„Also, ich war da auf dieser Party. Dann musste ich pissen und das Klo war zu, also bin ich raus auf den Hof. Und da war sie. Sie stand einfach nur so da und hat gezittert.“
„War irgendjemand in der Nähe zu sehen?“
„Nein, sie war ganz alleine. Ich bin dann zu ihr hin und habe sie angesprochen. Sie hat nicht reagiert. Da habe ich sie gefragt, ob sie mit reinkommen will.“
„Und?“, fragte Ferdinand, als Toby nicht weiterredete.
„Sie war irgendwie merkwürdig, als wäre sie zugedröhnt. Ich dachte, sie hat sich was eingeworfen, um mehr Spaß zu haben. Als ich sie am Arm ein Stück ziehen wollte, hat sie angefangen zu heulen. Ich habe sie dann gefragt, ob sie lieber nach Hause will und sie hat genickt.“
„Hat sie gesagt, wo sie wohnt?“
„Nein, sie hat gar nichts gesagt. Überhaupt kein Wort. Sie ist dann losgelaufen. Irgendwann waren wir in den Weinbergen angekommen und sie ist stehengeblieben.“
„Warum das?“
„Keine Ahnung, es war, als wäre ihr eingefallen, dass sie auf dem falschen Weg war. Ich habe gesagt, dass ich sie hübsch finde. Sie sah aus, als wenn sie gar nicht kapiert, was ich sage. Ich wollte sie küssen und ein bisschen fummeln, aber da ist sie plötzlich wahnsinnig schreiend auf mich losgegangen. Ich wollte das nicht, glauben Sie mir!“
Beim letzten Satz hatte er wieder begonnen zu jammern und zu weinen. Er schlug die Hände vor das Gesicht und Ferdinand ahnte, dass aus ihm nichts mehr herauszubekommen war.
Der Kommissar gab dem Kollegen in Uniform einen Wink und der führte den Täter ab. Ferdinand blieb sitzen und drehte sich zu Ella um.
„Was ist los?“
Ella stieß sich von der Wand ab, setzte sich auf den Stuhl, auf dem eben noch Toby Däkelts gesessen hatte und fuhr sich durch die roten Haare.
„Sie hat Schluss gemacht und geht zurück nach Berlin“, sagte die Kommissarin so sanft wie noch nie.
Ferdinand ahnte, wie düster es jetzt in seiner Kollegin aussah, aber er wusste auch nicht, was er sagen sollte.
Ella sprach weiter, als wäre er nicht anwesend: „Ich bin wegen ihr hergekommen und jetzt sagt sie mir, dass sie es nicht mehr ertragen kann, dass ich so viel Zeit für meinen Beruf aufbringe und es manchmal passieren könne, dass ich nicht mehr heimkomme. Sie hatte schon alles hinter meinem Rücken arrangiert.“
Sie sah Ferdinand jetzt an.
„Und weißt du was? Sie hat verdammt nochmal recht! Ich war so wenig zuhause, dass ich nichts davon mitbekommen habe. Nichts!“
„Das tut mir leid.“
Ella nickte.
„Mir auch. Dieser Scheißjob frisst uns alle auf. Hast du ein Privatleben?“
„Nein“, sagte Ferdinand ernst. „Ich will gar keine Beziehung eingehen, denn ich könnte niemals die Ansprüche an ein richtiges Familienleben erfüllen. Meine Mutter hat immer gedrängt, dass ich mir eine Frau suche, aber wer will denn schon einen Mann, der so viel Zeit für seinen Job aufbringen muss? Wenn wir das nicht täten, könnten wir auch einen Bürojob bei der Versicherung machen.“
„Ich liebe diese Frau, aber vielleicht hast du einfach recht und man ist ohne Liebe glücklicher. Es fühlt sich nur scheiße an. Und um mir zu sagen, dass sie mich verlässt, lädt sie mich auch noch zum Essen ein. Ich hätte am liebsten gekotzt.“
„Glaubst du nicht, du kannst sie überreden zu bleiben?“
„Nein, sie hat hier den Job gekündigt, in Berlin wartet bereits eine neue Stelle und sie hat sogar schon eine Wohnung. Wie nett, dass ich die hier behalten darf.“
Der Staatsanwalt riss die Tür auf und stürmte herein.
„Wir haben einen Mordfall zu klären und Sie halten einen kleinen Plausch? Haben Sie nichts zu tun?“
Ella stand auf und ging wortlos aus dem Raum. Ferdinand bat Dr. Rosenschuh sich zu setzen. Der blieb stehen und stützte sich auf dem Tisch ab.
„Haben Sie etwas herausgefunden und arbeiten jetzt daran oder wollen Sie die liebe Kollegin trösten?“
Ferdinand ging nicht darauf ein und blieb ruhig.
