Robert Kraft - Ein moderner Lederstrumpf
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Ein von Jules Vernes beeinflusster Abenteuerroman. Statt in 80 Tagen um die Erde, darf sich der Protagonist hier jedoch 300 Tage Zeit nehmen – und hat ein Fahrrad.
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Ein
moderner
Lederstrumpf
Robert Kraft
Inhaltsverzeichnis
1. Capitel. Aus Laune. 1. Capitel.
2. Capitel. Zu spät gekommen.
3. Capitel. Ein Weltenbummler.
4. Capitel. Der achte September.
5. Capitel. Wieder verdorben.
6. Capitel. Ach, wenn er doch käme.
7. Capitel. In der Prairie.
8. Capitel. Das Verhältniss ändert sich nicht.
9. Capitel. Die Reise wird gefährlich.
10. Capitel. Die Ankunft.
11. Capitel. Auseinandersetzungen und Entdeckungen.
12. Capitel. Ruhetage.
13. Capitel. Mister Schade.
14. Capitel. Die Fahrradprobe und eine Schwimmlection.
15. Capitel. Die unglückliche Hose.
16. Capitel. Die letzte Stadt.
17. Capitel. In der Prairie.
18. Capitel. Das Kriegszeichen.
19. Capitel. Fünf Tage Verlust.
20. Capitel. Colonel Sidney Horst.
21. Capitel. Belagert.
22. Capitel. All Heil!
23. Capitel. Ohne Wasser.
24. Capitel. Ohne Hoffnung.
25. Capitel. Ausgespielt und ausgefochten.
26. Capitel. Der verhängnissvolle Schuss.
27. Capitel. Schluss.
Impressum
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Alle Rechte vorbehalten
____________________
1. Capitel.
Aus Laune.
Pall-Mall heisst der Stadttheil Londons, in welchem sich die Paläste der vornehmen Clubs befinden, deren Mitgliedssteuer im Jahre durchschnittlich zwanzig Pfund Sterling beträgt. Fast das Doppelte und hundert Pfund Eintritt kostet der Lady-Champion-Club.
Seine Mitglieder sind fast nur unverheirathete Damen, meist selbstständig, alleinstehend. Was soll man denn nur mit der fürchterlich vielen Zeit anfangen! Die Eine sammelt Briefmarken, die Andere führt Buch über die ihr täglich begegnenden Schimmel, die Dritte liest alte Stiefeleisen von der Strasse auf — man dressirt Meerschweinchen und füttert Möpse todt — sie spielen Whist, Theater, Billard, Lawn-Tennis — sie reiten, turnen, fechten, schwimmen, fahren Rad und rennen mit dem Kraftwagen den festesten Laternenpfahl und den standhaftesten Policeman über den Haufen. Der Club ist die einzige Zuflucht vor dem schrecklichen Gespenst der Langenweile, hier kann man wenigstens in Gesellschaft gähnen — bis Heirath oder ein anderes Ereigniss ihrem Leben eine nützlichere Richtung giebt, ausgenommen bei einigen emancipirten Fanatikerinnen, welche am liebsten die ganze Männerwelt als einen Missgriff der Schöpfung ausrotten möchten.
In dem prunkvollen Bibliothekszimmer befanden sich zwei junge Damen. Die Eine, vor dem Tische stehend und mit einem Cirkel auf Landkarten messend, vertrat den Typus der normannischen Rasse, welche zur Zeit, als sie England eroberte, schon stark mit französischem Blute gemischt war: schwarz, tiefbrünett, klein, zierlich, aber voll; im uebrigen ein schönes, gereiftes Weib, Lady Judith Barrilon, eine kinderlose Wittwe. Die Andere dagegen, welche sich in dem amerikanischen Schaukelstuhle wiegte, Miss Ellen Howard, war angelsächsischen Stammes, die echte, schlanke Engländerin mit dem aschblonden Haar, den blaugrauen Augen, der geraden, stolzen Nase und dem wunderbaren Teint, welcher an Schläfe und Hals die blauen Aederchen durchscheinen lässt.
»Nun? Wieviel Meilen sind es?«
»Einen Augenblick noch, liebe Ellen, ich bin gerade bei Europa.«
Seit gestern prangte an allen Ecken Londons ein riesengrosses Plakat in bunten Farben, einen von einem langhaarigen Windhunde begleiteten Radfahrer darstellend, der sich in einem ganz merkwürdigen Lande in einer ganz gefährlichen Lage befand. Zunächst versuchte ihn ein hinter ihm her in Carriere reitender Araber mit seiner Lanze anzuspiessen; dann wollte ihm ein Australneger, der mit dem Pferde gleichen Schritt hielt, mit der Kriegskeule den Schädel einschlagen; ein Indianer, welcher auch nicht schlecht laufen konnte, hatte es offenbar auf seinen Scalp abgesehen; ein Malaye wollte ihn mit dem Kris anstechen; bequemer hatte es ein Tatar hoch zu Kameel, und diesen zweifüssigen Verfolgern schlossen sich ein zähnefletschender Löwe, ein Panther und sogar eine Riesenschlange an.
