Der Schreck, der sich jetzt des Juden bemächtigte und alle seine Glieder zu lähmen schien, war nicht zu beschreiben. Die Arme fielen ihm kraftlos herab, der Kopf sank auf die Brust, die Kniee bogen sich unter der Last des Körpers, jeder Nerv und Muskel seiner Gestalt schien ihm den Dienst zu versagen, so sank er dem Pilger zu Füßen, gleich einem, der von unsichtbarer Gewalt niedergeworfen wird und keines Widerstandes fähig ist.
»Heiliger Gott Abrahams!« rief er endlich aus, indem er seine runzeligen Hände gefaltet emporhielt, ohne jedoch das graue Haupt vom Boden zu erheben. »O heiliger Moses! O gesegneter Aaron! ich habe doch nicht ohne Grund geträumt! Schon fühle ich ihre Eisen meine Sehnen zerreißen, ihre Folterzangen über meinen Körper gehen, wie die Sägen, Eggen und Schneiden über die Männer von Rabbach und die Städte der Ammoniter.«
»Steh auf, Isaak!« sagte der Pilger, der die Angst des Juden mit einer Mischung von Mitleid und Verachtung betrachtete, »steh auf und höre mich an! Du hast freilich alle Ursache zu erschrecken, wenn Du bedenkst, wie Fürsten und Edle Deine Brüder behandelt haben, um von ihnen Schätze zu erpressen, aber stehe auf, ich will Dir das Mittel zeigen, zu entkommen. Verlaß das Haus augenblicklich, während die Bewohner desselben noch im festen Schlafe liegen. Ich führe Dich auf geheimen Pfaden, die mir so bekannt sind, wie dem Jäger dieser Forste, durch den Wald, und werde Dich nicht eher verlassen, als bis ich Dich unter dem Schutze eines Ritters oder Barons weiß, der zum Turniere zieht, und dessen guten Willen zu gewinnen Du wahrscheinlich die Mittel besitzest.«
Als Isaak von der Hoffnung zu entkommen hörte, fing er an, sich allmählich vom Boden zu erheben, bis er endlich gerade auf seinen Füßen stand. Er strich das lange, graue Haar und den grauen Bart zurück und heftete seine stieren schwarzen Augen fest auf den Pilger, mit einem Blicke, in welchem sich Hoffnung und Furcht mit einer Mischung von Argwohn zeigten. Als er aber den Schluß der obigen Rede vernahm, schien sein ursprünglicher Schreck mit aller Gewalt zurückzukehren, er fiel noch einmal auf sein Antlitz und rief aus: »Ich die Mittel besitzen, den guten Willen zu gewinnen! Es gibt ja nur einen Weg zur Gunst eines Christen, und wie kann den ein armer Jude finden, den die Erpressungen schon oft zum Elende eines Lazarus gebracht haben?« Dann rief er plötzlich aus, als hätte der Argwohn alle anderen Empfindungen in ihm unterdrückt: »Um Gottes willen, junger Mann, täuscht mich nicht! Um des großen Vaters willen, der uns alle geschaffen hat, Heiden und Israeliten und Ismaeliten, sinnet Ihr keinen Verrath? Ich habe durchaus keine Mittel, den guten Willen auch nur eines christlichen Bettlers zu belohnen, und schlüge er den Werth desselben bloß zu einem Pfennig an.« Bei diesen Worten stand er auf und faßte des Pilgers Mantel mit dem Ausdruck der dringendsten Bitte an. Der Pilger aber machte sich los, als läge Verunreinigung in dieser Berührung.
