„Wo treiben Sie sich denn herum? Hier war ein Mann, der mit Ihnen sprechen wollte.“
„Wir arbeiten auch außerhalb des Büros“, sagte Ferdinand knapp.
„Jaja, sie schuften sich noch irgendwann zu Tode.“
„Wer war denn der Mann?“, fragte Bianca, die sich nicht streiten wollte.
„Ein Peter Irgendwas, keine Ahnung. Er sagte, er wolle nochmal wiederkommen. Er ist mir direkt in die Arme gelaufen, aber da Sie mir ja nicht sagen, wo Sie hingehen, konnte ich ihm nicht helfen.“
„Peter Jischeck, der Pfarrer. Er hat vielleicht Neuigkeiten für uns.“
„Was hat denn ein Pfarrer mit dem Fall zu tun?“, knurrte der Staatsanwalt.
„Er hatte auch mit der Immobilienfirma zu tun. Einige Menschen in der Felsstraße sollen ihr Haus verkaufen.“
Aus irgendeinem Instinkt heraus wollte Bianca dem Staatsanwalt nicht mehr zu dem Fall sagen. Dr. Rosenschuh wollte am Anfang immer gar nichts wissen und später dann alles, aber das ärgerte Bianca schon lange.
Sie sagte nur: „Wenn wir nähere Informationen haben, schreiben wir einen Bericht. Bis jetzt sind es nur einzelne Puzzleteilchen, die wir noch zusammenfügen müssen.“
„Na, dann puzzeln Sie mal schön“, blaffte Dr. Rosenschuh und verschwand.
„Oh Mann“, brummte Ferdinand, „der geht mir auf die Nerven. Ich muss unbedingt Dienststellenleiter werden, dann lasse ich den nur noch mit Anmeldung ins Haus.“
Bianca lachte und winkte ab.
„Er bellt ja nur und beißt nicht.“
„Wie hat dir denn unser Kollege Hannes gefallen?“
„Er ist ein netter Kerl, da hast du nicht zu viel versprochen, aber mein Herz hat nicht gehüpft.“
„Schade, der ist wirklich ein guter Mann. Aber ich verstehe dich. Es müssen schon Schmetterlinge sein.“
„Du sagst es“, erklärte Bianca und küsste Ferdinand auf die Wange. „Aber jetzt ist erstmal Feierabend. Ich habe einen Termin beim Friseur und bin morgen früh wieder im Büro. Außerdem muss ich mich mal wieder mit Riva verabreden.“
Bianca war mit frisch geschnittenen Haarspitzen einkaufen gewesen und hatte sich danach auf den Heimweg gemacht. Beim Friseur hatte sie Riva angerufen und sich mit ihr zum Abendessen verabredet. Sie wollten sich in Erbach im Weinhof Martin treffen, ein gutes Glas Wein trinken und Juttas berühmten Zwiebelkuchen probieren.
Vor dem Haus stand ein fast leerer Möbelwagen. Oh, dachte Bianca, da zieht doch nicht etwa jemand in die Wohnung gegenüber. Sie hoffte, dass es niemand war, der auf eine gemütliche Nachbarschaft pochte und ständig Mehl und Zucker leihen wollte. Seufzend ging sie um ihr Auto herum und öffnete den Kofferraum, um den Einkaufskorb herauszunehmen. Als sie die Klappe wieder schloss, blieb ihr Herz stehen, um zwei Sekunden später heftiger denn je in ihrer Brust zu hämmern. Unwillkürlich zog sie den Bauch ein und spürte, wie sie rot wurde.
Am Möbelwagen stand ein Mann und schloss gerade die hinteren Türen. Er nickte ihr freundlich zu und Bianca konnte nicht wegsehen, so sehr hatte sie der Anblick des Mannes aus dem Konzept gebracht. Er war groß, schlank und sportlich, seine Haut gebräunt, er trug Flipflops und kurze Sporthosen. Über den Schultern lag sein T-Shirt und Bianca starrte seine straffen Brustmuskeln an. Sie musste schlucken, als er jetzt sein blondes Haar zurückstrich. Seine blauen Augen und die sanft geschwungenen Lippen weckten Erinnerungen an eine Zeit, als sie sich noch wie eine richtige Frau gefühlt hatte. Sie dachte: Verzeih mir, Michael.
„Hallo, Eike Strengler, ich bin Ihr neuer Nachbar“, sagte er mit tiefer Stimme, während er ihr an der Haustür den Vortritt ließ.
„Hallo“, kam es heiser über ihre Lippen, „ich bin Bianca.“
„Ah, dann wohnen wir ja einander gegenüber.“
Er lächelte erneut und als sich ihre Blicke trafen, ahnte Bianca, dass hier genau das geschehen war, was sie vor kurzem Ferdinand erklärt hatte: Es musste richtig knallen, wenn sie jemals wieder einen Mann in ihr Leben lassen sollte.