„Sie stand einfach nur da. So wie das Mädchen vor zwei Jahren. Keiner weiß, woher sie kam. Es muss also eine Verbindung geben.“
„Papperlapapp, so ein Quatsch. Haben Sie sich schon bei Frau Verskoff angesteckt mit diesem Wahnsinn? Die hat auch immer und überall irgendwelche Verbindungen gesehen.“
„Sie hatte jedes Mal recht, wenn ich den Kollegen glauben darf.“
„Machen Sie, was Sie wollen. Ich sehe keine Verbindung, der Fall ist damit erledigt, also gehen Sie und trösten Frau Grassoux. Den Bericht können Sie auch morgen noch tippen.“
Ferdinand stand auf und biss sich auf die Unterlippe. Er beschloss zu Bianca ins Archiv zu fahren, aber er hatte nicht die Absicht, den Staatsanwalt darüber zu informieren. An der Tür drehte er sich noch einmal um.
„Ella geht es nicht gut und ich denke, ein wenig Mitgefühl würde Ihnen auch mal ganz gut stehen.“
Dann verließ er das Zimmer und verpasste das wütende Schnaufen des Staatsanwaltes.
„Was bildet der Kerl sich ein?“, murmelte er leise und lief zurück in sein Büro.
Bianca überlegte, ob sie schon Feierabend machen sollte, aber was wollte sie zuhause? Kurz entschlossen zog sie noch einmal die Akte von Karoline zu sich heran. Sie legte ihr Bild neben das von der unbekannten Toten. Die Ähnlichkeit war stark, aber auch wieder nicht.
Alle hatten vor zwei Jahren fieberhaft nach Angehörigen der jungen Frau gesucht, aber ohne Erfolg. Niemand schien sie vermisst zu haben. Karoline lebte jetzt in einem Pflegeheim und saß den lieben langen Tag schweigend in ihrem Zimmer. Man führte sie immer wieder in den Garten, aber kurze Zeit später lief sie zurück ins Haus. Die Psychologin vermutete, dass sie für eine lange Zeit, wenn nicht ihr ganzes vorheriges Leben, irgendwo eingesperrt gewesen war, jedoch war rätselhaft, warum sie keinen Drang verspürte, aus dem Haus zu gehen. Es war, als würde ihr die kleine Welt ihres Zimmers reichen.
Das Telefon klingelte.
„Ja, schicken Sie ihn herunter. Nein, Riva ist schon weg. Sie hat einen Zahnarzttermin.“
Ferdinand Waldhöft war oben und hatte gefragt, ob er noch einmal mit Bianca reden könne. Der Mann war ihr sehr angenehm, denn er schien nicht so aufdringlich und besserwisserisch zu sein wie andere. Außerdem kannte er Nicola. Das fand Bianca eigenartig.
„Hallo, Frau Verskoff“, sagte er, als er den Kopf durch die Tür steckte.
„Kommen Sie herein, Herr Waldhöft“, forderte Bianca ihn auf und bot ihm einen Kaffee an.
„Gerne. Wir haben den Täter, aber der liebe Staatsanwalt will, dass wir den Fall zu den Akten legen.“
„Ohne zu wissen, wer das Opfer ist? Der spinnt wohl?“, platzte es aus Bianca heraus.
Ferdinand lachte und winkte ab.
„Sie kennen ihn doch. Er hat den Fall gelöst, den Täter verhört und weil der ein Geständnis abgelegt hat, ist für ihn alles andere erledigt. Er pfeift auf das Opfer.“
„Ich kenne ihn viel zu gut. So ein Wichser.“
Ferdinand war erstaunt, dass solche Worte aus dem Mund dieser sanften Frau kamen. Der Schmerz in ihren Augen war auch heute wieder sehr präsent und er spürte Schwingungen: Verzweiflung und Resignation. Bianca Verskoff hatte sich hier versteckt, ihren Kampfgeist hatte sie tief in sich vergraben.
„Was denken Sie, woher das Mädchen kam? Der Täter sagte, sie stand einfach nur da. Er war auf einer Party und als er auf den Hof kam, war sie dort. Niemand war weit und breit zu sehen. Sie hat wohl kein einziges Wort gesagt und ist mit ihm in die Weinberge gegangen. Dort wollte er was von ihr und sie ist ausgeflippt. Da hat er sie erwürgt und anschließend vergewaltigt.“
„Er hat sie missbraucht, als sie schon tot war?“
„Ja, das ist besonders abartig. Er ist vorbestraft und als geheilt aus der Therapie entlassen worden, aber jetzt hat er sich doch wieder an einer Frau vergangen.“
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