»Und wärest Du mit allen Schätzen Deines Stammes beladen,« sagte er, »was hülfe es mir, Dich zu plündern? In diesem Gewande bin ich der Armuth geweiht, und ich vertausche es um nichts als um ein Roß und einen Panzer. Glaube nicht, daß mir an Deiner Gesellschaft liegt, oder daß ich mir Vortheil davon verspreche, bleib meinetwegen hier und laß Dich von Cedric dem Sachsen beschützen.«
»Ach!« sagte der Jude, »er wird mir nicht erlauben, in seiner Begleitung zu reisen, Sachse und Normann schämen sich gleich sehr eines armen Israeliten! Und allein durch das Gebiet Philipp de Malvoisins und Reginald Front de Boeufs zu wandern! Ach, guter Jüngling, ich will mit Euch ziehen! Laßt uns eilen, laßt uns unsere Lenden gürten, laßt uns fliehen! – Hier ist Dein Stab, warum zögerst Du?«
»Ich zögere nicht,« sagt der Pilger, der den dringenden Bitten seines Gefährten nachgab; »doch muß ich mir die Mittel sichern, diesen Ort zu verlassen, folge mir!«
Er begab sich nun sogleich zur anstoßenden Zelle, in welcher, wie der Leser schon weiß, Gurth, der Schweinehirt, schlief. »Steh auf, Gurth!« sagte der Pilger zu ihm, »öffne die Hinterpforte und laß mich und den Juden hinaus!«
Gurth, dem seine Beschäftigung, die heut zu Tage sehr gering geachtet wird, im sächsischen England ebenso große Bedeutung verlieh, wie dem Eumäus in Ithaka, fühlte sich durch den vertraulichen und befehlenden Ton, den der Pilger annahm, beleidigt. »Den Juden aus Rotherwood lassen,« sagte er, indem er sich auf den Ellbogen stützte und ihn mit hochmüthigem Blick ansah, ohne sein Lager zu verlassen, »und noch außerdem, um mit dem Pilger zu reisen?«
»Ich wäre ebenso leicht auf den Gedanken gekommen,« sagte Wamba, der in diesem Augenblick in das Gemach trat, »daß er sich mit einem Schweineschinken fortschleichen würde.«
»Gleichwohl,« sagte Gurth, indem er seinen Kopf wieder auf den Holzblock niederlegte, der ihm als Kopfkissen diente, »müssen sich Jude und Christ so lange gedulden, bis das große Thor geöffnet wird, wir geben nicht zu, daß Gäste zu so ungewöhnlicher Stunde insgeheim abreisen.«
»Gleichwohl,« sagte der Pilger in gebietendem Tone, »werdet Ihr mir, denke ich, diese Gefälligkeit nicht abschlagen.«
Bei diesen Worten beugte er sich über das Bett des ruhenden Schweinehirten und flüsterte ihm einige sächsische Worte ins Ohr. Gurth sprang auf, wie elektrisirt. Der Pilger erhob seinen Finger mit einem Ausdruck, der dem anderen Vorsicht anbefahl, und setzte hinzu: »Gurth, beó vär! nimm Dich in Acht, Du pflegtest klug zu sein. Ich sage, öffne die Hinterpforte – Eála! Du sollst sogleich mehr hören.«
Mit hastiger Lebhaftigkeit gehorchte Gurth, während Wamba und der Jude folgten, beide verwundert über die plötzliche Veränderung in dem Benehmen des Schweinehirten.
»Mein Maulthier, mein Maulthier!« rief der Jude, als sie sich schon außerhalb des Hinterpförtchens befanden.
»Hole ihm sein Maulthier,« sagte der Pilger, »und höre, bringe auch mir eins, damit ich ihn begleiten kann, bis er aus dieser Gegend fort ist; ich werde es wohlbehalten zu Ashby einem von Cedrics Knechten übergeben. Und Du beó hyre, horch auf!« Das Uebrige flüsterte er Gurth ins Ohr.
»Gern, sehr gern soll es geschehen,« sagte Gurth und entfernte sich sogleich, um den Auftrag auszurichten.
»Ich wollte, ich wüßte, was Ihr Pilger im gelobten Lande lernt,« sagte Wamba, als sein Kamerad den Rücken gewendet hatte.
»Unsere Gebete hersagen, Narr,« antwortete der Pilger, »unsere Sünden bereuen und uns mit Fasten, Nachtwachen und langen Gebeten kasteien.«
»Wohl noch etwas Kräftigeres als das,« antwortete der Possenreißer, »denn wie würde Reue und Gebet unsern Gurth bewegen, jemand eine Gefälligkeit zu erweisen, oder Fasten und Wachen ihn überreden, Euch ein Maulthier zu leihen? Wahrhaftig, Ihr hättet ebenso gut seiner schwarzen Lieblingssau von Wachen und Buße vorsprechen können und würdet eine ebenso höfliche Antwort erhalten haben.«
»Geh,« sagte der Pilger, »Du bist nur ein sächsischer Narr.«
»Richtig gesprochen,« sagte der Possenreißer, »wäre ich ein geborner Normann, wie Du zu sein scheinst, so wäre das Glück auf meiner Seite, und ich nahe daran gewesen, ein weiser Mann zu werden.«
In diesem Augenblick erschien Gurth auf der andern Seite des Schloßgrabens mit den Maulthieren. Die Reisenden gingen über eine Zugbrücke, die nur zwei Planken breit war und dem engen Hinterthor, sowie dem kleinen Pförtchen in den äußern Pallisaden gegenüber lag, das sich nach dem Walde zu öffnete. Sobald sie die Maulthiere erreicht hatten, band der Jude mit hastigen und zitternden Händen hinten am Sattel einen kleinen Sack von blauer Leinwand fest, den er unter seinem Mantel hervorzog, und der, wie er murmelnd sagte, »weiße Wäsche – nur weiße Wäsche« enthalte. Dann schwang er sich mit mehr Geschicklichkeit und Hast auf sein Thier, als man von seinen Jahren hätte erwarten sollen, und verlor keine Zeit, sein Obergewand so zu ordnen, daß sein Packet, welches sich hinter ihm besand, von demselben ganz bedeckt wurde.
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