wir vier. Die anderen drei Häuser sind schon länger leer.“
Читать дальше