„Darf ich Ihnen etwas abnehmen?“, fragte der Mann höflich.
„Nein, danke, es geht schon. Außerdem haben Sie doch wohl genug geschleppt heute. Herzlich willkommen in Eltville.“
„Danke“, sagte er, zwinkerte und verschwand in seiner Wohnung.
Bianca schob ihre Tür mit dem Fuß zu, stellte den Korb in die Küche und sank auf den Küchenstuhl. Sie versuchte zu atmen und an etwas anderes zu denken, aber es gab nur ein einziges Bild in ihrem Kopf: den neuen Nachbarn. Sie räumte die Einkäufe weg, kochte sich eine Tasse Kaffee und dann fiel ihr wieder ein, dass sie eine Verabredung mit Riva hatte. Sie duschte und musste ständig gegen den Gedanken ankämpfen, dass sie sich mit ihrem neuen Nachbarn gemeinsam unter der Dusche sah.
„Jetzt ist aber Schluss!“, beschimpfte sie ihr Spiegelbild, nachdem sie in ein Handtuch gewickelt ihre Haare bürstete. „Das ist bestimmt ein Blender und so etwas brauche ich ganz sicher nicht.“
Sie wollte diesen vernünftigen Gedanken nicht verlieren, aber irgendwie gelang es ihr nicht. So, wie der Mann sich ihr gegenüber verhalten hatte, schien er echt und nett zu sein. Seit langer Zeit hatte sie ihren Instinkt nicht mehr bei sich selbst gespürt, aber jetzt wusste sie tief in ihrem Inneren, dass dieser Eike Strengler ohne Anlauf ihr Herz erobert hatte.
„Ich muss das unbedingt mit Riva besprechen.“
Mit ernstem Blick löschte Bianca das Licht im Bad, zog sich an und machte sich auf den Weg nach Erbach. Bevor sie die Wohnung verließ, sah sie durch den Türspion, um sicherzugehen, dass ihr der Mann nicht noch einmal über den Weg lief. Sie war genügend durcheinandergeraten und musste wirklich erstmal mit jemandem reden.
Im Weingut angekommen setzte sie sich unter das Dach des Pavillons und bestellte ein Glas weißen Burgunder. Zehn Minuten später traf auch Riva ein. Die Frauen umarmten sich herzlich und Riva orderte auch ein Glas Wein und dazu die Karte.
„Ich könnte ein ganzes Schwein verschlingen, so einen Hunger habe ich“, rief die temperamentvolle Freundin und atmete tief durch. „Mann, was für eine gute Luft. Im Keller ist es einsam, seit du nicht mehr da bist und ich habe so viel Arbeit, dass ich kaum noch Freizeit habe. Liebe Bianca, wie geht es dir denn?“
„Es geht mir gut. Und ich muss dir nach dem Essen dringend etwas erzählen.“
„Oh, ich bin gespannt. Zweimal Zwiebelkuchen bitte!“
Die Teller kamen und sie aßen mit Genuss, wobei Riva vom geplanten Urlaub erzählte. Sie wollte unbedingt nach Südfrankreich, aber ihr Mann hatte mehr Interesse an einer Reise nach Südafrika. Jeden Abend diskutierten sie, was das bessere Urlaubsziel war.
„Na, am Ende werde ich gewinnen und mein Schatz ist glücklich, wenn ich es bin. So, das war sehr lecker. Prost, Bianca, auf die Liebe!“
Bianca hob ihr Glas und grinste.
„Das ist genau das richtige Thema. Ich habe einen neuen Nachbarn.“
Riva begann zu husten und lachte. Das ist ja eine Überraschung, dachte sie, und stützte ihr Kinn auf die Hände.
„Erzähl!“
Bianca begann bei der Begegnung mit Hannes und machte dann ein geheimnisvolles Gesicht.
„Als ich nach Hause kam, sah ich IHN.“
Nun erzählte sie ihrer Freundin detailliert von der ersten Begegnung mit Eike. Sie schwärmte von seiner äußeren Erscheinung genauso wie von seiner netten Art, denn sie wusste, dass Riva sich nicht über sie lustig machen würde.
„Was soll ich denn jetzt machen?“, beendete sie ihren Bericht. „Ich bin hin und weg, aber ich kann ja schlecht bei ihm läuten und ihn anspringen.“
„Och, warum eigentlich nicht. Aber vielleicht wartest du erstmal ab, bis er seine Wohnung eingerichtet hat. Sonst musst du nachher noch helfen und seine Gardinen aufhängen. Süße, wenn du ihn willst, dann geh ruhig auf ihn zu. Wie alt ist er denn?“
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