Doch das Publicum brauchte so wenig wie der Radfahrer Angst zu haben, denn darüber stand in grossen Lettern: »Das Globe-Rad holt Niemand ein« und darunter: »In fünfhundertundzwölf Tagen auf ein und demselben Globe-Rade rund um den Erdball« und dann weiter wurde gesagt, dass dies der berühmte Mr. Harry C. Stout sei, über dessen Abenteuer die Globe-Rad-Fabrik eine Broschüre herausgegeben habe, welche Jedem gratis und franco zugeschickt würde.
Nun, lauter Schwindel war dies nicht. Jener Stout hatte diese Reise gemacht. Man hatte oft in den Zeitungen von dem Weltenfahrer gelesen, manchmal hatte Jemand im Ausland, der ihm begegnet, einen Bericht über ihn geschickt; als einmal in Beludschistan ein europäischer Radfahrer massacrirt worden war, hatten sich auch Andere als nur Sportsmen für ihn interessirt — doch Mr. Stout war das nicht gewesen, denn der war vor einigen Tagen gesund zurückgekehrt; das Rad, das er benutzt, stand jetzt lorbeerbekränzt und noch mit dem letzten Schmutze bedeckt in einem Schaufenster der Regentstreet. Und die Maschine sah allerdings aus, als ob sie etwas erzählen könne; in den Knochenhandgriffen waren ganz deutlich die Fingerabdrücke zu erkennen, und da waren einige Reparaturen vorgenommen und in einer Weise ausgeführt worden, welche einen Fahrradschlosser oder auch einen knotenkundigen Matrosen über die technische Geschicklichkeit dieses Sportsmans nachdenklich machen musste.
Lady Judith maass den zurückgelegten Weg aus. Von London mit dem Schiffe nach New-York, quer durch Amerika nach San Francisco, wieder mit dem Dampfer über Singapore nach Calcutta, und nun die grosse Landtour Nagpore, Bombay, nordwärts die Küste entlang über Hyderabad am Indus, durch Beludschistan, durch Persien über Kerman und Ispahan, weiter über Bagdad, Aleppo, Constantinopel, Belgrad, Wien, Frankfurt a. M., Antwerpen zurück nach London.
»Das sind,« sagte jetzt Lady Judith, »rund 8500 Meilen, welche er per Rad zurückgelegt hat, und ich kann ja nur die Luftlinie von Stadt zu Stadt messen; was mag da Alles noch dazukommen. Eine ganz erstaunliche Leistung!«
»Wie viel Meilen kommen da durchschnittlich auf den Tag?« Jene nahm statt des Cirkels den Bleistift zur Hand. »Da ist zunächst die Seefahrtszeit abzurechnen. Die Reise von San Francisco nach Calcutta wird allein vier bis fünf Wochen in Anspruch nehmen — ich will, um eine runde Zahl zu bekommen, auch die Wartezeit bedenkend, 62 Tage abziehen. 8500 Meilen dividirt durch 450. Sagen wir: 19 Meilen den Tag.«
»Nicht mehr?!« erklang es verächtlich vom Schaukelstuhle her. »Da sehen Sie, wie man sich von grossen Zahlen täuschen lässt. 19 Meilen den Tag! Das ist ja ein Kinderspiel.«
»Na, na, liebe Ellen, machen Sie das einmal nach. Und dann müssen Sie doch auch die Verhältnisse bedenken. Man fährt nicht in der Luft, sondern auf krummen Wegen, und was für Wege mögen dies manchmal sein.«
»Immerhin, dies verdient wirklich keine Bewunderung. 8500 durch 30 macht ungefähr 280 — sagen wir 32 Meilen pro Tag — jawohl, ich will die ganze Geschichte in 300 Tagen machen.«
Die längere Pause entstand dadurch, dass Lady Judith ein silbernes Etui aus der Tasche zog, ihm eine Cigarette entnahm, diese bedächtig anbrannte und erst einige Rauchwölkchen durch die kleine, gebogene Nase blies.
»Sie?« lachte sie dann spöttisch, und merkwürdig war es, dass sie erst so spät lachte. »Verzeihen, Sie, Miss Howard — aber wirklich — ich stellte Sie mir nämlich vor, wie Sie durch Indien radeln, jeden Tag 32 Meilen. Ich war schon in Indien. Nein, liebe Ellen, das könnten Sie nicht fertigbringen.«
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